Untersuchungsausschuss
Steinmeier und Schily verteidigen die Einreisesperre gegen Kurnaz. Doch warum durfte der Türke 2006 doch zurückkehren?
Nun habe die Opposition "ihr Pulver verschossen", triumphiert Thomas Oppermann im Getümmel der TV-Kameras. Für den SPD-Obmann offenbaren die Vernehmungen von Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Ex-Innenminister Otto Schily (beide SPD) bei einer Marathonsitzung des Untersuchungsausschusses, dass die deutsche Seite "keine Schuld" am jahrelangen Verbleib von Murat Kurnaz in Guantanamo treffe.
Immerhin meint auch der Grüne Hans-Christian Ströbele, dass dem einstigen Kanzleramtschef Steinmeier wohl "kein persönliches Verschulden" für die "verhängnisvolle Entscheidung" vom Oktober 2002 anzulasten sei, gegen den in Bremen aufgewachsenen Türken wegen dessen bloß auf vagen Verdachtsmomenten beruhender Einschätzung als eines terroristischen "Gefährders" eine Einreisesperre für den Fall seiner Freilassung durch die USA zu verhängen.
Ist die "Luft raus aus dem Fall Kurnaz", ist der "Zenit dieser Affäre" überschritten, wie es in ersten Medienkommentaren heißt? Wer Rücktritt oder Verbleib eines Ministers zum Maßstab für die Bewältigung eines politischen Konflikts macht, dürfte die Causa Kurnaz ad acta legen wollen.
Schily, der zur Entlastung Steinmeiers sämtliche Verantwortung für sich reklamiert ("Das nehme ich auf meine Kappe"), kann ohnehin nicht mehr demissionieren. Jedenfalls sind die immer mal wieder zu hörenden Rücktrittsforderungen an die Adresse des Außenamtschefs weithin verstummt.
Mit ihrem offensiven Auftreten, bei Schily scheint zuweilen eine herrische Attitüde auf, demonstrieren die beiden SPD-Matadore ihrerseits, dass sie ihre Befragung keineswegs als Canossagang ansehen. Öfters fahren sie Abgeordneten in die Parade. Steinmeier, der zunächst betont sachlich eine einstündige Erklärung verliest, kanzelt eine Frage Wolfgang Nescovics schon mal als "sinnlos" ab. Oder er fällt dem Linkspolitiker ins Wort: Er müsse "frühzeitig intervenieren, wenn Sie Ihre Fragen für Unterstellungen nutzen".
Schily liefert sich scharfe Wortgefechte mit Parlamentariern. "Da werde ich energisch": So insistiert er gegenüber der CDU-Politikerin Kristina Köhler, dass die Verantwortung für Guantanamo bei den USA und nicht bei der deutschen Regierung zu suchen sei. Anderen Abgeordneten empfiehlt er, "die Frau Bundeskanzlerin vorzuladen". Oder: "Fragen Sie doch die Amerikaner." Beim Streit um Details heißt es knapp: "Ihr Kenntnisstand ist besser als meiner."
Die zwei SPD-Politiker haben sichtlich das Gefühl, die Walstatt als Sieger zu verlassen, Steinmeier spricht von "absurden Anschuldigungen". Jenseits des Showdowns im politischen Stahlgewitter offenbaren deren Vernehmungen indes brisante Probleme, die über den Einzelfall Kurnaz hinausweisen.
Immerhin war der nach seiner Festnahme Ende 2001 in Pakistan über Afghanistan nach Guantanamo gebrachte junge Mann bis August 2006 in einem rechtsfreien Raum eingekerkert, obwohl er nie etwas mit terroristischen Aktivitäten zu tun hatte.
Auf Nachfrage des FDP-Abgeordneten Max Stadler bekundet Steinmeier, aus dessen Sicht Kurnaz durchaus "Schlimmes erlitten hat", wenigstens ein "Wort des Bedauerns". 2002 seien ja auch keine "seelenlosen Sicherheitsfanatiker" am Werk gewesen, so der Minister.
Hinter dem Streit über die Stichhaltigkeit der 2002 gegen Kurnaz vorliegenden Verdachtsmomente verbirgt sich das Kernprob- lem der Affäre Kurnaz: Die Schwelle, von der an jemand unter Verdacht gestellt werden kann, liegt offenkundig sehr niedrig -und dies vermag drastische Folgen nach sich zu ziehen.
Für Schily und Steinmeier ging es bei dem Türken nicht um eine Schuldfrage, der Ex-Innenminister nennt den Bremer im strafrechtlichen Sinne ausdrücklich unschuldig. Die beiden SPD-Politiker beharren jedoch darauf, dass Kurnaz im Herbst 2002 als "Sicherheitsrisiko" habe eingestuft werden müssen, weswegen man ihn von Deutschland habe fernhalten wollen.
