Klimawandel
Es wird wärmer werden - aber nicht zum ersten Mal
Der Befund des im Februar veröffentlichten Berichts des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) war deutlich: Der größte Teil des beobachteten Temperaturanstiegs seit Mitte des 20. Jahrhunderts ist mit einer Wahrscheinlichkeit von über 90 Prozent den vom Menschen freigesetzten Treibhausgasen zuzuschreiben. Die Liste der negativen Folgen der erwarteten Klimaerwärmung ist lang: Prognostiziert werden neben der Zunahme von Stürmen, Dürren, Waldbränden, Überschwemmungen auch ein Verschwinden der Gletscher sowie ein Ansteigen des Meeres- spiegels und nicht zuletzt ein gravierender Verlust der Artenvielfalt.
Doch bei allen derzeit beschworenen Klimaszenarien wird eines gerne übersehen: das Klima war noch nie stabil. Den Klimawandel aus historischer Perspektive hat nun der renommierte Münchner Zoologe und Evolutionsbiologe Josef H. Reichholf in seinem Buch "Eine kurze Naturgeschichte des letzten Jahrtausends" anschaulich dargestellt.
Der streitbare Professor von der Technischen Universität München räumt in seiner gründlich recherchierten und spannend geschriebenen Studie jedoch nicht nur mit dem Vorurteil auf, dass das Wetter im letzten Jahrtausend konstant gewesen sei. Ebenso kritisiert er das vulgärromantische Ideal vieler Naturschützer, die sich eine "unberührte" Umwelt in stabilem Gleichgewicht wünschen. Reichholf hält dem entgegen, die Erde habe sich auch vor dem Auftreten des homo sapiens zu keiner Zeit in einem stabilen Idealzustand befunden - wäre dieser erreicht worden, so gäbe es die Menschheit gar nicht.
Josef H. Reichholf will die Geschichte in die Biologie zurückzuholen. Er beruft sich dabei auf die Tradition der "alten Naturforscher", die die Beschäftigung mit dem Leben Naturgeschichte nannten und noch wussten: alle Gegenwart hat auch Geschichte.
"Die Gegenwart ist die Zukunft der Vergangenheit", lautet Reichholfs Diktum. Und so nimmt er den Leser mit auf eine informative wie erkenntnisreiche Reise durch zehn bis zwölf Jahrhunderte - ein Zeitraum, bei dem sich der Wissenschaftler auf direkte Daten in Form von historischen Aufzeichnungen beziehen kann. Neben Chroniken und Wasserständen hat er alte Tier- und Pflanzenbücher zu Rate gezogen, aber er wertet auch die aus Eisbohrkernen gewonnenen Daten aus. Immer wieder, so lautet die Generalthese seines Buches, kam es in den letzten tausend Jahren zu raschen und einschneidenden Klimaveränderungen - mit Folgen für historische Entwicklungen und die Lebensweisen der Menschen.
Seine Tour d`horizon beginnt Reichholf im Hochmittelalter, dem Klima-Optimum für das letzte Jahrtausend. Infolge der Erwärmung und dadurch stetig wachsender Weidegründe stürmen die Mongolen gen Europa, die Wikinger starten ihre Beutezüge, am Rhein reifen Feigen und in Bayern wird Wein angebaut. Die Getreidefelder bringen üppige Ernten und die bessere Ernährung sorgt für ein kräftiges Bevölkerungswachstum.
Auf diese lange Wärmeperiode folgt die fast vergessene "Kleine Eiszeit". Sie bringt zwischen dem 14. und 18. Jahrhundert große Hochwasser- und Sturmkatastrophen. Strenge Winter und kühle Sommer sind die Regel und führen zu mageren Ernten und einem schlechten Gesundheitszustand der Bevölkerung. In Mitteleuropa passen sich die Menschen an: Sie beginnen, lehmverputzte, wärmespeichernde Fachwerkhäuser zu bauen und in Bayern wird der Wein vom Bier abgelöst, das zum Nationalgetränk wird. Die harten Winter liefern genügend Eisblöcke zur Kühlung des Getränks auch im Sommer.
Das Buch bietet eine Fülle von Beispielen für gravierende Änderungen, nicht nur aus Europa, worauf sich der Autor hauptsächlich bezieht, sondern auch aus anderen Regionen der Erde. Beispielsweise aus Afrika, das im vergangenen Jahrtausend weitaus trockener war als heute. Lang anhaltende Dürren ließen die Sahara entstehen.
Reichholf argumentiert, dass die Durchschnittswerte für Temperaturen aus den letzten 30 bis 50 Jahren für die Natur viel zu kurz angesetzt seien. Auf der Zeitachse der vergangenen 10.000 Jahre könnten die letzten 30 Jahre "signifikanter Klimaveränderung" für die weitere Zukunft eine ähnlich bedeutungslose Abweichung sein, wie die Serie extrem kalter Winter im 16. Jahrhundert. Gleichwohl könnten die überdurchschnittlich warmen Jahre unserer Zeit der Beginn einer echten Wärmeperiode sein - oder sie könnten tatsächlich etwas ganz neues bedeuten, weil die Auswirkungen menschlichen Handelns über die natürlichen Schwankungen hinausgeht.
