Dieses Mal schreiten Hermann Gröhe und Thomas Oppermann mit sichtlichem Vergnügen vor Kameras und Mikrophone. Kaum ist die öffentliche Sitzung des Untersuchungsausschusses beendet, ziehen die Obleute von Union und SPD gegen FDP, Linkspartei und Grüne kräftig vom Leder. Angesichts der nicht sonderlich ergiebigen Zeugenvernehmung wettert der CDU-Politiker Gröhe, die Opposition sei nur "am Schaulaufen interessiert". Die Opposition solle eine Kurskorrektur vornehmen und die Arbeit des Gremiums straffen. Ansonsten gerate dessen Ruf der Ernsthaftigkeit in Gefahr. Für die SPD hebt Oppermann hervor: "Zeugen, Zeugen, aber keine Erkenntnisse." Er wundere sich über die zur Vernehmung von der Opposition ausgewählten Personen wie auch über die Fragen, die gestellt werden. Oppermann: "Je mehr Zeugen auftreten, desto mehr verdichtet sich der Eindruck, dass die Bundesregierung keine Erkenntnisse über die Entführung Khaled El-Masris hatte."
Es ist wohl eher nicht der Tag von Liberalen, Linken und Grünen. In seiner ersten Phase recherchieren die Abgeordneten, ob deutsche Stellen und die Regierung frühzeitig über die illegale Verschleppung des fälschlicherweise unter Terrorverdacht geratenen El-Masri informiert oder gar aktiv in dieses Kidnapping verwickelt waren. Der Deutsch-Libanese war zum Jahreswechsel 2003/2004 in Mazedonien verhaftet und dann bis Mai 2004 in ein afghanisches Gefängnis geschafft worden. In der Tat können die als Zeugen geladenen Mitarbeiter des Auswärtigen Amts (AA) und des Verteidigungsministeriums kaum Neues zur Erhellung dieser Affäre beisteuern.
Trotz bohrender Nachfragen von Max Stadler (FDP), Petra Pau (Linkspartei) und Hans-Christian Ströbele (Grüne) betonen Karl Flittner und Johannes Konrad Haindl vom AA, dass die Aufklärungsarbeit zur Entführung El-Masris nicht verzögert oder behindert worden sei. Vorstöße, nur gebremst vorzugehen, habe die Ministeriumsspitze nicht unternommen, so Flittner, damals Leiter des Referats Internationales Strafrecht. Ob es Interventionen in dieser Richtung seitens des Kanzleramts oder des Innenministeriums gab? Davon habe er "keine Kenntnisse", sagt Haindl, seinerzeit Beauftragter für den westlichen Balkan. Flittner erklärt überdies, die nach dem Bekanntwerden der Verschleppung El-Masris eingeschalteten deutschen Botschaften in Skopje und Washington seien nicht angehalten worden, sich bei ihren Recherchen in diesem Fall zurückzuhalten.
Allerdings offenbart sich bei diesem Thema erneut das Dilemma dieses Parlamentsgremiums: Im öffentlichen Teil der Beratungen wird auf die E-Mail-Kommunikation zwischen dem Ministerium und den Botschaften zum Kidnapping El-Masris nicht eingegangen, das wird als geheim eingestuft. Über die kürzlich Aufforderung des Ausschusses an die Regierung, mehr Unterlagen als bislang öffentlich zu machen und die Aussagegenehmigungen für die Zeugen zu erweitern, ist noch nicht entschieden.
Haindl und Flittner geben an, im AA von der Entführung El-Masris erst nach deren Ende Nachricht erhalten zu haben. Zunächst habe der Eindruck vorgeherrscht, das sei "etwas Abenteuerliches", berichtet Flittner. Seinerzeit, so die AA-Mitarbeiter, hätten sie auch nichts von zwei Vorgängen gewusst, die bei der Aufklärung des Falls El-Masris von Bedeutung sind und im Frühsommer dieses Jahres publik wurden. So hatte ein BND-Mitarbeiter in Mazedonien schon Anfang 2004 von der Verhaftungsaktion erfahren, will dies aber nicht nach Pullach gemeldet haben. Und ein ehemaliger Telekom-Manager in dem Balkanland tat kund, bereits im Januar 2004 die deutsche Botschaft in Skopje telephonisch über die Festnahme eines Deutschen informiert zu haben.
