Die Lust an Telefongesprächen ist Ilse Jaunalksne vergangen. Denn am 12. September wurde die lettische Journalistin vom Inhalt ihrer eigenen Telefonate in der Tageszeitung "Neatkariga Avize" überrascht. Sie habe zwar geahnt, dass es manch einer auf sie abgesehen habe, meint die Journalistin, die mit intensiven Nachforschungen längst korrupte Politiker Lettlands das Fürchten gelehrt hat. Aber dass eine staatliche Behörde dabei helfen würde, wäre ihr im Traum nicht eingefallen. Noch ist unklar, wer die Drahtzieher dieser Affäre sind. Lolita Zigane, Politologin und Wahlbeobachterin der nichtstaatlichen Organisation "Providus" vermutet, dass sie im Umfeld der führenden Parteien zu suchen sind. Denn am 7. Oktober wird in Lettland ein neues Parlament gewählt, und Jaunalksne habe viele Feinde bei den Mitte-rechts-Koalitionspartnern aus "Volkspartei" und "Erste Partei". Aber auch der konservativen Liste aus "Grünen" und "Farmer-Union" sei die Journalistin ein Dorn im Auge.
Hinter diesen Parteien verbergen sich jene drei Oli-garchen, die durch die Privatisierung zu reich geworden sind und die lettische Politik lenken wollen: Der Ex-Ministerpräsident Andris Skele, der frühere Transportminister Einars Slesers und Aivars Lembergs, Bürgermeister von Ventspils. Lembergs gehört auch die Zeitung "Neatkariga Avize", die die illegal aufgezeichneten Telefonate abgedruckt hat.
"Mit dieser neuen Abhöraffäre sollen die Wähler vergessen, wer sich bei der Kommunalwahl die Finger schmutzig gemacht hat", meint Lolita Zigane. Stattdessen werde suggeriert, Jaunalksne stecke mit den politischen Gegnern der Oligarchen unter einer Decke. Tatsächlich wurden von den illegal abgehörten Telefonaten der Journalistin gerade jene Passagen veröffentlicht, in welchen sie sich mit Politikern der konservativen Partei "Neue Zeit" unterhalten hat. Die "Neue Zeit" wurde von Einars Repse, dem ehemaligen Präsidenten der Lettischen Bank gegründet und trat gerade gegen die Korruption im Lande an. Bei der Wahl vor vier Jahren hatte es die Partei gleich an die Spitze geschafft - Einars Repse wurde Ministerpräsident. Aber das Regierungsbündnis hielt nicht lange.
Seit dem Telefonskandal machen sich auf Platz eins des Wahlbarometers in Lettland die "Volkspartei" und ihr Premier Aigars Kalvitis breit. Dahinter vermutet Zigane Betrug im Umgang mit der Wahlwerbung. Denn gerade die "Volkspartei" versucht die gesetzlich festgelegte Grenze von 400.000 Euro zu überschreiten. Wie die "Erste Partei" hat die "Volkspartei" eine Gesetzeslücke entdeckt und eine unabhängige "Gesellschaft für Meinungsfreiheit" gegründet. Nach jüngsten Hochrechnungen der Wahlbeobachter wird die "Volkspartei" auf diesem Weg mehr als eine Million Euro zusätzlich in Werbespots investieren. Zigane und das staatliche Antikorruptionsbüro hoffen, dass man Andris Skele später doch noch den Verstoß gegen das Wahlgesetz nachweisen kann, um wenigstens in Zukunft diese unlautere Wahlpropaganda zu verbieten. Denn neben der gigantischen Kampagne der "Volkspartei", so Zigane, fallen die restlichen 16 Parteien kaum noch ins Gewicht. Früher trumpfte die lettisch-nationalgesinnte Partei "Für Vaterland und Freiheit" mit Hetzkampagnen gegen die russische Bevölkerung auf, die nach dem Zweiten Weltkrieg mit den sowjetischen Besatzern ins Land gekommen war. Doch ihre Wähler werden langsam zu alt, und die Partei hat keine neue Themen zu bieten. Einzige Ausnahme bildet die linksorientierte Partei "Für Menschenrechte im Vereinten Lettland", die sich an die knapp 400.000 Staatenlosen und die russischsprachige Minderheit in Lettland richtet. Weil sie kaum über Geld oder Sponsoren verfügt, werben die Kandidaten persönlich in den Wohnbezirken. Ihr Einsatz für den Erhalt russischsprachiger Schulen und eine unbürokratische Einbürgerung hat die Linkspartei immerhin auf Platz zwei des Wahlbarometers gerückt.