NEUE LINKE
WASG und Linkspartei wollen fusionieren. Mit dem Dortmunder Beschluss erweitern sie das Parteienspektrum. Für die SPD wird es damit im linken Lager immer enger.
Das tut weh. Ausgerechnet jetzt. Ausgerechnet hier. Mitten in der Herzkammer der Republik, wie Herbert Wehner das Ruhrgebiet einmal genannt hat. Hier im ehemaligen Stammland der Sozialdemokraten, genauer in Dortmund unter dem großen Unionspils "U", das weithin sichtbar über der Stadt prangt, hier in der Westfalenhalle formiert sich eine neue Kraft. Sie will der SPD links das sprichwörtliche Wasser, in diesem Fall die Wähler abgraben. Die Herzkammer droht zur Schmerzkammer für die Sozialdemokraten zu werden.
Zielstrebig haben die Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit (WASG) und die Linkspartei.PDS am 24. und 25. März die nunmehr seit 2005 vorbereitete Parteifusion beschlossen. Die klaren Voten zum Verschmelzungsvertrag - bei der Linkspartei hob nicht einer seinen Arm gegen die Fusion, bei der Wahlalternative stimmten knapp 88 Prozent dafür - belegen den nahezu unbändig erscheinenden Willen zum Zusammenschluss. Dafür werden auch Kompromisse jenseits der Schmerzgrenze eingegangen. Oder - wie Lothar Bisky, Parteivorsitzender der Linkspartei und wohl designierter Chef der vereinten Linken - es am Parteitagssamstag formulierte: "Die Frage, wie lang Regenwürmer sind" solle doch bitteschön noch um ein Jahr verschoben werden, schließlich habe jetzt die Bildung der neuen Partei "absolute Priorität".
Dieser Vorrang, mit dem die Dortmunder Parteitage den in der Geschichte der Bundesrepublik einmaligen Parteizusammenschluss besiegelten, macht den deutschen Sozialdemokraten Angst. Ähnlich klar werden wohl auch die Mitglieder beider Parteien in den bis zum 18. Mai stattfindenden Urabstimmungen für die Fusion votieren - dort reicht die absolute Mehrheit. Mit dem Zusammenschluss von Linkspartei.PDS und WASG entsteht erstmals eine ernstzunehmende, gesamtdeutsche Partei links der SPD. Diese will diejenigen ansprechen, die sich von der SPD nicht mehr vertreten fühlen, oder die - wie es bei vielen Parteitags-Delegierten heißt - "von der SPD verraten" wurden. Allen voran die so genannten Transferleistungsempfänger - Menschen, die von Rente, Arbeitslosengeld oder Hartz IV leben. Aber auch Menschen, die noch Arbeit haben, die ihr Kreuzchen bisher immer bei den Sozialdemokraten gemacht haben. Wähler, für die die SPD aber mittlerweile nichts anderes mehr ist, als ein "kapitalistischer Erfüllungsgehilfe", der die Rente mit 67 ebenso beschließt wie Sozialabbau und Tornadoeinsatz.
"Wir sind interessiert an Gewerkschaftern und Betriebsräten", gibt Oskar Lafontaine am Sonntagmorgen am Eingang zur Westfalenhalle 2 die Marschrichtung vor. Drinnen berät gerade die Linkspartei über PE 113-018, einen Änderungsantrag des Kreisverbandes Nürnberg/Fürth zu den Grundsätzen für eine Regierungsbeteiligung. "Nach der Fusion", die ja nur noch Formsache sei, "beginnt der Aufbau West", formuliert er gewohnt sloganhaft. Es sind Sätze, wie man sie von ihm kennt, Sätze, wie man sie an so einem Tag hören will, Sätze, die "Oskar" - wie er unter den Genossinnen und Genossen hier kumpelig nur genannt wird - gut kann. Sie machen ihm sichtbar Spaß und sie treffen die deutsche Sozialdemokratie ins Mark. Deshalb machen sie "Oskar" ja so einen Spaß. Genau diese Worte lassen Vize-Kanzler Franz Müntefering sagen: "Lafontaine hat die Partei und die linke, sozialdemokratische Idee verraten". Für ihn ist der Saarländer "der größte Populist, die größte Ich-AG der Republik".
Aber auch die Fälle, von denen Wolfgang Zimmermann, WASG-Landeschef in Nordrhein-Westfalen, nicht ganz ohne Stolz berichtet, treffen die SPD: Sie belegen, dass an Lafontaines Nachsatz zur Gewerkschafter-und-Betriebsrats-Aussage etwas dran ist. "Da kommen wir voran", hatte Oskar noch gesagt. Er werde zum Beispiel am 1. Mai auf einer DGB-Kundgebung in Zwickau sprechen, verrät Lafontaine. Das ist für ihn "Vorankommen". Die Ausladung von vier SPD-Rednern von bayerischen DGB-Kundgebungen, darunter auch der Chef der SPD-Landesgruppe im Bundestag, Florian Pronold, ist auch "Vorankommen"; das sei ja wohl ein klares Zeichen, sagt Oskar mit einem Grinsen auf dem wie so oft hochroten Gesicht. Genugtuung schwingt da mit - für alles in der SPD Erlittene.
Bei Wolfgang Zimmermann ist das "Vorankommen" ähnlich konkret. Erst Ende vergangenen Jahres sei beispielsweise der Vorstandssprecher des Grünen Kreisverbandes in Solingen, Gerd Schlupp, nach 23 Jahren bei den Grünen aus- und bei der WASG, eingetreten. Die Zustimmung zu den Auslandseinsätzen der Bundeswehr und die "Bestrafung der Arbeitslosen durch Hartz IV" hatten Schlupp so sehr geärgert, dass es "höchste Zeit zu gehen" war. "Vorankommen" sogar bei den Grünen, Zimmermann freut das sichtbar.
