REGIERUNGSERKLÄRUNG
Die brummende Konjunktur soll zu einem dauerhaften Wachstum führen
Vor wenigen Jahren machte sich der CSU-Abgeordnete Ernst Hinsken im Bundestag einen Jux. Er stellte der rot-grünen Bundesregierung eine rote Laterne auf die Bank, Symbol für Deutschland als Schlusslicht beim Wirtschaftswachstum. Jetzt könnte Hinsken seinem Parteifreund, Bundeswirtschaftsminister Michael Glos, eine Spielzeuglok auf die Regierungsbank stellen. Denn Deutschland hat sich innerhalb eines Jahres zur europäischen Wachstumslokomotive gemausert.
Wem ist dieser Aufschwung zu verdanken und was muss getan werden, damit nicht gleich darauf der Abschwung folgt? Im Parlament gibt es dazu unterschiedliche Sichtweisen, wie die Debatte zur Regierungserklärung am 5. Juli deutlich machte. Für den Wirtschaftsminister liegen die Ursachen auf der Hand: zum einen die gute Weltwirtschaftskonjunktur, die dem Exportweltmeister Deutschland in die Hände spielt. Zweitens die zurückhaltende Lohnpolitik der Tarifparteien, drittens die Anstrengungen der Unternehmen, die sich für den globalen Wettbewerb fit gemacht haben, und nicht zuletzt der "konsequente Kurs" der Großen Koalition, der nun Früchte trage.
Für Rainer Brüderle von der FDP gibt es keinen direkten Zusammenhang zwischen dem Regierungskurs und der wirtschaftlichen Entwicklung. Der Aufschwung sei "den Menschen" zu verdanken. Dennoch: Das Strategiepapier mit dem Titel "Goldener Schnitt 2012", das Glos im Juni vorgelegt hatte, stieß auf das Wohlwollen der FDP. Der Minister hatte darin vorgeschlagen, einerseits öffentliche Haushaltsdefizite zu vermeiden, andererseits aber auch die Steuern zu senken und vor allem in Bildung zu investieren. Die FDP brachte die Glos-Vorschläge als eigenen Antrag ( 16/5901 ) im Bundestag ein, wo sie umgehend abgelehnt wurden.
Wer profitiert von diesem Aufschwung? Nach den Worten des Ministers ist es ein "Aufschwung für alle", in Anlehnung an Ludwig Erhards "Wohlstand für alle". Für dieses Jahr schätzt die Regierung das Wirtschaftswachstum auf 2,3 Prozent. In den vergangenen zwölf Monaten ging die Zahl der Arbeitslosen um 700.000 auf 3,7 Millionen zurück, Ende 2008 sollen es nur noch 3,5 Millionen sein - der tiefste Stand seit mehr als zehn Jahren. Der stärkste Impuls komme jetzt aus der Binnenwirtschaft, die Verbraucher nutzten ihre gestiegene Kaufkraft, sagte Glos.
Gregor Gysi, Fraktionschef der Linken, sah im "Aufschwung für alle" eine Forderung an die Regierung, nicht aber eine Tatsachenbeschreibung. "Es ist ein Aufschwung für zehn Prozent der Bevölkerung", sagte er. In den letzten zehn Jahren seien die Löhne und Gehälter um 5,1 Prozent zurückgegangen, die Preissteigerungen eingerechnet sogar um sechs Prozent. Die Rentner hätten nach vier Nullrunden jetzt eine Erhöhung von 0,54 Prozent erhalten, für Kranke und Arbeitslose verbessere sich nichts. Die neuen Beschäftigungsverhältnisse seien Mini- und Midi-Jobs oder Leiharbeit, für Gysi eine "moderne Form der Sklaverei". Er widersprach Glos insofern, als der Aufschwung nicht von der Binnenkonjunktur, sondern nach wie vor von den Exporten getragen werde. Anders als Gysi vertrat Ludwig Stiegler (SPD) die Ansicht, der Aufschwung sei ohne Sozialabbau geglückt. Er räumte aber ein, dass der private Konsum noch nicht die Rolle spiele, die Glos ihm zugeschrieben hatte. Die Überschüsse der Bundesagentur für Arbeit sollten dem Bundeshaushalt zufließen. In der Vergangenheit seien reichlich Zuschüsse nach Nürnberg geflossen, die nun wieder zurückgezahlt werden könnten.
Ein Konzept zur Verstetigung des Wachstums vermisst Fritz Kuhn von den Bündnisgrünen. Er plädierte dafür, jetzt die Sozialsysteme zu reformieren. Dem Minister warf er vor, in der EU der "oberste Bremser" zu sein, was die ökologische Modernisierung angeht. Der aus dem Bundestag scheidende Abgeordnete Reinhard Göhner (CDU) trat in seiner letzten Parlamentsrede hingegen dafür ein, die Sozialabgaben zu senken und versicherungsfremde Leistungen aus Steuermitteln zu bezahlen. Programmatisch äußerte sich sein Fraktionskollege Norbert Röttgen, der ein ökologisches, qualifiziertes Wachstum durch Innovationen zum Ziel erklärte. Dazu sei eine Doppelstrategie erforderlich: einerseits beste Wachstumsbedingungen zu schaffen, um Globalisierungsgewinner zu bleiben, und andererseits die Schwächeren an diesen Gewinnen teilhaben zu lassen. Durch Bildung soll der Einzelne in die Lage versetzt werden, mit der Globalisierung umzugehen. Laut Röttgen muss der Staat in der Globalisierung Schutz gewähren. Verglichen mit dem Protektionismus sei der Wettbewerb aber das überlegene System.
Der SPD-Abgeordnete Rainer Wend griff ebenfalls das Thema Bildung auf. Kinder aus benachteiligten Familien müssten eine Chance auf Bildung und Ausbildung bekommen. Es sollten nicht nur diejenigen studieren können, deren Eltern ihrerseits schon studiert haben.