EUROPARAT
Streit über Bewertung und wissenschaftlichen Anspruch des Kreationismus
Schon bei der Sommersession der Parlamentarischen Versammlung des Europarates kündigt sich Streit für die Herbsttagung an. Der französische Konservative Jacques Legendre betont als Vorsitzender des Kulturausschusses die "feste Entschlossenheit", beim heißen Eisen Kreationismus im Oktober erneut die Herausforderung zu suchen: Die Absetzung einer Resolution zu den Gefahren, die dem Bildungswesen durch diesen religiösen Fundamentalismus drohen, provoziert in diesem Gremium Empörung. Die "Kreationisten" bestreiten Darwins Evolutionstheorie und vertreten mit "wissenschaftlichem" Anspruch die wörtliche Auslegung der biblischen Schöpfungslehre von der Erschaffung der Welt durch einen göttlichen Willensakt.
Ausschuss-Berichterstatter Guy Lengagne zeigt sich über die Verbannung seiner in der Kommission fast einstimmig gebilligten Expertise aus der Plenardebatte "schockiert" und "entsetzt". In dem Staatenbund würden "die Weichen für eine Rückkehr ins Mittelalter gestellt", zürnt der französische Sozialist.
Während der Kulturausschuss in die Offensive geht, halten sich dessen Gegner nach ihrem Coup im Plenum vorerst bedeckt. Den Antrag auf Absetzung von der Tagesordnung hatte der belgische Christdemokrat Luc Van den Brande gestellt, für den Lengagnes Papier "unausgewogen" ist: 63 von 119 Volksvertretern folgten ohne inhaltliche Erörterung dem Ansinnen des EVP-Fraktionschefs. Für Legendre kam dieser Beschluss "irregulär" zustande. Dieser Konflikt über den Kreationismus weist Züge eines Kulturkampfs auf. Die Aufregung verwundert nicht, legen die Kulturpolitiker doch den Finger in eine Wunde, die auch in Europa zu schwären beginnt.
Bislang ziehen Evangelikale vor allem in den USA gegen Darwins Evolutionstheorie zu Felde: Zwecks Durchsetzung ihrer religiösen Dogmen in der Gesellschaft wollen diese ultrakonservativen Christen in einem ersten Schritt erreichen, dass ihre Ideologie des "Intelligent Design" als moderne Variante des biblischen Schöpfungsglaubens an Schulen gleichberechtigt mit Biologie unterrichtet wird.
Lengagne nennt zahlreiche Beispiele aus diversen Ländern für Versuche, europäische Schulen ebenfalls dem Kreationismus zu öffnen - auch an zwei Schulen in Hessen. Der Kulturausschuss des Europarats spricht dem Kreationismus den Charakter einer Wissenschaft ab und betont, dass diese Lehre an den Schulen nicht gleichberechtigt neben der wissenschaftlichen Evolutionstheorie behandelt werden dürfe. Letztlich seien die Kreationisten darauf aus, "die Demokratie durch eine Theokratie zu ersetzen". Die Kulturpolitiker heben hervor, dass der Kreationismus als Glaube zu respektieren sei und in den Religionsunterricht integriert werden könne. Der SPD-Abgeordnete Wolfgang Wodarg betont ebenfalls, dass der Kreationismus kein wissenschaftliches Schulfach werden dürfe. Der Vize-Vorsitzende des Kulturausschusses plädiert indes dafür, Lengagnes Papier zu überarbeiten: Man dürfe auch die Evolutionstheorie nicht zum Dogma erklären - allerdings aus wissenschaftlichen Erwägungen und keinesfalls im Sinne des Kreationismus.
Einen Eklat gab es bei der Sommersession auch wegen des vom Plenum gebilligten Berichts des Sonderermittlers Dick Marty, der Polen und Rumänien vorwirft, CIA-Geheimgefängnisse für Terrorverdächtige geduldet zu haben: Aus Protest gegen diesen Beschluss wollen die rumänischen Abgeordneten die Sitzungen des Europarats-Parlaments bis auf Weiteres boykottieren.