Auch anderweitig kann die Opposition aus den Erklärungen der Zeugen kaum Honig saugen. Haindl und Flittner betonen, dass die konkreten Ermittlungen zur Verschleppung El-Masris nicht dem Außenministerium, sondern dem Bundeskriminalamt (BKA) und dem Polizeipräsidium Schwaben obliegen. Man habe die Aufklärungsarbeit "beim BKA in guten Händen" gesehen, meint Flittner. Haindl: "Wir haben abgewartet, wie sich die Dinge entwickeln." Als ebenfalls wenig ertragreich erweist sich die Befragung von Vertretern des Verteidigungsministeriums. An Interessantem ist von Andreas Wurster lediglich zu hören, dass eine Rechercheanfrage des Polizeipräsidiums Schwaben erst mit Verspätung beim KSK-Kommando einging, das in Afghanistan stationiert ist. Ansonsten vermag er zum Fall El-Masri inhaltlich nichts mitzuteilen.
Der Grüne Ströbele räumt denn in einem Resümee auch ein, man habe "von den Zeugen weniger erfahren als erhofft", es sei "ein Pflichtprogramm" absolviert worden. Einfach geschlagen geben will sich die Opposition indes nicht. Auch Petra Pau von der Linkspartei meint, diese beiden Zeugen aus dem AA hätten den Eindruck bestätigt, im Außenministerium habe man die Aufklärung von El-Masris Kidnapping nur zögerlich angepackt. Max Stadler, FDP, erwähnt die Anmerkung Flittners, wonach man im AA die Zuständigkeit für die Verschleppungsaktion wegen der Verwicklung von Geheimdiensten eher im Kanzleramt gesehen habe. Dieser Hinweis beleuchte erneut die zentrale Frage nach der politischen Verantwortung in der gesamten Affäre.
Deshalb untermauerten die Oppositionsparlamentarier ihre Forderung, möglichst rasch SPD-Außenminister Frank-Walter Steinmeier als damaligen Chef des Kanzleramts, den früheren Außenminister Joseph Fischer (Grüne) und den ehemaligen SPD-Innenminister Otto Schily zu vernehmen. Schily wurde, so weit bislang bekannt, von US-Botschafter Daniel Coats bereits Ende Mai 2004 über die Entführung El-Masris ins Vertrauen gezogen, behielt dieses Wissen aber für sich.
Für ein gewisses Aufsehen in den Medien sorgen Anträge der FDP und der Grünen nach Vorladung weiterer Zeugen. Stadler will den britischen Journalisten Stephen Grey anhören. Nach dessen Erkenntnissen wurde das Neu-Ulmer Multi-Kultur-Haus, in dem El-Masri vor seinem Kidnapping verkehrte, ehedem von mehreren deutschen Behörden wie von einigen ausländischen Geheimdiensten observiert. Der Freidemokrat erhofft sich von Grey Auskunft, ob entgegen bisheriger Zeugenaussagen damals von deutscher Seite doch Informationen über den Deutsch-Libanesen an US-Stellen flossen. Ströbele will drei US-Piloten, die an der Verschleppung El-Masris beteiligt gewesen sein sollen, und Ex-CIA-Chef George Tenet vernehmen. Die Piloten gehören zu einer größeren Gruppe mutmaßlicher CIA-Agenten, die offenbar im Januar 2004 von Mallorca nach Mazedonien flogen und den Deutsch-Libanesen von dort nach Afghanistan transportierten: Deren Tarnnamen haben die spanischen Behörden inzwischen der Münchner Staatsanwaltschaft übermittelt. Ob Grey vor dem Ausschuss auftritt, ist nicht ganz ausgeschlossen. Dass Tenet und die US-Piloten nach Berlin reisen, darf jedoch als undenkbar gelten.