TREIBHAUSGAS
Forschungsprojekte testen die Abtrennung von Kohlendioxid bei der Stromproduktion und die Speicherung des Schadstoffes in der Tiefe.
Die Blicke richten sich ausgerechnet auf die Lausitz. Das ungewohnte Interesse hat seinen guten Grund: Neben dem Großkraftwerk Schwarze Pumpe bereitet Vattenfall die erste deutsche Pilotanlage vor, bei der Kohlendioxid nicht in die Luft gepustet, sondern abgespalten wird - um das Treibhausgas dann "klimaneutral" unterirdisch deponieren zu können. Mitte 2008 soll das 60 Millionen Euro teure Braunkohle-Testkraftwerk mit 30 Megawatt in Betrieb gehen.
Es existieren mehrere Methoden zur Abtrennung von Kohlendioxid, in der Lausitz wird das auf einer speziellen Verbrennungstechnik fußende Oxyfuel-Verfahren weltweit erstmals erprobt. Angesichts des Know-hows bei der Stromproduktion wie der Kenntnisse der Erdgasbranche beim Umgang mit ihren Lagerstätten, die für eine Speicherung von Kohlendioxid prinzipiell in Frage kommen, zeigt sich Ingolf Arnold als Vattenfall-Verantwortlicher für Geotechnik "optimistisch, dass wir das umsetzen können". Damian Müller, für das Oxyfuel-Kraftwerk zuständig, ist überzeugt, über 90 Prozent des Kohlendioxids zurückhalten zu können.
Auch die brandenburgische Kleinstadt Ketzin taucht plötzlich in Schlagzeilen auf. In dem Ort hat das Potsdamer Geoforschungszentrum (GFZ) Bohrungen für ein von Bundesregierung und EU mitfinanziertes 35-Millionen-Euro-Projekt begonnen, bei dem von Juni an die Sicherheit der Kohlendioxid-Lagerung erforscht werden soll. Schließlich soll das Treibhausgas für Jahrtausende in der Tiefe verschwinden. Bei Ketzin will das GFZ nach und nach 60.000 Tonnen Kohlendioxid etwa 800 Meter tief in salzführende Gesteinsformationen pressen. Wegen des hohen Drucks in der Tiefe verwandelt sich das Gas in ein "superkritisches Fluid", das sich wie eine Flüssigkeit verhält. In vielen Ländern wird die Kohlendioxidabscheidung erforscht, auch Sequestrierung genannt. Hierzulande war dies bislang lediglich ein Thema für Fachleute in kleinen Kreisen. Doch die Debatte um die dramatische Erderwärmung hievt diese Technik unvermittelt auf die öffentliche Tagesordnung. Auch der Umweltausschuss des Bundestags befragte jetzt Sachverständige zu Chancen und Problemen der Kohlendioxidabspaltung und
-deponierung.
Eigentlich ein naheliegender Gedanke: Man entsorgt das Treibhausgas statt es in die Luft zu blasen und so die Atmosphäre aufzuheizen. Nun formulieren manche Stimmen im Öko-Lager Einwände. Tenor: lieber erneuerbare Energien ausbauen und so Kohlendioxid gar nicht erst entstehen lassen anstatt es nachträglich teuer abzusondern und risikobeladen zu speichern. Für Matthias Seiche, Klimaexperte beim BUND, ist die Pilotanlage in Schwarze Pumpe "nicht mehr als ein Feigenblatt". Bei der Anhörung weist Gabriela von Goerne (Greenpeace) darauf hin, dass sich Kohlestrom im Falle einer Seques- trierung auf das Doppelte verteuern würde: "Die Kosten tragen die Verbraucher." Diese Elektrizität wäre dann kaum noch billiger als Strom aus regenerativen Energien. Dann solle man doch gleich in diesen Sektor mehr Geld investieren.
Indes findet die Abscheidung auch bei Umweltwissenschaftlern Zustimmung, wenn auch mit gewissen Vorbehalten. Im Vordergrund müssten natürlich, so Harry Lehmann vom Umweltbundesamt, erneuerbare Energien, Energieeffizienz und Sparen stehen. Als Übergangstechnologie für einen begrenzten Zeitraum mache die Kohlendioxidabtrennung jedoch Sinn. Auch aus Sicht Ottmar Edenhofers vom Potsdam-Institut für Klimaforschung sollte man angesichts der in drastischem Umfang erforderlichen Reduzierung der Treibhausgase diese Technik mit in Betracht ziehen. Felix Matthes vom Öko-Institut schätzt, dass über die Sequestrierung in den nächsten fünf Jahrzehnten in Deutschland 25 Millionen und in der EU 100 Millionen Tonnen jährlich entsorgt werden könnten.
Laut Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) existieren besonders in der norddeutschen Tiefebene in Erdgaslagerstätten, so sie ausgebeutet sind, Kapazitäten von fast drei Milliarden Tonnen für die Kohlendioxidspeicherung. Johannes Peter Gerling von der BGR schätzt, dass man in der Bundesrepublik über mehrere Jahrzehnte bis zu 100 Millionen Tonnen Kohlendioxid jährlich deponieren kann.
Indes klingt vieles nach Zukunftsmusik: Gasabscheidung im Kraftwerk, Transport in Pipelines, auf Straße oder Schiene, sichere Speicherung in gigantischen Lagerstätten - und alles zu wirtschaftlichen Bedingungen. Das ist erst noch in der Praxis zu testen. Edenhofer meint, man benötige mindestens zehn Forschungsprojekte. Geklärt werden müssen auch Fragen wie etwa Haftungsrisiken im Falle von Speicherlecks oder die Verantwortung für die lang- fristige Überwachung einer Deponie. Falls der kommerzielle Einsatz der Sequestrierung in großem Stil überhaupt gelingt, dann wird dies für Fachleute wie Matthes oder Lehmann frühestens von vom Jahr 2020 an der Fall sein. Für den Kampf gegen die Klimakatastrophe spielt jedoch nach Auffassung nicht weniger Wissenschaftler die Minimierung des Kohlendioxidausstoßes in den nächsten 15 Jahren eine zentrale Rolle.