PERSPEKTIVWECHSEL
Wie die Bundesbürger ihre Gäste sehen und umgekehrt
Wer einmal auf Schloss Neuschwanstein eine Führung mitgemacht hat, weiß: Hier zählt jede Minute und jeder Meter. Bei 1,2 Millionen Besuchern pro Jahr müssen die Führungen in einem Abstand von wenigen Metern hintereinander durchgetrieben werden, damit die tägliche Menschenmenge bewältigt werden kann. Disziplin und Rücksicht sind hier hilfreich. Wenn man die Schlossführerinnen fragt, welches ihre Lieblingstouristen sind, so heißt es übereinstimmend: die Japaner. Höflich seien die und folgsam, genau so brauche man es hier. Von den chinesischen Besuchern ist man weniger angetan. Die seien sehr undiszipliniert, sagen die Führerinnen, überträten Absperrungen und fotografierten, obwohl es ausdrücklich verboten sei.
Sie haben halt noch wenig Erfahrung mit dem Herumreisen und fremden Kulturen, könnte man mildernd anführen, ganz ähnlich wie die Inder. Die werden zwar von der Deutschen Zentrale für Tourismus (DZT) umworben - ein aufstrebender Markt mit einer Milliarde Menschen lockt. Doch in der deutschen Hotelbranche sind indische Reisegruppen immer noch nicht allzu gern gesehen. Das Gerücht, sie vermüllten ihre Hotelzimmer und hantierten dort zuweilen mit dem Gaskocher, um gewohnte indische Kost zuzubereiten, hält sich hartnäckig.
Um Vorurteile zu bekämpfen und Fettnäpfchen zu vermeiden, hatte die DZT vor einem Jahr zur Fußball-Weltmeisterschaft ein Schulungshandbuch für Gastfreundschaft herausgegeben. Dort waren für jede der 32 teilnehmenden Fußballnationen Dos und Don'ts aufgelistet: Südkoreaner und Japaner solle man beispielsweise niemals mit weißen Blumen begrüßen oder ein Zimmer mit der Nummer 4 geben, beides symbolisiere dort Unglück und Tod.
Zudem gab es Fremdsichten auf die Gastgeber: Die Deutschen gälten in Australien als Besserwisser, hieß es etwa, "vermeiden Sie es deshalb belehrend zu sein". Ein Klischee listeten fast alle Nationen auf: Die Deutschen seien kalt und distanziert, was zwischenmenschliche Kontakte angehe. Dies wurde, zumindest für die Dauer der WM, widerlegt. Brasilianische Fernsehteams berichteten von "lateinamerikanischen" Verhältnissen; bei der DZT-Befragung nach der WM waren die deutschen Sympathiewerte in Brasilien um 20 Prozent gestiegen.
Was die europäischen Hoteliers von den Gästen verschiedenster Provenienz halten, versucht eine jüngst vom Internet-Reiseportal Expedia in Auftrag gegebene Umfrage zu ergründen. Demnach gelten auch hier die japanischen Gäste als die beliebtesten, weil sie höflich und ruhig sind. Auf Platz zwei stehen die Amerikaner, die zwar als etwas laut, aber als großzügig und sehr weltoffen charakterisiert werden. Die ruhigen und höflichen Schweizer belegen den dritten Rang. Die Franzosen sind das Schlusslicht, ihnen wird mangelnde Offenheit und Bereitschaft, eine fremde Sprache zu sprechen, vorgeworfen. Die Deutschen belegen Platz fünf. Sie wurden als sehr experimentierfreudig und offen, allerdings auch eher unhöflich charakterisiert. Und in einem Punkt sind sie wieder mal Weltmeister: Sie seien die knauserigsten - bei Urlaubsausgaben und Trinkgeld.