"Die Reform ist ein Schritt nach vorn", kommentierte Walter Arendt (SPD), Bundesminister für Arbeit und Soziales, das Rentenreformgesetz kurz nach dessen Verabschiedung. Sprichwörtlich in "allerletzter Sekunde" hatte das Gesetz am 21. September 1972 den Bundestag passiert. Bereits einen Tag später stellte Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) die Vertrauensfrage und verlor - allerdings nicht wegen der Rentenreform, sondern vor allem wegen seiner auf Annäherung setzenden Ostpolitik, die er gegen den Widerstand der CDU/CSU-Fraktion durchgesetzt hatte.
Das Rentenreformgesetz mit einem Volumen von etwa 185 Milliarden Mark war nahezu einstimmig verabschiedet worden. Es sah als wichtigste Neuerung die Zugrundelegung eines Mindestlohnes vor, um der Altersarmut vorzubeugen. Die Rente wurde von da an so bemessen, als habe das Einkommen des Rentners 75 Prozent des Durchschnittslohns betragen, auch wenn es real darunter lag. Außerdem wurde die Anhebung der Renten um 9,5 Prozent von Januar 1973 auf Juli 1972 vorverlegt. Die vormals strikte Altersgrenze wurde gelockert und damit ein Renteneintritt ab dem 63. Lebensjahr möglich. Voraussetzung für den früheren Renteneinstieg waren allerdings 35 Versicherungsjahre. In der Folge sank das durchschnittliche Renteneintrittsalter merklich.
Die Rentenversicherung wurde zudem für Selbstständige und Hausfrauen geöffnet. Für beide Gruppen wurden großzügige Nachentrichtungsmöglichkeiten eingeräumt. Dies bewirkte, dass überwiegend ältere Versicherte von dem für sie günstigen Angebot hoher Renditen Gebrauch machten. Dadurch allerdings standen den Einnahmen bald beträchtliche Ausgaben gegenüber.
Diese Neuerungen waren einerseits Folge der guten finanziellen Lage der Rentenversicherung; andererseits jedoch kostenträchtiger Vorbote der anstehenden Bundestagswahlen, derentwegen die Politik vor allem bei den älteren Wählern die 1967/68 entstandenen Engpässe vergessen zu machen suchte. Der Kostenaufwand für diese Reform war allerdings so enorm, dass in der Folgezeit zwangsläufig nicht nur die Rentenbeiträge auf 18 Prozent erhöht werden mussten, sondern zudem die Nachhaltigkeitsrücklage - damals noch Schwankungsreserve genannt - angezapft werden musste. 1981 schrieb eine "Arbeitsgruppe Bevölkerungsfragen" des Innenministeriums zu den Folgen des Geburtenrückgangs für das Rentensystem: "Der Beitragssatz müsste von gegenwärtig 18,5 Prozent auf 35 Prozent im Jahre 2035 ansteigen, wenn die Renten uneingeschränkt der Bruttolohnentwicklung folgen."