Mit dem Treffen des so genannten Nahost-Quartetts am 2.
Februar hat sich nicht zuletzt die deutsche
EU-Ratspräsidentschaft, die es auf den Weg gebracht hat, ein
richtiges Ziel gesetzt: die Wiederbelebung des Friedensprozesses
zwischen Israel und seinen Nachbarn. Denn einen Friedensprozess,
das haben viele Beobachter übersehen, hat es seit dem Jahre
2000 nicht mehr gegeben - jedenfalls keinen Prozess, bei dem die
wesentlichen Konfliktparteien miteinander verhandeln. Im Jahre 2000
brachen sowohl die israelisch-syrischen wie auch die
israelisch-palästinensischen Verhandlungen zusammen. Seither
herrschte eine Politik des Unilateralismus, einseitiger Schritte
also, die nicht auf Verhandlungen beruhten. Einige dieser Schritte
- Israels Abzug aus dem Libanon im Jahre 2000 sowie aus dem
Gazastreifen im Jahre 2005 oder der etwa ein Jahr lang
durchgehaltene, unilaterale Waffenstillstand der Hamas - konnten
als konstruktive Beiträge auf der Suche nach einem Ausweg aus
dem Konflikt verstanden werden. Sie fanden jedoch ohne den
jeweiligen Partner statt und stärkten die Überzeugung der
Beteiligten, dass es auf der anderen Seite auch gar keine Partner
gebe. Diese Politik des Unilateralismus ist spätestens im
Sommer 2006 gescheitert - mit dem Libanon-Krieg und der
Wiederbesetzung von Teilen des Gazastreifens durch die israelische
Armee. Die Krise zeigte, wie wichtig es ist, dass ein neuer
Verhandlungsprozess auf den Weg gebracht wird.
Tatsächlich kann nur ein politischer Prozess, der die
legitimen nationalen Interes-sen aller Beteiligten respektiert, das
Risiko neuer gewaltsamer Konfrontationen im Nahen Osten
einschränken. Nur ein solcher Prozess rechtfertigt im
Übrigen das finanzielle Engagement der EU und ihrer Mitglieder
in den palästinensischen Gebieten wie auch das
militärische Engagement europäischer und auch asiatischer
Staaten in der UNIFIL-Mission im Libanon. Dabei können nicht
alle Probleme des Nahen und Mittleren Ostens behandelt werden. Ein
neuer Friedensprozess sollte sich auf die Konflikte zwischen Israel
und seinen drei Nachbarn konzentrieren, mit denen es noch keinen
Friedensvertrag hat: den Palästinensern, Libanon und
Syrien.
Die Road Map Vier Schritte sind in einem solchen Prozess
notwendig. Zuerst kommt hier die vorgesehene Wiederbelebung des
Quartetts. Das aus USA, EU, den Vereinten Nationen und Russland
bestehende Forum bleibt für diese Konfliktregion das
effektivste internationale Format mit
größtmöglichem Gewicht. Es erlaubt der EU, Ideen
einzuspeisen und gleichwohl die amerikanische Führung nicht in
Frage zu stellen. Man denke an die Geschichte der so genannten Road
Map, die Ende 2002 im Berliner und im Kopenhagener
Außenministerium erarbeitet, dann im Quartett
präsentiert und schließlich von den USA derart adoptiert
wurde, dass zumindest die US-Medien seither von der "amerikanischen
Road Map für den Nahen Osten" sprachen. Die Europäer
haben richtigerweise nie ein Urheberrecht an dem Plan reklamiert,
sondern vielmehr darauf gehofft, dass die US-Regierung sich
energisch um seine Umsetzung bemüht.
