Präsidentschaftskür in Frankreich
Sarkozy geht als Favorit in die Stichwahl. Aber auch Royal hat Chancen.
Es mutet schon erstaunlich an: Nur wenige Stunden nach dem Triumph von Nicolas Sarkozy ist das Hauptquartier der rechtskonservativen Regierungspartei UMP in Paris wie leergefegt, die jubelnde Sympathisantenmenge verschwunden. Spötter raunen, mit einem asketisch-strengen Spitzenmann könne man vielleicht nicht so richtig feiern: Der Sieger der ersten Runde der französischen Präsidentschaftswahlen trinkt keinen Pastis, keinen Beaujolais, nichts Alkoholisches. Aber auch die Partys bei der Sozialis-tin Ségolène Royal, die in ihrer lokalen Bas-tion im westfranzösischen Melle begeisterte Fans als "Ségolène Présidente" hochleben lassen, wie auch in Paris beim Zentristen François Bayrou und bei Jean-Marie Le Pen sind rasch vorbei - die von dem Rechtsextremisten georderten 1.500 Flaschen Champagner bleiben angesichts seiner Demütigung an den Urnen zu.
Nun, zum Feiern bleibt einfach keine Zeit. Sarkozy und Royal starten schon am Wahlabend ihre Kampagnen für den Countdown um die Nachfolge Jacques Chiracs am 6. Mai. Die Meetings der Parteien jagen sich seither, am 2. Mai erreicht das Match mit einem TV-Duell der beiden Matadore seinen Höhepunkt.
Nur auf den ersten Blick bietet sich dem Publikum ein klassischer Rechts-Links-Clinch dar. Bei näherem Hinsehen hingegen offenbaren Sarkozy und Royal politisch-programmatisch kaum Differenzen. Mit dem Rechtsbürgerlichen, dem das Image des energisch-effizienten Machers ebenso anhaftet wie der Ruf des eher abschreckenden Haudrauf-Rambos, und der mit Dialogkultur und femininer Sanftheit werbenden Sozialistin präsentieren sich aber zwei Politiker mit höchst unterschiedlichen Politikstilen. Klischees vom "Bonaparte der Rechten" und der "sozialistischen Zapatera" machen die Runde.
Freilich dürften am Sonntag die Würfel letztlich doch auf der Basis traditioneller Parteipräferenzen fallen. Joker ist der Liberalkonservative Bayrou oder genauer dessen mit 18,6 Prozent überraschend starke Anhängerschaft. Nach allen Erfahrungen der V. Republik müsste deren Mehrheit trotz starker Vorbehalte für "Sarko" votieren. Aber die Umfragen in diesen Kreisen sind ambivalent. Bayrou selbst lehnt es ab, eine Wahlempfehlung für den 6. Mai abzugeben - mit dem neuen Shootingstar der Zentristen können somit weder Royal noch Sarkozy punkten.
Der UMP-Kandidat, der sich als Law-and-Order-Minister profiliert hat, geht als Favorit in die Endrunde. Doch es wird wohl knapp werden, Demoskopen prophezeien ihm 51 bis 54 Prozent. Mit 31,2 Prozent übersprang er am 22. April die psychologisch wichtige 30-Prozent-Marke und griff schon im ersten Durchgang über das gaullistische Milieu hinaus. Sarkozy ist es offenkundig gelungen, mit seiner offensiven Propagierung staatlicher Autorität, mit einer repressiven Innenpolitik des "Durchgreifens" in aufrührerischen Vorstädten und mit einer restriktiven Ausländerpolitik in die Wählerschichten Le Pens einzudringen und den Rechtsextremisten auf 10,4 Prozent zu drücken. Hinter dem im Wahlkampf verkündeten Projekt eines "Ministeriums für Einwanderung und nationale Identität" verbirgt sich die Absicht, die Immigration weiter zu drosseln. Sarkozy kann sich am Sonntag des größten Teils der Le Pen verbliebenen Anhänger sicher sein.
