Brüssel
Parlament debattiert über Schutz der Außengrenzen
Das EU-Parlament hat sich vergangene Woche in Brüssel mit der geplanten engeren grenzüberschreitenden Polizeizusammenarbeit und dem gemeinschaftlichen Schutz der Außengrenzen befasst. Beide Themen stehen auch diese Woche beim Treffen der Innen- und Justizminister auf dem Programm. Der deutsche Innenminister Wolfgang Schäuble, der der Polizeizusammenarbeit hohe Priorität einräumt, wird das Treffen zum letzten Mal leiten. Ende des Monats läuft die deutsche Ratspräsidentschaft ab.
Die EU-Abgeordneten sprachen sich im Prinzip dafür aus, polizeiliche Ermittlungserkenntnisse wie Autokennzeichen, DNA-Spuren und beim Grenzübertritt erhobene Daten besser zu vernetzen. Sie verlangen aber, dass der Datenschutz gewahrt bleibt und die Einspruchsrechte des Einzelnen gestärkt werden. Die Berichterstatterin Sarah Ludford von den Liberalen sagte, dass "99,9 Prozent der Besucher, die in die Union einreisen, rechtmäßige Reisende sind, die keinerlei Verbindung zur Kriminalität haben. Das gilt übrigens auch für die meisten illegal einreisenden Immigranten". Ludford beklagte, dass die Mitarbeit des Parlaments bei den Themen Immigration und Verbrechensbekämpfung dadurch enorm erschwert sei, dass nur einige der Gesetze im Mitentscheidungsverfahren zwischen Rat und Parlament beschlossen würden. "Ich möchte die Regierungschefs daher dringend auffordern, bei ihrem Gipfel am 21. Juni das Vetorecht in diesem Bereich generell aufzuheben und zur Mitentscheidung überzugehen."
Zur Einführung der nächsten Generation des Visa-Informationssystems (VIS II), das von allen Mitgliedstaaten verlangt, Visa-Anträge mit einem Fingerabdruck des Antragstellers zu versehen und die Identität von Einreisenden anhand der Fingerabdrücke zu überprüfen, sagte Ludford: "Dem Parlament ist es gelungen, mehr Klarheit in das System zu bringen, das Risiko von Missbrauch oder Funktionsfehlern einzuschränken und dem Bürger im Fall von Irrtümern eine Entschädigung zu garantieren." Wichtig sei auch, dass Ermittlungsbehörden kein direktes Zugriffsrecht auf die VIS-Daten erhalten, sondern ihre Anfrage begründen müssten. Nur bei Gefahr im Verzug könne die Begründung nachgeliefert werden.
Mitarbeiter der Kommission zeigten sich erleichtert darüber, dass das EU-Parlament bei der Einführung des VIS zwar großzügige Übergangsfristen eingeräumt hat, aber keine Ausnahmen zulässt. Vor allem Polen hatte mit Hinweis auf seine lange Außengrenze die hohen Kosten beklagt, die auf die Grenzsicherungsbehörden zukommen, wenn sie die neue Technik einführen. Würde Polen aber eine Ausnahme zugestanden, würden sich Schlepperorganisationen sofort auf das neue Schlupfloch einstellen und illegale Einwanderer über die polnische Landgrenze einzuschleusen versuchen.
Auch die Kommission bestreitet nicht, dass der überwiegende Teil der Visa-Antragsteller keine kriminellen Absichten hegt. Es gebe allerdings Einzelfälle, wo ein Visum bis zu 30 Mal weiterverkauft werde. Die Grenzbeamten seien überfordert, weil sie asiatische oder afrikanische Gesichtszüge nicht so gut unterscheiden könnten wie europäische. So ließen sich mit einem einzigen Einreisestempel 25.000 Dollar "ermelken", weil der Pass nach der Einreise sofort an den Visa-Inhaber zurückgeschickt werde, der ihn erneut verkaufen könne. Am Ende seien statt eines legalen Besuchers 30 Illegale im Land.
Das EU-Parlament befasste sich vergangene Woche auch mit der illegalen Einwanderung via Atlantik und Mittelmeer. Innenkommissar Franco Frattini hatte angesichts der dramatischen Vorgänge vor der maltesischen und libyschen Küste die Mitgliedsländer dazu aufgefordert, die Grenzschutzagentur Frontex besser zu unterstützen. Zugesagt worden seien 115 Boote, 25 Helikopter und 23 Flugzeuge. Doch angekommen seien lediglich zwei Hubschrauber aus Deutschland, einer aus Frankreich und 20 Schiffe aus mehreren Mitgliedsländern. Frattini appellierte an die Mitgliedstaaten, kleine Länder wie Malta nicht mit dem Problem allein zu lassen.
Scharfe Kritik übte Frattini auch am Europäischen Parlament. Es blockiere 12,7 Millionen Euro, die für den Haushalt von Frontex dringend gebraucht würden. "Wenn die Reserve erst Ende des Monats bereitgestellt wird, dann laufen wir Gefahr, die Frontex-Arbeit unterbrechen zu müssen." Der maltesische Abgeordnete Simon Busuttil erinnerte daran, dass sein kleines Land eine Meereszone zu überwachen habe, die zwei Drittel der deutschen Hoheitsgewässer und drei Viertel des italienischen Küstenraumes entspreche. "Die Arbeit von Frontex im Mittelmeer hat noch nicht begonnen. Wenn die Grenzüberwachungsagentur hier wirklich helfen soll, muss ihr Haushalt verdoppelt werden."
Für die deutsche Ratspräsidentschaft sagte Staatsminister Peter Altmaier zu, am 12. Juni im Innenministerrat eine Aussprache über das Thema führen zu wollen. "Das Haager Programm weist ausdrücklich darauf hin, dass die Verantwortung unter den Mitgliedstaaten geteilt werden muss." Es dürfe aber gar nicht erst soweit kommen, dass die Menschen in Lebensgefahr gerieten. Vielmehr müsse eine bessere Zusammenarbeit mit den Herkunfts- und Durchreiseländern dazu führen, dass die Menschen sich gar nicht erst auf den gefährlichen Weg machen.