Idealerweise sollte das Quartett auf dem anberaumten Treffen
sein Mandat neu definieren und deutlich machen, dass es sich
für die angesprochenen drei Schienen zuständig
fühlt. Dies wird vorerst aber wohl nicht geschehen. Angesichts
der Unwilligkeit der amerikanischen Regierung, selbst mit Syrien zu
sprechen oder Israel zu Verhandlungen mit Syrien zu ermutigen, ist
vielmehr zu erwarten, dass man sich allein auf den
israelisch-palästinensischen Konflikt konzentriert. Das muss,
da mehr von den USA nicht erreichbar ist, wohl akzeptiert werden,
hat aber seinen Preis: Denn wenn Damaskus befürchten muss,
dass zwar alle anderen Territorialprobleme im Nahen Osten, nicht
aber das des besetzten Golan gelöst wird, könnte es
erneut versucht sein, Fortschritte auf der palästinensischen
Schiene zu unterminieren. Vorstellbar wäre überdies, dass
das Quartett einen hochrangigen Beauftragten ernennt, der das
Vertrauen der US-Regierung genießt, aber für das
Quartett im ganzen sprechen und mit den lokalen und regionalen
Parteien Ideen und Lösungsansätze sondieren kann. Das
gilt gerade auch für jene nicht unmittelbar betroffenen
arabischen Staaten, die selbst eine aktive Rolle bei der
Konfliktlösung im Nahen Osten suchen: in erster Linie
Ägypten, Jordanien und Saudi-Arabien.
Zweitens wäre es richtig, in einer Zielbeschreibung oder
"Goal map" die wichtigs-ten legitimen nationalen Interessen der
Kernbeteiligten beschreiben. Dabei schließen sich diese
primären Interessen keineswegs aus, sondern legen eine
umfassende Friedenslösung für die vier Konfliktparteien
nahe. Vereinfachend kann man von den drei "S" und dem "I" sprechen:
Der Sicherheit Israels und der Staatlichkeit Palästinas, zudem
der Souveränität des Libanons und der territorialen
Integrität Syriens. Ein möglicher Quartettbeauftragter
müsste diese Grundinteressen im Gespräch mit den
einzelnen Parteien ausdefinieren: Was verlangt die Sicherheit
Israels, wie lässt sich die Staatlichkeit Palästinas
sichern, welche Garantien braucht es für die
Souveränität des Libanons?
Drittens, und hier wird vor allem die EU und ihre
Ratspräsidentschaft gefragt sein, muss es darum gehen,
Gesprächsfähigkeit herzustellen oder wieder herzustellen.
Dies ist möglicherweise die härteste Aufgabe, weil nicht
nur Israel und seine Nachbarn wieder miteinander ins Gespräch
kommen müssen, sondern weil es auch an der
Gesprächsfähigkeit zwischen einzelnen regionalen Akteuren
und der internationalen Gemeinschaft und, im Falle des Libanons,
sogar zwischen einzelnen lokalen Parteien mangelt. Hier kommt
erneut die syrische Schiene in den Blick.
Die israelische Regierung müsste zu der Überzeugung
gelangen, dass eine Wiederaufnahme der Verhandlungen über die
Golanhöhen Erfolg versprechen und auch zu einem
konstruktiveren Verhalten der syrischen Führung gegenüber
dem Libanon und dem israelisch-palästinensischen Prozess
beitragen kann. In Washington und auch in Paris gibt es derzeit
noch Widerstände gegen einen Dialog mit Damaskus. Die dortige
Führung hat allerdings mittlerweile begriffen, dass sie sich
bemühen muss, ihrerseits Kooperationswilligkeit zu
demons-trieren. Unkonditionierte Verhandlungs-angebote an Israel,
der Empfang des irakischen wie auch des palästinensischen
Präsidenten in Damaskus und die Unterstützung eines
innerpalästinensischen Dialogs sind richtige Signale gewesen.
Was noch fehlt, sind überzeugende Zeichen Syriens in Richtung
Libanon. Dort, im Libanon, fehlt allerdings auch ein ernsthafter
innerer Dialog. Deutschland oder andere EU-Staaten können hier
möglicherweise als Moderatoren einer Reformdebatte dienen.
Klar ist dabei, dass es keine Wiederherstellung syrischer Dominanz
im Nachbarland geben kann. Gerade deshalb ist es so wichtig, das
libanesische "S" so klar zu definieren wie das syrische "I".
Gesprächsverbot Mit Blick auf die palästinensischen
Gebiete geht es um Gesprächsfähigkeit anderer Art.