Aber das reicht natürlich nicht zum Sieg. So trommelt denn Sarkozy nun für eine "neue multipolare Präsidentenmehrheit", zu der neben dem eigenen Lager ein "zentristischer" und ein "linker" Pol gehören sollen. Plötzlich geriert sich der Hardliner mit staatsmännischem Gestus und ruft die Bürger auf, sich hinter ihm "zu sammeln", ja, er verheißt einen "neuen französischen Traum".
Überraschendes ist zu vernehmen: Sarkozy will sich um alle kümmern, "die Angst haben vor der Zukunft, die sich schwach und verletzlich fühlen, die das Leben als immer schwerer, als immer härter empfinden". Demonstrativ taucht er in einem Heim mit Ausländerinnen ohne legalen Aufenthaltsstatus auf und sagt, "dass es für die Gebrochenen und Geschlagenen eine Hoffnung gibt". Da sollen wohl menschliche Züge ins Bild vom aggressiven Machtpolitiker gepinselt werden.
Und siehe da: Die 6,8 Millionen Wähler Bayrous fest im Blick, ist bei der Migrantenvisite auch Simone Veil dabei, eine Grande Dame der französischen Politik und ausgewiesene Liberalkonservative.
Das Wort von der Solidarität schmückte bislang vor allem "Ségos" Reden. Die linke "Madonna" im weißen Outfit kann auf ihre 25,9 Prozent richtig stolz sein - das sind zehn Prozent mehr, als 2002 ihr schmählich gescheiterter Parteifreund Lionel Jospin verbucht hat. Ihrem - im Wahlkampf stets wohl kalkulierten - Lächeln nach der Stimmenauszählung merkt man Erleichterung an. Ähnlich gut wie Royal, zunächst ein Komet am Medienhimmel und dann lange Zeit im demoskopischen Tief, schnitt als Sozialist in einer ersten Runde nur ihr politischer Ziehvater Francois Mitterrand 1981 ab. Allerdings konnte der Altmeister damals in der siegreich absolvierten Stichwahl aus einem insgesamt viel größeren linken Stimmenreservoir schöpfen, zu dem allein die inzwischen zur Minipartei geschrumpften Kommunisten 20 Prozent beisteuerten. Das sieht dieses Mal ernüchternder aus: Addiert man zu Royals Quorum die Prozente für Trotzkisten, KP, Grüne und Globalisierungsgegner hinzu, dann kommt man auf lediglich 36 Prozent.
Auf dieses Potenzial wird sich die Sozialis-tin am 6. Mai stützen können.
Gemeinsamer Nenner bei den linken Parteien - und auch in den armen Milieus der Vorstädte, wo Royal besonders gut abschnitt - ist die Parole TSS: TSS steht für "Tout sauf Sarkozy" - "Alles außer Sarkozy". Am 1. Mai soll es gegen Sarkozy Kundgebungen geben. Aber Royal muss zudem in fremden Gefilden wildern. Und das kann nur im Revier Bayrous geschehen. So outet sich Royal nun als "freie Frau" und betont: "Ich gehöre nicht mehr allein den sozialistischen Wählern". Wie Sarkozy appelliert sie an die Franzosen, sich hinter ihr "zu sammeln". Unter Anspielung auf die TSS-Kampagne gegen "Rambo Sarko" verspricht die Kandidatin einen politischen Wandel, ohne das Land "zu brutalisieren".
Solche Worte zielen auch auf Bayrous Wähler, denen das Autoritäre bei Sarkozy gegen den Strich geht, Bayrou attackiert ihn als eine Art Silvio Berlusconi. Dem Zentristen bietet Royal eine "offene Ideendebatte" an. Ginge es nach der persönlichen Ausstrahlung, so würde sie übrigens die Stichwahl gewinnen: Eine Mehrheit der Franzosen findet sie sympathischer als den rechten Konkurrenten. Allerdings stuft eine ebenso klare Mehrheit laut Umfragen Sarkozy kompetenter ein als die Sozialistin - da wirkt wohl nach, dass ihr im Wahlkampf einige politische Schnitzer unterlaufen sind.
