AFGHANISTAN
Der Bundestag debattiert den Einsatz von Bundeswehr-Jets
Dieser Winter ist kalt in Afghanistan. Als SPD-Fraktionschef Peter Struck Ende Februar die deutschen Soldaten in Masar-i-Scharif besucht, sind die Temperaturen nur knapp über die Nullgrenze geklettert. Die Landschaft ist karg und kahl, so weit das Auge blickt. Nur die Berge des nahen Marmal-Gebirges erheben sich steil und sind schneebedeckt. Ein Anblick, der auch Struck immer wieder in Begeisterung versetzt.
Schon fünf Mal war Struck als Verteidigungsminister in der Krisenregion. Jetzt kommt er als Fraktionsvorsitzender zurück. Er will vor der Entscheidung des Bundestages über den Einsatz deutscher Tornados mit den Soldaten sprechen, sich ihre Sorgen anhören und sich über die Sicherheitslage informieren. "Afghanistan hat mich die ganze Zeit begleitet. Das Land ist mir sehr ans Herz gewachsen", gibt er zu.
Die Botschaft an die Soldaten lautet: Wir lassen Euch nicht allein, sondern kümmern uns um euch, wenn ihr im Einsatz seid. Die Bundeswehr hat Masar-i-Scharif zu ihrem Hauptquartier und logistischen Stützpunkt für ganz Afghanistan ausgebaut. Hier sollen auch die Tornado-Aufklärungsflugzeuge stationiert werden, über die der Bundestag am 9. März entscheiden wird. Es geht um eine heikle Mission. Viele Abgeordnete, aber auch Militärs befürchten, dass die deutschen Soldaten in die Kampfhandlungen der US-geführten Operation Enduring Freedom (OEF) miteinbezogen werden könnten. Bisher war die Bundeswehr für den relativ ruhigen Norden zuständig und verfolgte hier ein Konzept von Schutz und Wiederaufbau.
Ab Mitte April sollen die Tornados vom Typ RECCE in Camp Marmal startbereit sein. Stellflächen für die hochsensible Technik wurde schon geschaffen. Auch technisch ist der Tornado-Einsatz für die Bundeswehr eine Herausforderung. Häufige Sandstürme und extreme Hitze im Sommer setzen der Technik zu. Für eine Flugstunde müssen deshalb 15 Wartungsstunden gerechnet werden. Einsatzgebiet der Tornados ist auch der Süden, wo sich seit Monaten Taliban und alliierte Truppen einen erbitterten Kampf liefern. Seit Juni vergangenen Jahres haben dort rund 100 ausländische Soldaten ihr Leben gelassen. Die meisten starben in der heftig umkämpften Region Kandahar. Deutsche Tornados sollen auch in diesem Gebiet zum Einsatz kommen, um feindliche Stellungen auszumachen. Für Frühjahr haben die Taliban eine großangelegte Offensive angekündigt. "Afghanistan durchlebt die schlimmste Phase der Gewalt", sagen führende Militärs.
In Berlin weiß man um die Gefährlichkeit der Mission. Die Zustimmung zu dem Tornado-Einsatz macht sich deshalb kein Abgeordneter leicht. Eine Ablehnung wird zwar nicht erwartet, aber ein Ja mit Vorbehalten. "Es geht auch um mehr Schutz für unsere Soldaten", argumentieren Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) und die Fraktionsspitzen von Union und SPD. Dennoch sind in allen Fraktionen Skeptiker zu finden. Viele machen eine Zustimmung von der Zusage der Regierung abhängig, den zivilen Aufbau in Afghanistan voranzutreiben. Vor allem im Süden und Osten des Landes müsse die militärische Strategie durch eine politische ergänzt werden, fordern sie. "Ich habe schwerste Bedenken", sagt der Grünen-Verteidigungsexperte Winfried Nachtwei. Seit Monaten sagten alle, die zivile Komponente müsse gestärkt werden. "Ich kann nicht erkennen, wie das geschehen soll", so Nachtwei. Ihr Abstimmungsverhalten haben sich Grüne und FDP bislang offen gehalten. Die Linksfraktion hält dagegen den Tornado-Einsatz für nicht verantwortbar und hat ihre Ablehnung angekündigt. "Wir sehen darin einen Kampfeinsatz. Wir sehen darin einen Bruch des Völkerrechts", unterstrich ihr Vorsitzender Oskar Lafontaine. In den Reihen der SPD rechnet Struck mit etwas mehr als 30 Nein-Stimmen. Einer von ihnen wird wohl der bayerische Abgeordnete Klaus Barthel sein. "Wir werden immer mehr in einen Konflikt reingezogen", warnt er.
