NICHTRAUCHERSCHUTZ
Ausnahmen bleiben die Regel. Dafür sorgen die Länder.
Jeder macht weiterhin was er will -bundesweit einheitliche Regelungen zum Nichtraucherschutz wird es auch zukünftig nicht geben. Dieses ernüchternde Fazit gilt es derzeit im Streit um den Schutz vor dem Passivrauchen zu ziehen. Trotz wochenlanger Diskussionen sind nach wie vor Ausnahmen die Regel. Auch wenn gern und laut davon geredet wird, der Nichtraucherschutz in Deutschland sei auf einem guten Weg, zeigen die von einigen Bundesländern vorgeschlagenen Regelungen in eine andere Richtung. Während man sich in Niedersachsen Eckkneipen ohne blauen Dunst nicht vorstellen mag, man in Mecklenburg-Vorpommern um die Existenz von Dorfkneipen im Falle eines Rauchverbots fürchtet, sorgt man sich in Bayern um die Bierzeltkultur und verlangt Ausnahmen für Bier- und Festzelte. Effektiver Nichtraucherschutz sieht anders aus.
Dabei sind die erschütternden Zahlen lange bekannt. Pro Jahr sterben bis zu 140.000 Menschen an den Folgen des Tabakkonsums -rund 3.300 Tote jährlich sind die Folge des Passivrauchens. Für den Vorsitzende des Marburger Bundes, Dr. Frank Ulrich Montgomery sind derartige Ausnahmeregelungen daher inakzeptabel. "Gesundheitsschutz ist nicht teilbar", so Montgomery an die Adresse der Ministerpräsidenten. Doch sein Appell bleibt wohl ungehört. Zwar verabschiedete Bayern unlängst als erstes Bundesland ein eigenes Nichtraucherschutzgesetz, doch auch darin wimmelt es von Ausnahmen. Dass in Behörden, Krankenhäusern, Alten- und Pflegeheimen und in Einrichtungen für Kinder und Jugendliche künftig ein striktes Rauchverbot gelten soll, ist sicher aller Ehren wert. Bedenklich jedoch sind die Ausnahmen in den eigentlichen Problembereichen, der Gastronomie und den Diskotheken. Dort besteht die Möglichkeit, das Rauchen in einem abgeschlossenen Nebenraum zu gestatten. Bier- und Festzelte sind vom Rauchverbot gänzlich ausgenommen. Dennoch spricht Bayerns Gesundheitsminister Werner Schnappauf (CSU) von einer "konsequenten Entscheidung", die "ein Quantensprung für den Gesundheitsschutz" darstelle.
Allerdings können Schnappauf und seine Landesregierung durchaus für sich in Anspruch nehmen, weitreichendere Vorsorge getroffen zu haben als die Kollegen in Niedersachsen. Dort setzt man weiterhin auf Eigenverantwortlichkeit, ein Konzept, das bisher nicht aufging und wohl auch für die Zukunft keine Besserung verspricht. "Der Staat", so erläutert Ministerpräsident Christian Wulff (CDU), "sollte sich nicht in alle Lebensbereiche einmischen, nicht alles gesetzlich regeln und sollte nicht dort Verbote schaffen, wo Menschen ihre Freiheit eigenverantwortlich nutzen müssen." Gemeint ist: Die Wirte in Niedersachsen können selbst entscheiden, ob sie ein Raucherlokal führen möchten, oder nicht. Das freilich war auch bisher schon möglich - nur die wenigsten haben sich für ein Nichtraucherlokal entschieden. "Das Prinzip der freiwilligen Selbstkontrolle ist gescheitert", bestätigt auch die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Sabine Bätzing (SPD). "Lediglich 10,9 Prozent der gastronomischen Einrichtungen hatten bei Überprüfungen eine ausreichende Zahl rauchfreier Plätze zur Verfügung. Da sieht man in aller Deutlichkeit: Die Freiwilligkeit ist an ihre Grenzen gestoßen", so Bätzing.
Wulff ist dennoch hoffnungsvoll. Er rechne mit einer bewussten Entscheidung von Gastwirten und Kundschaft gegen verqualmte Gaststätten. Mit dieser Haltung steht der Niedersachse im Zentrum der Kritik von Nichtraucherorganisationen und Medizinerverbänden, aber auch der Bundesregierung. Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) appellierte an die Länder, auf Ausnahmeregelungen zu verzichten. Ihre parlamentarische Staatssekretärin Marion Caspers-Merk (SPD) untermauerte diese Forderung am 30. März im Bundesrat. Passivrauchen sei keine Lappalie, sondern eine erhebliche Gesundheitsgefährdung. In dieser Feststellung seien sich Bund und Länder einig, so Caspers-Merk. Einen wirkungsvollen Schutz vor dem Passivrauchen gebe es allerdings nur, wenn sich die Länder auf "möglichst einheitliche" Regelungen verständigen könnten. Dazu seien teilweise noch deutliche Verbesserungen nötig.
Warum aber hat nun der Bund nicht selbst per Gesetz ein bundesweites Rauchverbot in Gaststätten erlassen? Die Bundesregierung nennt den deutschen Föderalismus als Grund. Sie hatte im vergangenen Jahr bereits ein Anti-Rauchergesetz auf den Weg gebracht. Es konnte jedoch nicht in Kraft treten, da nach der Föderalismusreform gesetzliche Regelungen für Gaststätten Ländersache ist. Dennoch hätte es eine Möglichkeit gegeben, gesetzgeberisch tätig zu werden. Regelungen zum Arbeitsschutz nämlich darf der Bund treffen. Dass die Gesundheit der Angestellten im Hotel- und Gaststättengewerbe unter dem blauen Dunst leidet, ist unumstritten. In der Großen Koalition war eine Änderung der Arbeitsstättenverordnung zugunsten des Nichtraucherschutzes auch tatsächlich schon einmal im Gespräch. Als vom Gesundheitsministerium verfügte Rechtsverordnung wäre sie noch nicht einmal zustimmungspflichtig gewesen. Letzlich kam es jedoch nicht dazu, die Zweifler und Zauderer behielten die Überhand. Eine Änderung der Arbeitsstättenverordnung bringe wenig, so hieß es, weil sie nur angestellte Beschäftigte erreiche, wogegen Familienbetriebe und Eckkneipen ohne Angestellte außen vor blieben.
Doch angesichts des sich nun abzeichnenden rechtlichen Flickenteppichs werden derartige Überlegungen erneut angestellt. Der SPD-Gesundheitsexperte Lothar Binding sieht "den Bund in der Pflicht". Er kündigte an, einen Gruppenantrag ins Parlament einzubringen. Sollte auch dies nicht den gewünschten Erfolg bringen, bliebe wohl Europa als letzte Hoffnung der Nichtraucher. Die EU könnte nach Ansicht des CDU-Gesundheitspolitikers Karl-Heinz Florenz ein umfassendes Rauchverbot in Gaststätten durchsetzen. "Wenn sich keine Einigung zum Nichtraucherschutz in Deutschland finden lässt, wird es eine europäische Regelung geben, die ein Rauchverbot in Gaststätten zur Folge haben wird", sagte der Europa-Parlamentarier.
Götz Hausding