Mit dem 19. Jahrhundert und dem Hitzesommer von 1807, den Reichholf mit seinen Ausmaßen mit dem von 2003 vergleicht, markiert er den Beginn einer Wärmeperiode, die im Grunde bis heute anhält.
Indes habe sich nicht nur die Wärme, sondern auch das Naturbild der Romantik bis heute gehalten. Und an diesem Bild mit seinen vielen Klischess hat der Ökologe Reichholf einiges zu kritisieren. "Konservierende" Naturschützer etwa würden der Natur gerade dann am meisten schaden, wenn sie einheimische Arten gegen Zuwanderung schützen wollen.
Die größte Bedrohung für Flora und Fauna schreibt Reichholf nicht dem Biosphärenwandel zu, vielmehr gehe die wirkliche Gefahr von der Vernichtung von Lebensräumen aus. Die industriell betriebene Landwirtschaft bezeichnet Reichholf als den "Artenkiller Nummer eins". Überhaupt werde das Klima zum Sündenbock gemacht, um vor den eigentlich wahren, großen ökologischen Übeltätern abzulenken. Dazu zählen für Reichholf die Massenproduktion von Großvieh, die Entwässerung ganzer Landstriche, sowie die ungebremste Abholzung des Tropenwalds.
Für falsch hält es Reichholf zudem, sich zu sehr auf den Treibhauseffekt zu fokussieren. Beispielsweise sage der Gehalt an Kohlendioxid in Eisbohrkernen nicht genug über das wirkliche Klima aus. Denn wenn, wie Klimaforscher aus den Messdaten schließen, der CO2 -Gehalt der Erdatmosphäre tatsächlich seit über einer Million Jahre noch nie so hoch gewesen sein soll wie in unserer Zeit, dann kann das Kohlendioxid auch nicht der allein entscheidende Faktor für die Erwärmung sein. Denn wie Fossilien belegen, lebten in der letzten Warmzeit vor rund 120.000 Jahren tropische Nilpferde in Rhein und Themse.
Am Ende seines Buches stellt Reichholf etwas ketzerisch die Frage, wie wir eigentlich dazu kämen, eine Erwärmung als negativ einzustufen? Für den Autor gilt die Gleichung: Warme Zeiten gleich gute Zeiten. Schließlich könnten sowohl Flora als auch Fauna - aber auch die Menschheit im Ganzen - im Vergleich zum Durchschnitt des letzten Jahrtausends durchaus noch ein oder zwei Grad mehr vertragen. Nicht zuletzt sorge eine moderate Erwärmung für Artenwandel und -vielfalt.
Dass sich das Klima erwärmt, davon ist Reichholf überzeugt - und es werde dann, wie in früheren Zeiten auch, zu politischen Veränderungen kommen mit Gewinnern und Verlierern. Die negativ Betroffenen in den Küstengebieten und Trockengürteln werden den Begünstigten zu Leibe rücken. Und wenn der Energieverbrauch nicht drastisch gesenkt werde, dann komme der Klimakollaps unabwendbar auf uns zu. Allerdings sei es nicht damit getan, nur den Ausstoß von CO2 kurzfristig zu vermindern. Es gehe vor allem auch um eine Reduktion sowohl des Wasserdampfes als auch des Methans. Reichholf verweist hier auf die anderthalb Milliarden Zuchtrinder, die ein Viertel der gesamten Landmasse der Erde als Weideland in Beschlag nehmen.
Für Reichholf ist unstrittig, dass nicht nur die Industriestaaten, sondern die ganze Menschheit die globale Veränderung bewirkt. Er zeigt sich jedoch äußerst skeptisch in Bezug auf eine Verhaltensänderung des größten Teils der Weltbevölkerung. Und so klingt es recht resignativ, wenn er beklagt, wir hätten gar keine Chance auf ein rechtzeitiges Reagieren, weil wir uns wie in alten Zeiten "werden schlagen lassen müssen von den Ereignissen", weil die Entscheidungsträger den Gegenmaßnahmen zu lange ausgewichen sind, aus "demokratischen" wie auch "populistischen" Gründen. Angesichts der aktuellen Politik mag man da nicht widersprechen.
Fazit: Reichholfs "kurze Naturgeschichte" mit ihrem Blick in die Vergangenheit legt es nahe, sich auf den kommenden Klimawandel vorsorglich einzustellen. So wie es unsere Vorfahren auch immer wieder getan haben. Ein Buch zur richtigen Zeit, denn die Zukunft hat längst begonnen.
Eine kurze Naturgeschichte des letzten Jahrtausends.
S. Fischer Verlag, Frankfurt/M. 2007; 336 S., 19,90 ¤