Der SPD-Außenexperte Detlef Dzembritzki, der Struck bei seiner Afghanistan-Reise begleitet hat, meint dagegen, diese Sorge werde von den Militärs vor Ort nicht geteilt. Auch Vertreter der afghanischen Regierung hätten um Unterstützung für mehr Schutz vor allem im Süden des Landes gebeten. "Es reicht nicht aus, Auslandseinsätze nur unter militärischen Gesichtspunkten zu sehen", gibt auch der Sprecher des so genannten Seeheimer Kreises, Johannes Kahrs, zu Bedenken. Er verlangt ein Gesamtkonzept für Afghanistan, in das alle deutschen Aktivitäten von Verteidigungs-, Innen-, Außen- und Entwicklungsministerium eingebunden sind. "Es kann nicht sein, dass jeder vor sich hindoktert", so Kahrs. 35 Millionen Euro soll allein der Tornado-Einsatz kosten. Als besonders sensibel gilt, ob die gesammelten Aufklärungsergebnisse auch an die von den Amerikanern geführte OEF-Mission weitergegeben werden. Sie könnten dann Grundlage für die Bombardierung von Dörfern mit zahlreichen Opfern unter der Zivilbevölkerung sein.
Die Regierung versucht den Sorgen der Einsatz-Skeptiker mit dem Wörtchen "restriktiv" zu begegnen. Nach dem Beschluss des Kabinetts soll die Weitergabe der Daten nur "restriktiv" geschehen, also nur dann, wenn dies für die "erfolgreiche Durchführung der ISAF-Operation oder für die Sicherheit von ISAF-Kräften erforderlich ist". Offen bleibt indes, wie das in der Praxis geregelt werden kann. "Wie das auseinandergehalten werden soll, ist mir schleierhaft", sagt beispielsweise Nachtwei.
Als schärfster Unionskritiker von Auslandseinsätzen gilt der ehemalige Verteidigungsstaatssekretär Willy Wimmer (CDU). Er warnt dringend davor, dass sich die Bundeswehr an der verfehlten Politik der Briten und Amerikaner im Süden beteiligt. Das könnte auch die Erfolge der ISAF-Mission gefährden, meint er. Die FDP-Verteidigungsexpertin Birgit Homburger will wissen, ob nicht auch andere NATO-Partner die gleichen Aufklärungsfähigkeiten haben. Das sei ein zentraler Punkt und die Regierung sei immer noch eine Antwort schuldig geblieben, sagt sie.
In Masar-i-Scharif, acht Autostunden von Kabul und knapp 6.000 Kilometer von der Heimat entfernt, verfolgen die Soldaten gespannt die Debatte in Berlin. In der Truppe sieht man den Tornado-Einsatz jedoch eher pragmatisch. Von einem bevorstehenden Kampfeinsatz mag man hier nicht reden. "Aufklärung ist Aufklärung", sagt ein Hauptmann, der ansonsten im sachsen-anhaltinischen Burg stationiert ist. Die Soldaten machen sich eher um die Sicherheit ihrer Kameraden Sorgen, die regelmäßig in gepanzerten Fahrzeugen Patrouillen fahren. Auch in diesem Jahr gab es zahlreiche Zwischenfälle, bei denen aber kein deutscher Soldat ernsthaft verletzt wurde.
