PRODUKTSICHERHEIT
EU-Kommissarin Kuneva hält die Regeln für ausreichend. EP will jetzt aber Importeure haftbar machen.
Die Weihnachtseinkäufe rücken näher. Doch Rückholaktionen des Spielzeugherstellers Matell wegen bleihaltiger Farben auf seinen Produkten haben Verbraucher und Eltern verunsichert. Deshalb sahen sich vergangene Woche EU-Kommission und Europaparlament veranlasst, das Thema Produktsicherheit auf die Tagesordnung zu setzen.
Die für Verbraucherfragen zuständige bulgarische EU-Kommissarin Meglena Kuneva versicherte dem zuständigen Ausschuss am 12. September im Europaparlament, die europäischen Kontrollen seien ausreichend. Der deutsche Wirtschaftsminister Michael Glos (CDU) hatte zuvor in einem Brief an EU-Industriekommissar Günter Verheugen einen europäischen TÜV angeregt, der Importe aus China prüfen solle. Die portugiesische Ratspräsidentschaft hatte EU-Kommissionspräsident Barroso zum Handeln aufgefordert. Laut Kuneva funktioniert der europäische Verbraucherschutz gut. Strengere Gesetze, wie zum Beispiel von den Grünen gefordert, seien überflüssig. Rückrufaktionen bewiesen ja gerade, dass das Frühwarnsystem Rapex, das Informationen über gefährliche Produkte sammelt und an die Mitgliedstaaten weiterleitet, intakt sei.
Dennoch will die Kommission in einer zweimonatigen Bestandsaufnahme "Stärken und Schwächen der aktuellen Mechanismen zur Gewährleistung der Produktsicherheit in Europa feststellen", wie es in einer Presseerklärung heißt. Kuneva sagte vor dem Parlamentsausschuss: "Ich glaube, dass unser bestehendes Regelwerk ausreicht. Aber ich bin entschlossen, keine Selbstzufriedenheit aufkommen zu lassen, wenn es um Verbrauchersicherheit, Kinder und Spielzeug geht."
In einem ersten Schritt traf sich Kuneva vergangene Woche mit Vertretern der europäischen Spielwarenindustrie. Gespräche mit den für Industriepolitik, Außenhandel, Außenpolitik und Gesundheit zuständigen Abteilungen der Kommission sollen folgen. Bis Ende September sollen die nationalen Aufsichtsbehörden der 30 dem Rapex-System angeschlossenen europäischen Länder den Erfolg der Rückrufaktion von Matell bewerten und in einer Konferenz Anfang Oktober ihre Erkenntnisse austauschen.
Dann wird Kuneva in die USA reisen, um Erfahrungen mit den dort für Produktsicherheit zuständigen Stellen auszutauschen. Vergangene Woche unterzeichneten Regierungsvertreter aus China in den USA eine Erklärung, dass sie keine bleihaltigen Farben mehr für Spielzeug verwenden wollen, das für den Export bestimmt ist. Der Binnenmarktexperte der CDU im Europaparlament, Andreas Schwab, fordert eine entsprechende Zusicherung auch für den europäischen Markt. "Von einem Importverbot chinesischer Produkte halten wir nichts, weil wir uns in einer globalen Wettbewerbssituation befinden", erklärte Schwab.
Kommissarin Kuneva warnte in ihrer Rede vor dem Ausschuss davor, Verbraucherschutz als Vorwand zu missbrauchen, um den europäischen Markt abzuschotten. Sie sagte aber auch: "Die Auslagerung der Produktion ist eine Sache. Verbraucherschutz kann nicht ausgelagert werden." Sie habe bei ihren im Juli in China geführten Gesprächen klarmachen müssen, "dass sich Politiker in Europa vor ihren Wählern verantworten müssen. Diese Denkweise ist chinesischen Politikern nicht so vertraut." Bis Ende Oktober erwartet die Kommission einen Bericht der chinesischen Behörden, in dem sie darlegen sollen, wie sie mit dem Frühwarnsystem der EU-Kommission zusammenarbeiten. Mehr als fünfzig Prozent der dort im vergangenen Halbjahr gemeldeten gefährlichen Produkte stammten aus China. Pünktlich zum EU-China-Gipfel am 28. November soll die Bestandsaufnahme abgeschlossen sein und Empfehlungen über das weitere Vorgehen vorliegen.
Ein Vergleich der Rapex-Statistik der Jahre 2006 und 2007 macht deutlich, dass die Zahl der gemeldeten Fälle stark zunimmt. Nach Einschätzung der Kommission ist das ein gutes Zeichen, da es zeige, dass die Wachsamkeit der nationalen Kontrollbehörden wachse. Allerdings gibt es weiterhin große Unterschiede. Während aus Ländern wie Deutschland, Griechenland oder Ungarn sehr viele gefährliche Produkte gemeldet werden, sind die Zahlen aus Irland oder Italien gering. Es sei kaum anzunehmen, so ein Kommissionsexperte, dass in Italien deutlich weniger bedenkliche Produkte auf den Markt kämen als im viel kleineren Griechenland.
