ULRICH SARCINELLI
Mit der Fusion von WASG und Linkspartei wächst zusammen, was nicht zusammengehört
Die SPD sorgt sich, ihre Wähler an die neue Linke zu verlieren. Zu recht?
Man muss die Situation auf Bundes- und Länderebene unterscheiden. Auf Bundesebene sind die Linken nach jetziger Sicht keine sehr starke Kraft und auch kein möglicher Koalitionspartner - zumindest so lange nicht, wie Oskar Lafontaine Co-Vorsitzender ist. Die gepflegten Parteifeindschaften sind zu groß.
Die Linke ist eine merkwürdige Synthese, ein Zusammenschluss von zwei ganz unterschiedlichen Brüdern. Frei nach Willy Brandt könnte man sagen: Hier wächst zusammen, was nicht zusammengehört. Einerseits eine Partei, die im Osten teilweise Volksparteicharakter hat und in Regierungsverantwortung zu pragmatischer Politik gezwungen ist. Andererseits die WASG, die sich bisher als Fundamentalopposition verstanden hat und die in Konfrontation zur etablierten Politik steht.
So lange diese Dichotomie besteht, hat die Sozialdemokratie auf Bundesebene kein großes Problem. Gleichwohl hat die neue Linke natürlich Einfluss auf Koalitionsoptionen.
Wieviel Prozentpunkte trauen Sie der Linken zu?
Wenn sich die Partei bei fünf bis zehn Prozentpunkten einpendelt, was ich für realis- tisch halte, könnte nach der nächsten Bundestagswahl durchaus eine Konstellation entstehen, die erneut eine große Koalition erzwingt.
Ist die neue Linke die neue Sozialdemokratie?
Es kommt in den nächsten Monaten und Jahren darauf an, wie es der SPD gelingt, Reformpolitik innerparteilich zu kommunizieren. Unter Gerhard Schröder existierte ein top-down-Stil, eine Reformpolitik am Lebensgefühl weiter Teile der Sozialdemokratie und an den Kommunikationsbedürfnissen der Parteibasis vorbei.
Die Aussagen von SPD-Parteichef Kurt Beck, die Partei solle mit den Reformen nun erst einmal "halb lang" machen, deuten darauf hin: Man ist hier sensibel dafür geworden, dass Reformpolitik mit dem innerparteilichen Ellbogen auf Dauer nicht durchzu- setzen ist.
Ist die Parteifusion - wie Ihr Kollege Eckard Jesse sagt - der Anfang vom Ende der Linkspartei?
Mit der Vereinigung können die Konflikte, zwischen den unterschiedlichen Biografien, Politikvorstellungen und Weltbildern nicht einfach versöhnt werden. Wir werden eine Phase erleben, in der die Partei diese Konflikte um konkrete politische Inhalte, um Kompromissbildung und Koalitionsfragen austragen muss. Mir fehlt momentan die Vorstellung, dass die WASG eine linkssozialistische Traditionspartei wie die PDS umpolen könnte. Ich glaube nicht, dass mittel- und kurzfristige Untergangsprognosen angebracht sind.
Welche Auswirkungen hat die Fusion auf das deutsche Parteiensystem?
Das ist die Fortsetzung eines seit einigen Jahren beobachtbaren Prozesses: Nach einer langen Phase der Konzentration des Parteiensystems in Deutschland, sind wir nun in einer Phase der Ausdifferenzierung. Man könnte auch sagen: Im Vergleich zu anderen westlichen Staaten findet eine politische Normalisierung statt.
Wie beurteilen Sie die Bedeutung von Oskar Lafontaine für die neue Partei. Nutzt oder schadet er der Akzeptanz?
Oskar Lafontaine ist ein alter politischer Hitzkopf. Er ist jemand, der ungeheuer stark Emotionen mobilisieren kann und in der Lage ist, politisch zu polarisieren. Und er ist die Symbolfigur des Westteils der Partei. Aber wenn man politischen Erfolg nicht nur in Wahlkampfmobilisierung und in Wahlergebnissen misst, sondern auch politisch strategische Optionen als Koalitionspartner sieht, ist Lafontaine eine Figur, die strategische Optionen verengt und nicht erweitert.
Das Interview führte Sebastian Hille