Unterschiedlicher könnten die politischen Laufbahnen nicht sein. Da ist auf der einen Seite der radikale Bauernlobbyist Andrzej Lepper, der in den 90er-Jahren Straßen blockierte und Eisenbahnwaggons mit importiertem Getreide umstürzte. Mehrfach vorbestraft, schaffte er 2001 mit seiner "Selbstverteidigung" den Einzug ins Parlament, unterstützte dort die Regierung der "Allianz der demokratischen Linken" und wurde zum stellvertretenden Parlamentspräsidenten gewählt. Wegen Beleidigung des damaligen Außenministers wurde er unter allgemeiner Empörung von seinem Posten entfernt. Seine Partei blieb auch nach den Wahlen von 2005 im Parlament, obwohl Lepper mehrere Vorstrafen hat. Das hat auch seine rechte Hand, Renata Beger, die inzwischen sogar von einem Gericht der Wahlfälschung für schuldig befunden wurde. In Leppers und Begers Partei sind Vorbestrafte keine Seltenheit, weshalb sich auch niemand für solche Mitglieder schämt. Ihr Parlamentsmandat schützt sie vor Strafverfolgung.
Auf der anderen Seite steht Jaroslaw Ka-czynski. Zusammen mit seinem Bruder Lech, seit 2005 Staatspräsident, hat er einen Wahlkampf gegen Korruption, Nepotismus, gegen politische Verschwörungen, Geheimdienst-Seilschaften, für mehr Transparenz und Ehrlichkeit in der Politik geführt. Das war erfolgreich, denn nach mehreren großen Korruptionsskandalen der von der "Linksallianz" geführten Regierung hatten die Wähler die Nase voll und sehnten sich nach mehr Ehrlichkeit und Bescheidenheit. Die Kaczynski-Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) wurde stärkste Partei, hatte aber allein keine Mehrheit und brauchte Koalitionäre. Da bot sich die ideologisch verwandte nationalradikale "Liga der Polnischen Familien" (LPR) an, doch sie war zu klein für eine Regierungsmehrheit. Also holte Kaczynski Andrzej Lepper und seine "Selbstverteidigung" an Bord.
Doch Leppers Mannen und Frauen machen stahlharte Interessenpolitik und Lobbyarbeit und stellen ultimative Forderungen. Bei den laufenden Budgetverhandlungen stellte Andrzej Lepper höhere Forderungen als PiS zugestehen wollte und provozierte die Regierung. Kaczynski entließ ihn und verlor damit die Mehrheit im Parlament.
Das ist in Polen gemeinhin kein Problem für eine Regierung. Auch die linke Regierung von Leszek Miller hat vor vier Jahren ihre Mehrheit verloren, blieb aber im Amt, gestützt von einer Mehrheit, die nur durch die Angst vor Neuwahlen zusammengehalten wurde: Außer Linken gehörten dazu auch Abgeordnete, die ihre Diäten oder ihre Immunität vor dem Staatsanwalt nicht verlieren wollten. Millers Leute schwärmten aus im Sejm, dem polnischen Parlament, und sammelten alle, die bereit waren, für entsprechende Gegenleistungen die Regierung zu unterstützen. PiS fand das damals skandalös. Das böse Wort vom "Einsammeln des Parlamentsplanktons" machte damals die Runde.
Nun sammelt PiS selbst Plankton - noch dazu auf eine so unverfrorene Art und Weise, wie das niemand einer Partei zugetraut hätte, die mit Forderungen nach einer "geistig-moralischen Wende" den Wahlkampf bestritt: Seit die Regierung ihre Mehrheit verloren hat, werden Leppers Gefolgsleute von Emissären der größeren Regierungspartei mit Angeboten für Posten und Pöstchen überhäuft, wenn sie nur die Regierung weiter stützen. Doch Lepper hat ein Gegenmittel: Er ließ alle seine Abgeordneten vor der Wahl Wechsel über hohe Summen unterschreiben, die er einzulösen droht, wenn einer abtrünnig wird. Das ist nicht ganz legal - auch in Polen sind Abgeordnete nur ihrem Gewissen unterworfen und imperative Mandate verboten - aber bevor sich ein abtrünniger Abgeordneter an ein Gericht um Hilfe wenden kann, kommt erst einmal der Gerichtsvollzieher.
