Eigentlich wollte der gelernte Einzelhandelskaufmann und
Rheinländer beim Umzug der Regierung nach Berlin nicht mit
ziehen und hatte sich bereits bei den offiziellen
Tauschbehörden der Bundesbeamten für eine neue Aufgabe in
Bonn beworben. Er wollte weder seinen Kegelclub noch das
Siebengebirge verlassen oder gar die fünfte Jahreszeit, den
Karneval, in der preußischen Diaspora feiern. Doch
schließlich ging ihm seine Arbeit über alles: "So eine
Stellung hat man nicht all Tage."
Edgar Dick, 45, ist dienstältester Saaldiener des Bundes.
Er hat schon in allen Plenarsälen der Republik gedient -
angefangen mit dem alten Bundeshaus in Bonn, dem "engen aber
familiären" Wasserwerk, dem transparenten Behnisch-Bau und
arbeitet nun seit 1999 im umgebauten Berliner Reichstag - einem ihm
schon lange vertrauten Ort. Bereits zu Mauerzeiten kam Dick durch
Dienstreisen immer wieder nach Berlin. Zweimal im Jahr hielten die
CDU/CSU, SPD und FDP ihre Fraktionssitzungen im alten, damals noch
nicht umgebauten Reichstagsgebäude ab - als Zeichen, dass die
Wiedervereinigung nicht aufgegeben hatte. Und vielleicht war es
auch ein Wink des Schicksals, dass Edgar Dick der Saaldiener ist,
der am 9. November 1989 am 9. November 1989 der diensthabenden
Bundestagsvizepräsidentin Annemarie Renger das Fax mit der
Nachricht vom Fall der Mauer in Berlin übergibt. Um 20.22 Uhr
verliest Renger die Agenturmeldung und unterbricht sogleich die
Sitzung. Keiner kann sich mehr auf Rentenreform und
Vereinsbesteuerung konzentrieren. Abgeordnete aller Fraktionen
versuchen das eben Gehörte in Worte zu fassen - mit
Rührung in der Stimme. Kanzleramtschef Rudolf Seiters gibt
eine Regierungserklärung ab und Otto Graf Lambsdorff (FDP)
spricht vom "Ende von Mauer und Stacheldraht". Dann springt die
Größe des Moments auf die Abgeordneten über. Sie
erheben sich und singen spontan das Deutschlandlied, erinnert sich
Dick. "Für mich war es der emotionalste Moment in meiner
Laufbahn. Ich war über die friedliche Öffnung der Grenze
ungeheuer erleichtert."
Was einen guten Saaldiener ausmacht, ist zu beantworten, wenn
man Edgar Dick beobachtet, der korrekt wirkt ohne je steif zu sein.
Zu den Abgeordneten pflegt er ein freundliches, humorvolles
Verhältnis, einige kennt er persönlich. "Warst du wieder
mal zu Hause?", fragen "seine" Wahlkreisabgeordneten im rheinischen
Du ihn gerne, wenn sie "ihren" Saaldiener nach sitzungsfreien
Wochen wieder sehen. Dick und seine 40 Kollegen sorgen aber nicht
nur für eine angenehme Atmosphäre, sondern vor allem
dafür, dass Sitzungen und Ausschusstagungen reibungslos
verlaufen. Sie teilen die Drucksachen aus, reichen während der
Sitzungen die Unterschriftenmappen und Akten der vor dem Plenum
wartenden Sekretärinnen hinein, organisieren
Interviewwünsche der Medien oder reichen Abgeordneten auf
kleine Zettel geschriebene Nachrichten. Hat ein Minister
nämlich kein Abgeordnetenmandat darf er nicht vor die
Regierungsbank treten oder gar in die Sitzreihen der Abgeordneten
hinein gehen.
Das politische Geschäft verdrießt Dick nicht. "Die
Politik schafft lediglich Rahmenbedingungen. Wenn die Wirtschaft
nicht mitspielt, ist es nicht Schuld der Politik", findet er,
obwohl er sich bei manchmal schon fragt: "Warum probieren die denn
das? Das haben ja andere Regierungen auch schon versucht und sind
gescheitert." Der Veteran im Frack blickt auf eine ganze Ära
des deutschen Parlamentarismus zurück, hat Urgesteine wie
Franz-Josef Strauß beobachtet ("da konnte man gar nicht weg
hören"), hat Herbert Wehners scharfzüngige Attacken
erlebt ("auf jeden Zwischenruf hat der treffend schneidend
reagiert"), bewunderte Joschka Fischers Rhetorik ("brillant") und
ist immer wieder beeindruckt von Gregor Gysi, ("Wahnsinn, diese
Emotionen"). Edgar Dick sagt über seinen Beruf, näher
könne man als Bürger an der Politik gar nicht dran sein.
Zumindest räumlich hat er Recht.