Ein Profiteur der Gesundheitsreform ist schnell ausgemacht:
die Papierindustrie. Mehr als 500 Seiten Gesetzentwurf (
16/3100 ), tausende Seiten Stellungnahmen von
Verbänden und Sachverständigen und rund 200
Änderungsanträge landeten in den vergangenen Monaten in
den Büros der Abgeordneten. Allein Beschlussempfehlung und
Bericht des federführenden Ausschusses (
16/4200 ,
16/4247 ) umfassen zusammen 370 Seiten. Keine
Frage: Allein von ihrem Volumen ist die Reform eine große.
Wer mit dem zentralen Koalitionsvorhaben gewinnt, wer verliert,
darüber gab es in der zweistündigen parlamentarischen
Schlussdebatte am 2. Februar freilich sehr unterschiedliche
Meinungen. Die Opposition hielt nicht nur die Reform, sondern auch
das parlamentarische Verfahren geschlossen für "Murks" und
forderte - ohne Erfolg - im Plenum und in
Entschließungsanträgen (
16/4217 ,
16/4221 ,
16/4218 ) Regierung und Koalition auf, noch
einmal von vorn anzufangen.
Gegenstimmen aus der Koalition Trotz 43 Gegenstimmen auf
Seiten von Union und SPD bekam der im Vergleich zum Ausgangstext
deutlich veränderte Gesetzentwurf im Bundestag eine Mehrheit.
In namentlicher Abstimmung votierten 378 Abgeordnete für das
Reformwerk. 207 stimmten dagegen, acht enthielten sich. Stimmt der
Bundesrat am 16. Februar ebenfalls zu, kann die Gesundheitsreform
am 1. April nach einem knapp einjährigen Verhandlungsmarathon
in Kraft treten. Allerdings rechneten mehrere Koalitionspolitiker
bereits damit, dass erst das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe
das letzte Wort über die Reform haben wird.
Für Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) steht
fest, dass Versicherte und Patienten "die Nutznießer" sein
werden. Als "großen sozialpolitischen Durchbruch" feierte sie
die neue Versicherungspflicht. "Für Menschen ohne Schutz
heißt es jetzt: Willkommen in der Solidarität", betonte
die Ministerin. Schätzungen zufolge sind bis zu 300.000
Menschen in Deutschland nicht krankenversichert. Mit Blick auf den
Gesundheitsfonds, der wie der Basistarif in der privaten
Krankenversicherung (PKV) Anfang 2009 starten soll, fügte
Schmidt hinzu, es sei "solidarisch, wenn alle den gleichen
Prozentsatz für die Versorgung aufbringen". Wenn sich der
"Pulverdampf der Lobbyisten" verzogen habe, "wird man sehen, was in
der Reform steckt".
CSU-Gesundheitsexperte Wolfgang Zöller ergänzte, die
Reform sei "wesentlich besser als ihr Ruf". Der Leistungsumfang der
gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) werde nicht
eingeschränkt, sondern in bestimmten Bereichen sogar
ausgeweitet. So werde es in der Versorgung Schwerstkranker und
Sterbender Verbesserungen geben, erläuterte der
stellvertretende Fraktionsvorsitzende. Seine CDU-Kollegin Annette
Widmann-Mauz sagte, künftig könnten die Kassen
Einzelverträge mit Ärzten, Krankenhäusern,
Arzneimittelherstellern und Apotheken abschließen. Diese
werde zu erheblichen Kosteneinsparungen führen.
Die FDP-Fraktion kritisierte unter anderem, dass Schwarz-Rot
in letzter Minute den Bundeszuschuss an die gesetzlichen
Krankenkassen aufgestockt hat. In diesem und im kommenden Jahr
sollen die Kassen jeweils 2,5 Milliarden Euro und 2009 4 Milliarden
Euro aus Steuermitteln erhalten. Dem Bund werde das Geld für
andere Aufgaben fehlen, etwa in der Bildungs- oder Familienpolitik,
prophezeite FDP-Fraktionschef Guido Westerwelle.
Der gesundheitspolitische Sprecher der Linksfraktion, Frank
Spieth, bemängelte, dass mit dem Gesetz das Einnahmeproblem
der GKV nicht gelöst werde. So habe die Große Koalition
die gesetzlich vorgesehene Beitragsbemessungsgrenze in Höhe
von 3.562 Euro unangetastet gelassen. Die Zeche zahlten Versicherte
mit kleinen und mittleren Einkommen. Die Gesundheitsexpertin von
Bündnis 90/Die Grünen, Birgitt Bender, monierte, dass
künftig beispielsweise Krebskranke, die nicht an den
Vorsorgeuntersuchungen teilnehmen, nicht wie bisher maximal ein,
sondern zwei Prozent an Zuzahlungen leisten müssten. Das sei
Pädagogik mit dem "Rohrstock", so Bender.
Und aus Sicht der Verbraucher? Der Gesundheitsreferent der
Verbraucherzentrale Bundesverband, Stefan Etgeton, urteilt: "Die
Versicherten sind die Verlierer der Reform." In den vergangenen
Wochen hätten die Lobbyisten der PKV, der Ärzte, der
Krankenhäuser und Apotheken noch einmal Erfolge erzielt.
"Dafür kommen die Krankenkassen und letztlich die Versicherten
auf", sagte Etgeton dieser Zeitung. Weitere Beitragssteigerungen
seien die Folge. Etgeton betont allerdings auch, dass die Reform
für Patienten Vorteile bringe - etwa weil empfohlene
Impfungen, Eltern-Kind-Kuren und Reha-Behandlungen zu
Pflichtleistungen der Kassen würden.
Alle Stellungnahmen zur Gesundheitsreform unter:
www.bundestag.de/ausschuesse/a14/