Auf der Liebhaberbühne des Geselligkeitsvereins Frohsinns in Lemberg wurde 1931 ein besonderes Stück gegeben: "Heimat - Schauspiel in vier Akten von Hermann Sundermann." Übrig davon ist nur noch ein vergilbter Programmzettel. Ein kleines Exponat der Ausstellung "Erzwungene Wege - Flucht und Vertreibung im Europa des 20. Jahrhunderts", die seit 11. August im Berliner Kronprinzenpalais zu sehen ist. Sie dokumentiert in einem europäischen Kontext das Jahrhundert der Vertreibungen, das 80 bis 100 Millionen Menschen ihre Heimat kostete.
Inzwischen ist die Schau allerdings mehr Politikum denn Ausstellung und es geht vor allem um die Frage, wer in welcher Form an die Vertreibungen erinnern darf. Die von der Stiftung "Zentrum gegen Vertreibungen" initiierte und organisierte Ausstellung gilt dabei als eine Art Lackmustest für das seit Jahren vom Bund der Vertriebenen (BdV) geplante und vor allem von polnischer Seite stark kritisierte "Zentrum gegen Vertreibungen". Seine Kritiker fürchten, es könne verfälscht darstellen, wer damals Täter und wer Opfer war.
Mittlerweile hat die Ausstellung - obwohl sie eigentlich eine private Initiative ist - eine politische Kontroverse ausgelöst: Warschaus Bürgermeister Kazimierz Marcinkiewicz sagte kurzfristig einen Berlin-Besuch ab, das Historische Museum Warschau zog eine frühere Zusage für zwei Leihgaben zurück und der polnische Ministerpräsident Jaroslaw Kaczynski bezeichnete die Schau als "sehr ungutes, beunruhigendes und trauriges Ereignis". Es werde versucht, die Geschichte zu manipulieren, so Polens stellvertretender Außenminister Pawel Kowal. Ganz anders sieht das dagegen Besucherin Brigitte Vogt. Sie kann die Aufregung gar nicht verstehen. "Das ist eine sehr schöne Ausstellung", sagt die über 70-Jährige. "Alles sehr sachlich, sehr neutral dargestellt." Sie tippt mit dem Finger auf eine der mit Licht hinterlegten Landkarten. "Hier haben wir gelebt. Pommern . . . die Pyritzer Ecke . . . die Tragödie damals kann man nicht in Worte fassen." Sie steht in dem schwarz-weiß gehaltenen Ausstellungsraum, über den sich vom Fußboden bis zur Decke eine europäische Landkarte zieht. Fast ein wenig aseptisch wirkt dieser Raum, an dessen Wänden eine Art Fries mit scheinbar endlos langen Infotafeln hängt: vom Zerfall des Osmanischen Reiches bis hin zum Abkommen von Dayton. Und irgendwo dazwischen auch die Geschichte der Vertreibung und Verschleppung der Deutschen am Ende des Zweiten Weltkrieges. Nach der nüchternen Faktendarstellung, bekommt die Besucherin nur wenige Stücke zu sehen, die sie mit dem Wort Heimat verbindet: der eilig eingepackte Schlüsselbund des verlassenen Hauses, der verschlissene Koffer oder der Programmzettel der Theatergruppe. Mittendrin steht die Polin Julia Missala. Sie findet die Ausstellung nicht sehr objektiv: sehr viele Details über deutsche Vertriebenen-Schicksale, aber wenig über andere. Die Kritik ihres Ministerpräsidenten kann sie verstehen. "Es gibt hier einiges zu kritisieren", sagt die 21-Jährige, "aber man sollte sich die Ausstellung zuerst anschauen."
Das hat auch Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) getan. Zur Ausstellungseröffnung am 10. August hatte er betont, die Koalition habe sich zur Aufarbeitung von Zwangsmigration, Flucht und Vertreibung verpflichtet. "Geschichte hat man nicht für sich allein, sondern immer mit anderen gemeinsam", sagte er. Das Erinnern an die Vertreibung sei "zweifellos eine öffentliche Aufgabe, die durch gesellschaftliche Initiativen zu ergänzen, aber nicht zu ersetzen ist". Dass die Ausstellung nicht der erste Schritt zu einem Zentrum gegen Vertreibungen in Berlin sei, wie es sich die BdV-Vorsitzende Erika Steinbach (CDU) wünsche, unterstrich wenige Tage später Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD). Die Schau sei ein vernünftigern und notwendiger Diskussionsbeitrag. Er betonte jedoch: "Wir können die Geschichte der Vertreibungen nur mit unseren europäischen Nachbarn zusammen angemessen aufarbeiten."
Wie diese Aufarbeitung auch möglich ist, zeigt noch bis zum 27. August die eigens verlängerte Schau "Flucht, Vertreibung, Integration" im Deutschen Historischen Museum gegenüber dem Kronprinzenpalais. Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU) hat angeregt, sie zum Herzstück einer Dauerausstellung gegen Vertreibung zu machen.