Politisch machen es den Fans Bayrous beide Matadore schwer: Was unterscheidet sie eigentlich? Beide entstammen dem traditionellen Politikbetrieb, als dessen Alternative sie sich neuerdings präsentieren. Anders als der Proeuropäer Bayrou wahren sowohl "Sarko" wie "Ségo" Distanz gegenüber Europa. Auch die Sozialistin plädiert für einen starken Staat und will gegen jugendliche Delinquenten hart durchgreifen. Mitten in der Kampagne entdeckte sie plötzlich das Nationale: Die Franzosen sollen die Marseillaise auswendig lernen, die nun auch zum Finale sozialistischer Meetings intoniert wird.
Wirtschafts- und sozialpolitisch tun sich auch nicht gerade Welten auf. Immerhin verspricht Royal die Anhebung von Mindestlöhnen und kleinen Renten, während Sarkozy die Senkung von Unternehmenssteuern avisiert. Die 35-Stunden-Woche wollen beide nicht abschaffen, aber in der Praxis relativieren. Sarkozy möchte das Arbeitsrecht "flexibilisieren", Royal plant befristete Jobs für Berufsanfänger - was im Kern dem Modell der konservativen Regierung ähnelt, das wegen der Aushöhlung des Kündigungsschutzes von einer Protestwelle hinweggefegt wurde. Beide Bewerber wollen kleine Unternehmen fördern. Auch soll sich der Staat nicht aus der Wirtschaft zurückziehen.
Wird sich nach historischem Muster in der "Mitte" die Waage letztlich eher zugunsten Sarkozys neigen, auch wenn dies vielen Wählern Bayrous Bauchgrimmen bereitet? Bayrous liberalkonservative Partei UDF, nach deutschen Kriterien eine Mixtur aus CDU und FDP, gehört traditionell zum rechten Lager. In der zweiten Runde bei Präsidentschafts- wie Parlamentswahlen unterstützen sich (Neo-)Gaullisten und Zentris-ten seit jeher gegenseitig. In der Nationalversammlung sitzen viele UDF-Abgeordnete nur deshalb, weil ihnen Chiracs und Sarkozys UMP-Partei 2002 eine Reihe sicherer Wahlkreise überließ.
Nun stehen im Juni erneut Parlamentswahlen an. Nicht der staatsmännisch auftretende Sarkozy, sondern seine Adlaten agieren gegenüber der UDF mit Zuckerbrot und Peitsche. Arbeitsminister Jean-Louis Borloo verspricht, dass bei einem Sieg Sarkozys in die neue Regierung "massiv" UDF-Minister aufgenommen würden. Andererseits droht UMP-Vize Jean-Claude Gaudin ganz offen: Entweder reiche Bayrou die Hand "und wir betrachten ihn nicht als Gegner bei den Parlamentswahlen" - oder er schlage die Hand aus, "dann ziehen wir unsere Konsequenzen". Der UMP-Politiker Francois Fillon: "Man kann nicht sagen: Ich bin gegen Sarkozy bei der Präsidentenwahl, will aber die UMP-Stimmen bei der Parlamentswahl." Mehrere UDF-Abgeordnete haben sich bereits auf die Seite Sarkozys geschlagen.
Bayrou, dessen subtile Zwischentöne eine gewisse Sympathie für Royal am 6. Mai anzudeuten scheinen, will indes seine UDF in eine neue Kraft namens "Demokratische Partei" umwandeln und schon im Juni bei den Parlamentswahlen unter diesem Banner antreten.
Es ist viel in Bewegung. Royal und ihr Parteichef sowie Lebensgefährte Francois Hollande versuchen, nicht nur Bayrou und UDF-Mandatsträger, sondern vor allem direkt deren Anhänger zu umgarnen. Royal hofft auf "politische Annäherungen". Es sei nicht vorstellbar, meint Hollande, "dass die vielen Bayrou-Wähler, die Sarkozy schlagen wollten, jetzt für diesen stimmen".
In den Kulissen von Paris sind zahlreiche Emissäre aus allen Lagern unterwegs, es wird taktiert und gekungelt, Absprachen werden ausbaldowert. So war es immer, und so geschieht es nun wieder - und dies, obwohl Sarkozy, Royal und Bayrou im Wahlkampf doch so hingebungsvoll den Bruch mit dem im Volk herzlich unbeliebten Politikbetrieb propagiert haben.