Deshalb hat die Führung von PiS nun ein Gegengift entwickelt: Die Wechselschulden sollen bis zu einer endgültigen Klärung vor Gericht vom Parlamentsbudget vorgestreckt werden. Ein Vertrauter von Regierungschef Jaroslaw Kaczynski bot das Renata Beger an, im Glauben, sie wolle ihrem Chef den Laufpass geben und zur Regierungsfraktion überlaufen. Doch die Dame war nicht auf den Kopf gefallen - sie lud einen Privatsender ein, das Gespräch mit versteckter Kamera mitzuschneiden. Und so erfuhr die erstaunte Nation, wie PiS zurzeit versucht, Abgeordnete regelrecht einzukaufen: Zusätzlich zu einer Finanzspritze aus dem Parlamentshaushalt lockte man Beger mit dem Posten einer Staatssekretärin im Landwirtschaftsministerium.
Seither gehen die Wellen hoch in Warschau. Die größte Oppositionspartei, die liberale "Bürgerplattform", hat für den 7. Oktober zu einem großen Protestmarsch gegen die Regierung nach Warschau aufgerufen. Die kleinere Regierungspartei LPR, die Kaczynski noch die Stange hält, weil sie bei vorgezogenen Neuwahlen (im Gegensatz zur "Selbstverteidigung") kaum Chancen auf einen Einzug ins Parlament hätte, lässt am gleichen Tag ihre rechtsradikale Jugendorganisationen, zu der viele Skinheads gehören, aufmarschieren. Die Koalitionssondierungen mit der polnischen Bauernpartei, auf deren Unterstützung Kaczynski hoffte, wurden unter dem Eindruck der Affäre auf Eis gelegt.
Führende Politiker der Regierungsparteien und Premier Kaczynski selbst erklären die Affäre zu einer Provokation, hinter der womöglich gar Agenten des von der Regierung aufgelösten militärischen Geheimdienstes stünden. Doch die verbale Aggression gegen die TV-Journalisten und Lepper-treuen Abgeordneten verdecken nur, dass PiS in eine Falle getappt ist, die eigentlich für andere gedacht war. Dass Abgeordnete gegen Posten in Regierung und Verwaltung von der Opposition losgeeist werden, ist in Polen weder unüblich noch besonders anrüchig. Doch gerade weil PiS sich so sehr als "Law-and-Order-Partei" geriert, wirkt die Differenz zwischen den Worten im Wahlkampf und den Taten beim Regieren so schockierend. Wenn die Regierung darüber fällt, dann nicht, weil sie korrupter war als andere, sondern weil sie die moralische Messlatte für sich selbst zu hoch gehängt hat.
Heimlicher Sieger des nun geradezu öffentlichen Plankton-Fangens sind erstaunlicherweise die beiden Parteien, die die Interessen des flachen Landes und der Bauern vertreten. Die polnische Bauernpartei erscheint nun in der Auseinandersetzung als ruhiger, moderater Fels in der Brandung, obwohl es in den vergangenen Jahren Momente gab, wo sie sich programmatisch ebenfalls am rechten, nationalistischen Rand positionierte.
Der eigentliche Sieger heißt dagegen schon jetzt Lepper. Als er 2001 ins Parlament einzog, schlugen Intellektuelle und Medien Alarm: Vergleiche mit der Weimarer Republik und Hitlers Aufstieg zur Macht wurden bemüht, Lepper als Gefahr für Demokratie, Marktwirtschaft und Westbindung angeprangert. Politiker von PiS versuchten ihn mit der ihnen eigenen Vorliebe für Komplotttheorien sogar als Marionette ausländischer Geheimdienste abzustempeln. Doch vor dem Hintergrund des nun völlig unglaubwürdigen moralischen Radikalismus und religiösen Eiferertums der Regierungsparteien erscheint Leppers kühl berechnender Klientelismus geradezu als staatsmännisch. Lepper hat seinen Frieden mit der EU gemacht und verteilte als Landwirtschaftsminister eifrig EU-Gelder an seine Klientel, statt wie früher die EU-Fahne öffentlich zu verbrennen. Seine verbalen Entgleisungen sind kalkuliert und zweckgerichtet, denn im Gegensatz zu seinen Gegnern bei PiS glaubt er nicht wirklich, was er sagt. Er kämpft nicht mehr mit den Medien, sondern nutzt sie für seine Zwecke, während Regierungspolitiker mit hilfloser Aggression auf die Medienattacken reagieren. Noch vor zwei Jahren vermieden es Liberale und Linke, mit Lepper auch nur gesehen zu werden. Nun, so wurde bekannt, führen Politiker der Bürgerplattform Sondierungsgespräche mit Lepper über die Auflösung des Parlaments, für die eine Zwei-Drittel-Mehrheit notwendig ist. Innerhalb kürzester Zeit ist Lepper hoffähig geworden und hat es geschafft, seine Partei vom hässlichen Entlein der polnischen Politik zum potenziellen Zünglein an der Waage zu machen.