PALÄSTINA
Im Gaza-Streifen sind die Banken wieder flüssig. So soll Präsident Abbas' Fatah-Partei wieder mehr Vertrauen bei der Bevölkerung gewinnen. Viele
glauben allerdings nicht, dass das reicht.
Für die Menschen in Gaza ist es fast ein Grund zum Feiern, dass sich Woche vor ihren Banken schier endlose Schlangen bilden. Bisher hatten die Banken nämlich nichts zu verteilen gehabt. Jetzt, nachdem die Autonomiebehörde ihren Beschäftigten erstmals nach 17 Monaten das volle Gehalt überweisen kann, strömen alle an die Schalter. Eine große Portion Skepsis ob des plötzliche Geldsegens spielt dabei wohl auch eine Rolle: "Wer weiß, wie lange das Geld noch reicht?" fürchtet Bassam Khatabi, ein Angestellter im Innenministerium. "Ich hole mir meine Schekel jedenfalls lieber jetzt ab." Umgerechnet rund 230 Euro bekommt er offiziell im Monat, im vergangenen Jahr war es manchmal die Hälfte. "In einigen Monaten bekamen wir auch überhaupt kein Geld, dann lebte die ganze Familie von den Ersparnissen meiner Eltern."
Verantwortlich für den plötzlichen Geldsegen ist ausgerechnet die Machtergreifung der Hamas im Gazastreifen. Nachdem Palästinenserpräsident Machmud Abbas von der Fatah den Regierungschef der Hamas, Ismail Haniya, entlassen hatte und den international anerkannten Finanzfachmann Fayad zum Chef einer Notstandsregierung gemacht hatte, war der Weg frei für die Wiederaufnahme der Finanzhilfen an die neue Regierung in Ramallah. So hat Israel der Notstandsregierung bereits die ersten 120 Millionen Dollar Steuergelder überwiesen, die die israelische Regierung für die Autonomiebehörde einsammelt. Seit dem Wahlsieg der Hamas im Frühjahr 2006 hatte Jerusalem sich geweigert, die Gelder an eine Regierung weiterzuleiten, die das Existenzrecht des jüdischen Staates nicht akzeptiert. Die Zahlungen sind Teil einer Strategie, die der Fatah von Präsident Abbas langfristig wieder zu mehr Sympathien im Volk verhelfen soll. Der palästinensischen Bevölkerung müsse klar werden, dass es sich unter der Fatah besser lebt als unter einer Hamas-Regierung, heißt es in Jerusalem.
Selbstverständlich wolle man keine humanitäre Katastrophe in Gaza provozieren, doch die Lebensumstände dürften sich eben nicht ausgerechnet nach der Machtergreifung der Hamas verbessern, heißt es dort. Das wäre das falsche Signal und würde die Fatah bei Neuwahlen in Schwierigkeiten bringen. Denn dass früher oder später in Palästina wieder gewählt wird, daran zweifelt hier keiner. Auf die Frage, ob er daran glaube, dass die Hamas freie und unabhängige Wahlen überhaupt zulassen werde, antwortet ein palästinensischer Journalist ganz bestimmt: "Es wird ihnen nichts anderes übrig bleiben. Spätestens seit den letzten Wahlen sind wir eine funktionierende Demokratie und das wird das palästinensische Volk sich nicht mehr nehmen lassen."
Wer sich in diesen Tagen im Grand Park Hotel in Ramallah umhört, muss feststellen, dass die aus Gaza geflohenen Fatah-Eliten nichts gelernt haben und sich vor allem selbst bemitleiden. In den bunten Plüschsesseln der Lobby empfangen sie nun Journalisten, rauchen und diskutieren ununterbrochen die jüngsten Entwicklungen. Sie schwanken zwischen Wut und Trauer, Hoffnung und Enttäuschung - nur Selbstkritik sucht man vergeblich. "Die Welt und Israel müssen Gaza einfach aushungern, dann werden sie schon angekrochen kommen", meint Ahmad Taschanti, ein ehemaliger Offizier der Präsidentengarde von Machmud Abbas. Besonders Israel müsse jetzt die Strom- und Wasserversorgung einstellen und kein Benzin mehr nach Gaza liefern, fordert er. Ein ergrauter Fatah-Politiker im schlabberigen Trainingsanzug weist ihn zurecht: "Liest du keine Zeitung? Die Israelis werden denen gar nichts abschalten, weil sie keine Katastrophe verursachen wollen." Außerdem sei es sowieso zu spät: "Gaza haben wir verloren. Schuld sind Abbas und Dachlan".
Der Fatah-Veteran ist nicht der einzige, der dem Palästinenserpräsidenten und seinem Vertrauten in Gaza, Mohammed Dachlan, die Schuld an der Niederlage der Fatah in Gaza gibt. "Abbas hätte viel früher eingreifen müssen. Erst am letzten Tag haben wir den Befehl bekommen, mit aller Gewalt zurückzuschlagen", sagt der Offizier Taschtanti. Außerdem wären alle hochrangigen Führer wie Dachlan schon vorher ins Ausland geflohen.
"Die Hamas, das sind gar keine Palästinenser mehr", sagt er dann und es klingt sehr verbittert. "Sie haben alles zerstört, was wir aufgebaut haben." So bleiben sich die Fatah-Leute auch im Exil selbst treu: Schuld sind immer die anderen. Es war wohl nicht zuletzt diese Unfähigkeit zu Selbstkritik und Reformen, die die Fatah im Januar 2006 die Wahl gekostet hat. Heute, fast eineinhalb Jahre später, stehen noch immer dieselben korrupten Führer an der Spitze der Bewegung.
Auf den Straßen von Ramallah hält sich das Mitleid für die aus Gaza geflüchteten Funktionäre deshalb in Grenzen. "Ehrlich gesagt haben sie es nicht anders verdient", sagt ein Taxifahrer. "Jetzt sitzen sie im besten Hotel der Stadt und jammern, weil sie ihren Reichtum zurücklassen mussten. Dabei hatten sie doch alles vom Volk gestohlen." Er habe bei der Wahl auch Hamas gewählt, weil die Fatah-Politiker immer reicher wurden und sich für die normalen Palästinenser nichts zum Besseren veränderte. Was er beim nächsten Mal wählen wolle, wisse er noch nicht. "Vielleicht wähle ich auch gar nicht und wandere nach Amerika aus, das wäre wohl das Beste. Für Palästina habe ich nicht viel Hoffnung..."