Im Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz des Europaparlaments kam Kunevas Loblied auf die bestehenden Kontrollsysteme nicht besonders gut an. Die Sozialistin Arlene McCarthy erinnerte daran, dass bereits ein Kind durch gefährliches Spielzeug zu Tode gekommen sei. Allerdings geht es dabei um einen Fall aus den USA. Dort hatte ein Kind mehrere kleine sehr starke Magneten aus einem Spielzeug verschluckt, die sich im Verdauungstrakt zusammenklumpten und das Kind ersticken ließen. Das Beispiel zeige ja gerade, dass das Problem oft nicht bei den chinesischen Subunternehmern liege, konterte Kunvea. Oft sei der in Europa oder den USA entwickelte Prototyp das Problem - wie die Unfälle mit Magneten in Kinderspielzeug gezeigt hätten. Außerdem komme nur jedes zweite in der EU beanstandete Produkt aus China.
Die grüne Verbraucherschutzexpertin Hiltrud Breyer ist im Gegensatz zur Verbraucherschutz-Kommissarin sehr wohl der Ansicht, dass schärfere Gesetze hermüssen. Von den von Matell zurück gerufenen drei großen Produktchargen von insgesamt mehr als 20 Millionen Spielzeugen habe nur eine gegen geltende EU-Standards verstoßen. Dem Parlament sagte die grüne Europaabgeordnete: "Es gibt bestimmte Stoffe wie Blei oder krebserregende Substanzen, die derzeit noch im Spielzeug sein dürfen, wenn sie eine bestimmte Menge nicht überschreiten. Gefährliche Stoffe gehören aber überhaupt nicht ins Spielzeug." Die Chemikalienrichtlinie REACH werde zwar dafür sorgen, dass zum Beispiel bleihaltige Farben in der EU nicht mehr hergestellt werden dürften. Mit solchen Farben bestrichene Importe seien aber weiterhin erlaubt.
Ihr konservativer Kollege Andreas Schwab will deshalb darüber nachdenken, bei der geplanten neuen Verordnung zur Marktüberwachung die Importeure in die Pflicht zu nehmen. Die Produzentenhaftung laufe oft ins Leere, da der Hersteller schwer zu ermitteln sei. Diese Forderung dürfte für politischen Wirbel sorgen, da damit das Haftungsrisiko für europäische Zwischenhändler erheblich steigen würde.
Auch der EU-Parlamentarier Peter Liese (CDU), der die Stellungnahme des Umweltausschusses zur geplanten Verordnung über die Marktüberwachung verfasst hat, will erreichen, dass die Verordnung nicht erst 2010 sondern schon 2008 in Kraft tritt. Einen europäischen TÜV, wie vom deutschen Wirtschaftsminister angeregt, hält er für politisch nicht durchsetzbar. "Die Bundesländer, die in Deutschland für die Marktüberwachung zuständig sind, würden eine europäische Behörde nicht akzeptieren", glaubt Liese.
Damit das europäische Prüfzeichen CE nicht jede Glaubwürdigkeit verliere, so Liese, müsste die Marktüberwachung verbessert werden. Eine verbindliche Zertifizierung sämtlicher Produkte durch einen EU-TÜV lehnt Liese ab. Bei besonders sensiblen Produkten wie medizinischen Geräten sei das schon jetzt Pflicht. Ob Kinderspielzeug ebenfalls einer gesonderten TÜV-Überwachung unterliegen soll, sei "eine sensible Frage, die im EU-Parlament noch umstritten ist." Strengere Auflagen für sämtliche in der EU zugelassene und mit dem CE-Siegel gekennzeichnete Produkte würden dazu führen, dass ehrliche Hersteller durch zusätzliche Kosten belastet würden, nur weil es einige schwarze Schafe gibt.
Die grüne Verbraucherschutz-Expertin hält freiwillige Gütesiegel nicht für ausreichend - vor allem beim Spielzeug. Sie fordert eine Überarbeitung der von 1988 stammenden Spielzeugrichtlinie und eine Kontrolle für Spielzeugprodukte auf EU-Ebene. Seit drei Jahren arbeitet die EU-Kommission an einer Vorlage und will im Dezember endlich einen konkreten Vorschlag machen.
Krebserregende, erbgut- und fortpflanzungsschädigende Stoffe, so Breyer, hätten im Spielzeug ebenso wenig etwas verloren wie Nickelverbindungen, Acrylamide, oder Formaldehyde. "Wieso dürfen giftige Stabilisatoren, Polymere und Lösungsmittel in Kinderhände gelangen?", fragt die grüne Politikerin, die sich dafür eingesetzt hatte, dass Weichmacher in Kinderspielzeug in der EU verboten wurden.
Breyer will hohe Qualitätsstandards gesetzlich garantieren. Die Jüngsten sollen nicht davon abhängig sein, ob ihre Eltern beim Kauf auf Gütesiegel achten oder bereit sind, für Qualität mehr Geld auszugeben.