Es habe das "Gerücht" im Raum gestanden, so der ehemelige Kanzleramtschef und heutige Außenminister Steinmeier, dass der Türke im Rahmen einer Gruppenentlassung eventuell die Freiheit erlangen könnte. Schily setzt noch eins drauf: Selbst wenn Kurnaz aus Pakistan in die Bundesrepublik zurückgekehrt wäre, hätte man ihn wegen seiner "Gefährdungseinschätzung" in die Türkei ausweisen müssen.
Die beiden Politiker führen eine Reihe von Indizien ins Feld: u.a. islamistische Radikalisierungstendenzen, ein "nicht völlig harmloses Bremer Umfeld" (Steinmeier), die "unglaubwürdige Darstellung" (Schily), in Pakistan religiöse Studien betreiben zu wollen, "spontane" (später freilich revidierte) Zeugenaussagen über geplante Kampfeinsätze in Afghanistan, der (von der Opposition angezweifelte) Kauf eines Kampfanzugs.
Jedoch müssen auch nach dem Bremer Innensenator Thomas Röwekamp solche vor allem vom Verfassungsschutz der Hansestadt gesammelten Informationen als ungesichert gelten. Hinterfragen nun Stadler, Nescovic und Ströbele die Stichhaltigkeit der Verdachtsmomente, so ziehen sich Steinmeier und Schily geschickt aus der Affäre: Im einzelnen seien sie damit nicht befasst gewesen, sie hätten sich auf die Spitzen der Geheimdienste und des Bundeskriminalamts verlassen.
Mit einem karikierenden Witz sucht Schily eine besonders heikle Schwachstelle auszubügeln: Kurz vor der Verhängung der Einreisesperre waren deutsche Geheimdienstmitarbeiter nach einem Verhör in Guantanamo zu der Überzeugung gelangt, dass von Kurnaz keine Gefahr ausgehe. Das erinnere ihn, so der Ex-Minister, an ein Verteidigerplädoyer in einem Prozess: "Herr Vorsitzender, mein Mandant ist unschuldig, das hat er mir selbst gesagt."
Schily merkt an, selbst heute seien nicht alle Vorwürfe gegen Kurnaz ausgeräumt. Diese Strategie erbost die Opposition, deren drei Obleute am Tag vor dem Auftritt der SPD-Politiker eine Pressekonferenz veranstalten: Es sei "schäbig" (Stadler), den Bremer immer noch als Sicherheitsrisiko darzustellen, Nescovic attackiert eine "Rufmordkampagne".
Allerdings bringt der Verweis auf angeblich nicht entkräftete Verdachtsmomente vor allem Steinmeier in die Bredouille. Schließlich konnte Kurnaz im Sommer 2006 unter Kanzlerin Angela Merkel nach Deutschland zurückkehren. Ließ Merkel, die sich gegenüber den USA für den Bremer Türken einsetzte, etwa einen "Gefährder" ins Land?
Auf eine entsprechende Frage Kristina Köhlers wird der Ressortchef einsilbig: Das habe die Kanzlerin so entschieden, "wen auch immer sie zu Rate gezogen hat". Ansonsten überrascht Steinmeier mit einer neuen Interpretation der Freilassung von Kurnaz 2006: Die USA hätten ihrerseits die Zahl der Guantanamo-Gefangenen reduzieren wollen, nachdem auch innenpolitisch die Kritik an den Methoden der Terrorbekämpfung gewachsen sei. Für Köhler konnte Steinmeier nicht überzeugend darlegen, wieso er unter Gerhard Schröder gegen und unter Angela Merkel für eine Einreise von Kurnaz war.
Die beiden Zeugen insistieren, dass nicht die rotgrüne Regierung für den Verbleib von Kurnaz in Guantanamo verantwortlich sei: Schließlich hätten ihn die USA jederzeit freilassen und in die Türkei überstellen können. Aber wäre er dort aufgenommen worden? Die Opposition äußert Zweifel. Vielleicht, meint Ströbele, sah Ankara in Kurnaz trotz der türkischen Staatsbürgerschaft wegen dessen Bremer Heimat vor allem einen Deutschen. Fiel er zwischen Berlin, Ankara und Guantanamo irgendwie durch den Rost?
Auch ein anderer neuralgischer Punkt wird nicht geklärt. Akribisch fragt Nesovic nach, ob eventuell die nur auf vagen Verdachtsmomenten beruhenden deutschen Erkenntnisse über Kurnaz die USA erst dazu brachten, ihren Gefangenen nach Guantanmo zu schaffen. Steinmeiers Antworten erhellen dieses Problem letztlich nicht.
Man habe sich damals "nicht in einem geordneten Rechtshilfeverfahren befunden". Im Übrigen hebt der Minister hervor, dass der Informationsaustausch unverzichtbar für die Terrorismusbekämpfung sei. Da lässt die Opposition schon mal eine Forderung für den Abschlussbericht zum Fall Kurnaz anklingen: Die Nachrichtenübermittlung zwischen Geheimdiensten müsse strenger geregelt werden.