Auch der Drogenanbau ist ein heikles Thema. Im Norden verlaufen wichtige Schmuggelwege nach Asien und Europa. Die Stadt Kundus, in der die Deutschen einen Stützpunkt unterhalten, gilt als internationales Handelszentrum für Opium. Die Region Fayzabad, ebenfalls im Einflussgebiet der Deutschen, ist ein Hauptanbaugebiet für Schlafmohn. Wenn die Soldaten ein Mohnfeld entdecken, müssen sie das melden. Es wird dann vernichtet. Eine Alternative, wie sie ihren Lebensunterhalt verdienen soll, kann der meist armen Landbevölkerung aber nicht geboten werden. An Mohn verdienen die Bauern im Vergleich zu Getreide das Zehnfache. Das treibt die Menschen in die Hände der Taliban, weiß die militärische Führung nur zu genau. Dieser Solidarisierungsmacht ist die Bundeswehr schutzlos ausgeliefert. Und es ist auch ein Grund dafür, dass die Deutschen sich nicht aktiv an Antidrogenoperationen beteiligen. "Wir müssen die Herzen der afghanischen Bevölkerung gewinnen", bekam Struck auch auf seiner Reise immer wieder zu hören.
Aufbauhelfer in Uniform Mit der Entsendung der Tornados, hofft die Regierung, werden auch weitere Begehrlichkeiten der NATO abgewehrt. Während die OEF-Truppen im Bodenkrieg kämpfen, sehen sich die Deutschen als eine Art Aufbauhelfer in Uniform. Diese Aufgabenteilung wird von vielen NATO-Partnern zunehmend als ungerecht empfunden und den Deutschen auch harsch verdeutlicht. "Wichtig ist, dass die Tornados nicht das Einfallstor für neue Begehrlichkeiten sind", mahnt der CSU-Abgeordnete Karl-Theodor von Guttenberg. Das müsse die Bundesregierung klarmachen. Auch Bundestagspräsident Norbert Lammert warnt vor immer neuen Anforderungen. "Der Bundestag, der allein das Wo und Wann der Bundeswehreinsätze beschließt, zögert, immer neue Aufgaben zuzuweisen und wird die Begründungen noch strenger prüfen", sagte er am 21. Februar nach einem Gespräch mit dem neuen UN-Generalsekretär Ban Ki-moon.
Deutschland ist das einzige NATO-Land, in dem die Armee solch einer starken parlamentarischen Kontrolle unterworfen ist. "Ganz eindeutig" müsse der Parlamentsvorbehalt erhalten werden, ist sich Struck mit fast allen Abgeordneten einig. Allerdings, und dies ist auch eine Erfahrung seiner dreitägigen Afghanistan-Reise, will er der Bundeswehr mehr Spielraum geben. Der Bundestag müsse sich überlegen, ob er künftig jedes Detail eines Einsatzes beschließen wolle, gibt der ehemalige Verteidigungsminister zu bedenken.
Das deutsche Hauptquartier in Camp Marmal wirkt wie eine Festung. Acht Kilometer von der einst blühenden Provinzhauptstadt Masar-i-Scharif entfernt fügt sich das sandfarbene Baracken-Camp in die der karge Landschaft. Eine hohe Mauer bietet den rund 1.400 deutschen Soldaten Schutz. Im Inneren der zwei Quadratkilometer großen Anlage hat sich die Bundeswehr so gut wie möglich eingerichtet. Viel Abwechslung gibt es aber nicht. Hoch frequentiert ist da der "längste Tresen Afghanistans" - eine 31 Meter lange Holztheke. Bald werden auch eine neue Großkantine und ein mit Intensivstation zwei OP-Bereichen ausgestattetes Einsatzlazarett eingeweiht. "So ein Lazarett habe ich noch nie gesehen", staunt Struck. Hier sollen Soldaten aller NATO-Partner versorgt werden. Ein weiteres Argument, um den Norden nicht verlassen zu müssen.
Susann Kreutzmann z