Derzeit sucht die internationale Gemeinschaft zwar das
Gespräch mit Präsident Mahmud Abbas; gegenüber der
gewählten, von der islamistischen Hamas-geführten
Regierung haben sich die meisten internationalen Akteure aber ein
Gesprächsverbot auferlegt. Die Isolierung der gewählten
Regierung hat nicht unwesentlich zum Chaos und zu einem effektiven
Abbau von Staatlichkeit in den palästinensischen
Autonomiegebieten beigetragen. Wenn die EU weiter zum Aufbau
staatlicher Institutionen und zur friedlichen Beilegung des
Konflikts beitragen will, wird sie Wege finden müssen, mit so
zentralen Beteiligten wie der Parlamentsmehrheit und der
gewählten Regierung ins Gespräch zu kommen. Gerade die
europäische Erfahrung mit internationalen Bemühungen um
Konfliktregelungen zeigt, dass diese ohne eine Einbeziehung der
zentralen Akteure keinen Erfolg bringen.
Als vierter, aber erst längerfristiger Schritt ist eine
internationale Konferenz mit den Hauptbeteiligten denkbar. Ziel
eines solchen Treffens wäre es, eine vom Quartett vorgelegte
"Goal map" als gemeinsame Zielmarke zu beschließen und dann
bilaterale Verhandlungen zu beginnen. Diese sollten parallel
zueinander ablaufen und damit allen Beteiligten eine Perspektive
bieten, um das Interesse aller an einem Erfolg des Unternehmens zu
erhöhen. Gute Vorbereitung ist dabei wichtiger als eine rasche
Durchführung der Konferenz; Initiativen einzelner EU-Staaten
könnten die Bemühungen der EU-Ratspräsidentschaft
und des Quartetts unterminieren.
Selbstverständlich müssen all diese Bemühungen
die USA als wichtigsten Pfeiler des Quartetts einbinden.
Bundesaußenminister Steinmeier hat bereits im Dezember 2006,
in Vorbereitung der deutschen Ratspräsidentschaft, in
Washington Überzeugungsarbeit für die Wiederbelebung des
Quartetts geleistet; Bundeskanzlerin Merkel erhielt dann bei ihrem
Besuch die notwendige Zustimmung von George Bush. Gleichwohl liegt
die Priorität des US-Präsidenten im Irak. Deshalb wird
die EU, wie in früheren Phasen, die wichtigsten Initiativen in
das Quartett einbringen müssen. Zumindest, das müssen
auch die amerikanischen Partner verstehen, sollten die USA diesen
Prozess nicht blockieren. Europa kann im Gegenzug dem
amerikanischen Präsidenten deutlich machen, dass die Arbeit
des Quartetts auch zur Umsetzung der "Bush-Vision" des Jahres 2002
beitragen kann: Die Aussicht auf "zwei Staaten, Israel und
Palästina, die friedlich Seite an Seite leben". George Bush,
der sich gegen Ende seiner Amtszeit zunehmend um seine "Legacy",
sein historisches Vermächtnis, sorgt, könnte durch eine
Realisierung dieser Vision tatsächlich positiv in die
Geschichtsbücher eingehen. Keinesfalls darf die EU sich ihre
Versuche, den israelisch-palästinensischen Dialog und die
Stabilisierung des Libanons notfalls durch eigene Bemühungen
um eine konstruktivere Haltung Syriens abzusichern, durch
amerikanisches oder israelisches Desinteresse verbieten lassen.
Dies bedeutet, im Zweifelsfall den zweiten und dritten Schritt auch
alleine zu gehen.
Internationale Initiativen im Nahost-Konflikt
- Nahost-Quartett Dem Gremium gehören die USA, die Vereinten
Nationen, die Europäische Union und Russland an. Ihre
Vertreter - die Außenminister der USA und Russlands sowie der
UN-Generalsekretär, der EU-Außenbeauftragter und der
EU-Präsident - bemühen sich als Vermittler um eine
friedliche Lösung des Nahost-Konflikts. Erstmals trat die
Initiative unter diesem Namen im April 2002 auf.
- Road Map Ein Drei-Stufen-"Fahrplan" des Nahost-Quartetts zur
Befriedung der Region, mit dem Ziel einen Palästinenserstaat
zu errichten. Die Road Map wurde 2002 von den
Außenministerien in Kopenhagen und Berlin erarbeitet. Obwohl
die ursprünglich vorgesehenen Fris-ten weitgehend ergebnislos
verstrichen, ist die Road Map ein wichtiges Bezugselement in den
Friedensvermittlungen geblieben.
Volker Perthes ist Direktor der Stiftung
Wissenschaft und Politik (SWP)