ENTFÜHRUNGEN
Kidnapping von Touristen findet meist vor einer breiten Weltöffentlichkeit statt. Für den Tourismus in den Ländern ist das eine Katastrophe.
Wer heute auf die Philippinnen reist, wird sich selbst in der Hochsaison erstaunlich wenig durch andere Touristen gestört fühlen. Wenn, dann sind es vor allem einheimische Reisende, die einem über den Weg laufen; Deutsche finden sich unter den wenigen Ausländern besonders selten. Woran das liegt, kann einem jeder philippinische Hotelbesitzer erklären: Zu lange hielt die Entführung von 21 Tauchtouristen auf die Insel Jolo, unter ihnen die Familie Wallert aus Göttingen, die Öffentlichkeit in Atem. Das ist zwar inzwischen sieben Jahre her -doch in diesem Fall scheinen die Touristen nur schwer zu vergessen. Nicht nur der Süden des Inselstaates, der bis heute wegen anhaltender Kämpfe zwischen muslimischen Rebellen und der Regierung in jeder amtlichen Reisewarnung steht, wird von der Masse der Reisenden gemieden. Auch der mehr als tausend Kilometer entfernte Norden mit der Hauptinsel Luzon und der Hauptstadt Manila hat nie wieder zu der Attraktivität der 1990er-Jahre zurückgefunden.
Entführungen von Touristen kommen in vielen Staaten der Welt immer wieder einmal vor - wenn auch bei weitem nicht so oft wie die mediale Präsenz einiger aktueller Fälle suggeriert. Statistisch könnte man sagen: Die Gefahr, Opfer eines Terroranschlags zu werden, ist größer als jene, entführt zu werden. Wo Entführungen regelmäßig vorkommen, trifft es - wie im Irak - häufiger Geschäftsleute oder Einheimische als Touristen. Die Gruppe Abu Sayyaf, die die Wallerts entführt hatte, hält zum Beispiel viel häufiger und völlig unbemerkt von der internationalen Öffentlichkeit unschuldige Filipinos fest.
Dessen ungeachtet ist die Entführung von Touristen für die touristische Entwicklung eines Landes eine Katastrophe - und zwar auch, wenn die Entführten nicht in die Hände von politischen Rebellen, sondern von gewöhnlichen Kriminellen fallen. Kolumbien, Kaschmir und die West-Sahara sind nach Serien politisch motivierter Entführungen wesentlich weniger attraktive Reiseziele als sie sein könnten. Aber auch Costa Rica, wo 1996 eine deutsche Touristin und ihre Schweizer Reiseleiterin Opfer einer kriminellen Lösegeld-Erpressung wurden, hat sich touristisch gesehen jahrelang nicht von dem entstandenen Imageschaden erholt.
Im Falle politisch motivierter Entführungen bemüht sich nicht selten die ortsansässige Regierung um Verhandlungen mit den Rebellen. Im Jemen, wo immer wieder Touristen von mit der Regierung verfeindeten Stämmen entführt und so der Bau von Straßen oder die Freilassung von Kollegen erpresst werden, werden Stammesvertreter seit ein paar Jahren ganz gezielt in die Tourismus-Industrie einbezogen - die ersten Erfolge zeichnen sich ab. Anderswo geraten Touristen trotz politisch instabiler Lage nie in das Visier der Aufständischen. Die nepalesischen Maoisten, die in der Behandlung ihrer Landsleute vor nichts zurückschreckten, haben Himalaya-Reisende bisher nie behelligt - wohl wissend, dass auch ein kommunistisches Nepal auf Touristen angewiesen wäre.
Der Herkunftsstaat der Entführten gerät mit der Verschleppung seiner Bürger in eine Zwickmühle zwischen der Notwendigkeit, nicht untätig zu bleiben, und dem Willen, nicht erpressbar zu werden. Kommt eine Regierung den Forderungen nach, fürchtet sie, zu neuen Geiselnahmen geradezu einzuladen. Tut sie es nicht, gerät sie in Verdacht, ihre Bürger hängenzulassen. Verhandelt wird also gemeinhin im Stillen - und selbst wenn sich die Einschaltung eines Vermittlers nicht geheim halten lässt, wird die Zahlung von Lösegeldern vom Auswärtigen Amt in aller Regel bestritten. Dass aber immer wieder einmal staatliche Lösegelder in Millionenhöhe gezahlt werden, ist allerdings erwiesen.
Im Falle der Wallert-Entführung plauderte ein philippinischer Unterhändler einige Jahre später aus, dass die deutsche Regierung eine Million Dollar für die Freilassung der psychisch angeschlagenen Renate Wallert gezahlt habe. Für die übrigen zwanzig Geiseln, die aus fünf anderen Ländern stammten, zahlte Libyen dem Filipino zufolge mehr als zehn Millionen Dollar.