MITTELMEER
Der Tourismus in Italien ist in der Krise. Spanien ist mittlerweile deutlich beliebter. Jetzt starten die Italiener eine Initiative, um in zehn Jahren Tourismus-Weltmeister zu werden.
Ein Minister schlägt sich an die Brust, stellvertretend für sein Land: "Wir haben uns der Sünde der Überheblichkeit schuldig gemacht", bekannte Italiens Vize-Premierminister Francesco Rutelli kürzlich. "Wir dachten zu lange, die Schönheiten Italiens reichten, um Besucher anzuziehen", sagte Rutelli, zu dessen Ressort als Kulturminister neben den Kunstschätzen auch der Tourismus gehört, vor dem nationalen Hoteliersverband.
Die Tourismusindustrie im einstigen Lieblingsland der Deutschen ist in der Krise - auch wegen der Deutschen. In einer neuen Studie schlägt die Unternehmensberatung Bain&Company Alarm: Italien hat seit den 1990er-Jahren in einem schleichenden Prozess Tourist um Tourist verloren. Spaniens Markt wächst derweil in den Himmel - die Mittelmeerkonkurrenz hat Italien den ersten Platz in Europa abgejagt, was die Präsenz ausländischer Touristen angeht und führt mittlerweile mit dem satten Vorsprung von sieben Prozentpunkten beim Marktanteil in Europa: Spanien erreicht 23,6 Prozent, Italien 16,7 Prozent. Auch die Deutschen kommen nicht mehr wie einst. Seit fünf Jahren geht die Zahl der deutschen Urlauber kontinuierlich zurück, zwischen 2004 und 2005 um 1,7 Prozent, während die Gesamtzahl der Gäste um knapp fünf Prozent stieg.
Zwar sind die deutschen Gäste mit zuletzt 44,4 Millionen Übernachtungen in Italien noch immer die stärkste Gruppe; sie machen 30 Prozent des Gesamtmarktes aus. Aber genau das ist es, was den Unternehmensberatern Sorgen bereitet: Die Italiener sind abhängig von den Deutschen.
Der italienische Tourismus wächst nur langsam, zuletzt um fünf Prozent pro Jahr. Das Wachstum entspricht in etwa dem weltweiten Schnitt. 160 Milliarden Euro machte der Sektor zuletzt Umsatz, etwa acht Prozent des italienischen Bruttoinlandsprodukts. Der Tourismus ist der zweitgrößte Beiträger zu Italiens Wohlstand - und der fällt enttäuschend aus, gemessen am gewaltigen Potenzial. Kein anderes Land hat so viele Stätten in der Unesco-Liste des Weltkulturerbes. Italien kann mit Rom, Florenz und Venedig wuchern, der Amalfiküste und Capri, mit den sonnenverwöhnten Inseln Sizilien und Sardinien, mit Tausenden Küstenkilometern und den Alpen mit ihren Wintersportorten.
Die begehrtesten Städte Italiens haben denn auch kein Gästeproblem. Es ist sommers in Rom so schwer, ein bezahlbares Hotelzimmer zu bekommen wie in Venedig und Florenz, in Positano und Taormina. Aber die Reiseindustrie ruht sich gern auf dem Erreichten aus: Die Hotellerie, die Italien als Reiseziel groß machte, ist oft veraltet, wie die Bain-Berater kritisieren.
Das Angebot ist im Landesschnitt weitgehend Mittelklasse, während günstige Hotels oft ebenso fehlen wie die der Luxuskategorie. Die Berater von Bain sind überzeugt: Beides würde Italiens Attraktivität ungemein erhöhen. Dazu kommt eine bislang unflexible Preisgestaltung: Hoteliers lassen Zimmer lieber leerstehen, anstatt sie günstig zu vermieten. Italienische Hotels sind laut dem europäischen Statistikamt Eurostat nur zu 34 Prozent ausgelastet. Die kleine Mittelmeerinsel Malta, die sich geschickt als Ort von Badefreuden, Kultur und Sprachkurs-Hochburg vermarktet, kommt auf 54 Prozent.
Italien besteht nicht nur aus Kulturhauptstädten. Die größte Ballung von Touristen außerhalb der großen Zentren findet man am rund 100 Kilometer langen Küstenstrich um Rimini, wo sich ein Hotelkomplex an den nächsten reiht. Hier brummte der Tourismus in den 1960er- und 1970er-Jahren. Familien hatten angefangen, Zimmer zu vermieten, bauten später Hotels, und die Deutschen kamen in Massen über den Brenner. Sie waren auf der Suche nach Sonne und der leichten Lebensfreude Italiens, sie gaben dem breiten Strand den Namen "Teutonengrill". Die Reisenden von heute aber haben oft keine Lust mehr auf teure Zimmer an einer lauten Promenade, mit Blick auf 22 Reihen von Sonnenschirmen und Liegestühlen am endlosen Strandbad. Die Übernachtungszahlen sinken stetig: Die einstige heiße Liebe der Deutschen zum Teutonengrill ist erkaltet.
Die Orte reagieren so gut sie können. Manche füllen die leerstehenden Betten mit Billigtouristen aus Osteuropa, denen sie mit krachend lauten Diskotheken und Tand-Boutiquen italienischen Lebensstil versprechen.
Die Vermarktung und die politische Zuständigkeit für den Tourismus liegt weitgehend bei den 20 italienischen Regionen. Sie unterhalten Büros und Tourismusverbände, aber sie kämpfen oft eher gegeneinander als vereint gegen die Konkurrenz rund ums Mittelmeer. Bislang ist Tourismusminister Rutellis Idee von einem einheitlichen Werbekonzept für Italien lediglich in Vorbereitung. Dabei leben es andere Länder erfolgreich vor: Spanien wirbt mit dem Meer, Frankreich mit seiner Kultur.
Würden alle Faktoren angepackt - gemeinsames Marketing, Modernisierung und Ausbau der Hotelstruktur im ganzen Land, flexiblere Steuerung von Angebot und Nachfrage - prognostizieren die Bain-Analysten Italien gute Chancen, aus dem Tourismus wieder mehr Nutzen zu ziehen: Bis 2020 stellen sie einen Umsatz von 328 Milliarden Euro in Aussicht, also doppelt so viel wie heute. Einen halben Prozentpunkt könnte dann allein die Reisebranche zum Wachstum des Bruttoinlandsprodukts beitragen.
Den Minister hat der Ehrgeiz gepackt. Italien nehme die Herausforderung an, sich seinen Platz in der Welt der Reise wieder zurückzuerobern, schließt Rutelli seinen Vortrag bei den Hoteliers. "In zehn Jahren sind wir Tourismus-Weltmeister", sagt er.