Gewerkschaftlich trägt das "Vorankommen" in Nordrhein-Westfalen, dem deutschen Arbeiterbundesland, für Zimmermann unter anderem die Namen Gabriele Schmidt, Guntram Schneider und Frank Richter. Alle drei sind führende NRW-Gewerkschafter: Schmidt ist NRW-Landesbezirksleiterin bei ver.di, Schneider steht dem DGB-Bezirk NRW vor und Richter ist Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei in Nordrhein-Westfalen. Sie haben in den vergangenen Monaten auf WASG-Veranstaltungen, Landeskonferenzen und -parteitagen gesprochen. Das zeige ja wohl die Nähe zwischen der WASG und den Gewerkschaften, sagt Zimmermann und schildert noch "brühwarm" den aktuellen Fall eines "hochrangigen" ver.di-Funktionärs aus NRW, der kurz vor dem Eintritt in die WASG stehe. "Die Beitrittserklärung ist auf dem Weg", sagt Zimmermann. Es fehle bloß noch die Unterschrift. Bis dahin allerdings wolle der Genosse seinen Namen noch nicht in der Zeitung lesen, auch wenn er "voll und ganz" zu seiner neuen Partei stehe, beteuert Zimmermann. Aber schön eines nach dem anderen eben.
Auch dass er vor knapp drei Wochen neben den beiden Fraktionsvorsitzenden im NRW-Landtag, Hannelore Kraft (SPD) und Sylvia Löhrmann (Bündnis 90/Die Grünen), zu gut 20.000 Menschen auf einer Demonstration gegen die Reform der Gemeindeordnung gesprochen hat, wertet Zimmermann als "Vorankommen".
Eben diese Fälle sind es, die unter anderem Ottmar Schreiner Sorgen machen. Für den SPD-Linken ist die neue Linke, deren endgültige Fusion auf einem Vereinigungsparteitag am 16. Juni in Berlin vollzogen werden soll, eine "sehr ernst zu nehmende Herausforderung für Sozialdemokraten". Er sieht die SPD in der Gefahr, "Teile der heimatlos gewordenen Unterschichten an die linke Konkurrenzpartei zu verlieren".
Diese Unterschichten sprechen die neuen Linken mit Beschlüssen an wie "Hartz IV muss weg", "Rente mit 60" und "Wohnen ist ein Menschenrecht und gehört in das Grundgesetz". Ideen und realistische Pläne zur Finanzierung bleiben die Linken dabei schuldig.
Auch wenn die Beratung der programmatischen Eckpunkte für die neue Partei recht mühsam, weil umfangreich war: Wirklich umstritten war weniges. Die größte Wallung entstand am Sonntagmorgen: Grüppchenbildung bei der Linkspartei, Sarah Wagenknecht und Cornelia Hirsch stecken die Köpfe zusammen mit Dietmar Bartsch und Bodo Ramelow. Aufregung. Angeblich habe die WASG beim Thema Regierungsbeteiligung etwas anderes beschlossen als vor dem Parteitag in mühsamer Kleinarbeit ausgehandelt worden war. Die WASG will den Personalabbau im öffentlichen Dienst generell stoppen, die PDS will das "so nicht". WASG-Chef Klaus Ernst kommt herübergeeilt. Vermittelt - typisch bayrisch gelassen. Worte wie "parteipolitisches Hickhack" und "Schweinerei" dringen aus dem Getümmel. Die Linkspartei fühlt sich hintenherum kritisiert - "da geht es nur um Berlin", sagt einer. Dort, wo gerade die Berliner Sparkasse und landeseigene Wohnungen verkauft werden sollen, ist die PDS zusammen mit der SPD an der Regierung.
Der Streit in Westfalenhalle 2 ist ebenso schnell vorbei, wie er begonnen hat. Schließlich "wollen wir hier ja nicht alle Einzelheiten diskutieren", heißt es. Doch dieses kurze "Intermezzo" zeige, wie ein WASGler im orangenen Wahlalternativen-Shirt sagt, dass die Parteitage nicht grundsätzliche Unstimmigkeiten ausräumen konnten. Er ist gerade aus Halle 3 herübergekommen, um zu sehen, wie es "hier rund geht". Vieles werde "Die Linke." beim ersten, echten gemeinsamen Parteitag 2008 wohl erst ausführlicher diskutieren können, meint er und scheint darüber ganz froh zu sein.
Darauf unter anderem hoffen führende Sozialdemokraten wie Hubertus Heil, Generalsekretär der Partei. Er hat in den vergangenen Tagen das Herunterspielen der möglichen Gefahr von links zur Taktik erhoben. Für ihn ist die geplante Linke "kein politikfähiges Modell", vielmehr eine "merkwürdige Truppe" deren "rückwärtsgewandtes, populistisches Projekt zum Scheitern verurteilt ist".
Der Gegenschlag der Linken ließ nicht lange auf sich warten: Öffentlichkeitswirksam unterzeichneten Lafontaine, Gysi, Bisky und WASG-Chef Klaus Ernst vergangene Woche die Unterschriftenliste der SPD für die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns. Gregor Gysi sagte, man wolle die SPD "vorführen". Oskar Lafontaine würde wohl sagen, man wolle "vorankommen".
Für die SPD ist das Wortklauberei. Ihr tut beides weh.