Der Zweckbau der sechziger Jahre in der Schadowstraße 6 verrät nicht, dass hier die Kunst zuhause ist. Um sich davon zu überzeugen, muss man schon die Stufen zum zweiten Stock erklimmen und bei Andreas Kaernbach läuten. Der Kurator der Kunstsammlung des Bundestages hat hier sein Büro. An den Wänden im Flur und im Besprechungszimmer lehnen Ölgemälde und Grafiken: Portraits, Abstraktes, Landschaften. Kai-Uwe von Hassel schaut ernst in Öl. An manchen Rahmen kleben Zettel: Für Herrn Müller im Tausch gegen Dieter Haack, steht da zum Beispiel.
Die Bilder gehören zur Sammlung des Parlaments. Abgeordnete können sich in der Schadowstraße Exponate für ihre Büroräume aussuchen. Und falls nach einiger Zeit der Wunsch nach Veränderung aufkommt, gehen sie erneut zu Andreas Kaernbach und stöbern in der Artothek. Viel zur Auswahl steht dort jedoch derzeit nicht. Die meisten der 4.000 Werke hängen in den Büros der Abgeordneten sowie in repräsentativen Räumen des Bundestages. Doch jedes Jahr wird die Sammlung um Neuzukäufe erweitert. Und dann gibt es eine neue Chance. Wer welches Werk schließlich bekommt, das entscheidet keine Hierarchie. "Es herrscht das Recht des ersten Zugriffs", sagt Kaernbach.
1968 wurde der Grundstein der Kunstsammlung gelegt. Auf Initiative des Kunstexperten und Abgeordneten Gustav Stein erwarb der Bundestag damals 500 Grafiken, um die Sitzungs- und Arbeitsräume der Parlamentarier in Bonn auszustatten. Seither wächst die Sammlung. Jedes Jahr investiert der Bundestag 175.000 Euro in neue Werke.
Die Auswahl trifft der Kunstbeirat, in dem alle Parteien vertreten sind und dem der Bundestagspräsident vorsitzt. "Kunst ist bei uns Chefsache", betont Kaernbach. Ein bis zwei Mal im Jahr trifft sich die Runde. Vorher hat der Kurator die wichtigen Kunstmessen im Land besucht und eine Vorauswahl getroffen. Entschieden wird anhand von Originalen, die Künstler und Galerien zur Verfügung stellen. Jeder im Beirat kann aber auch eigene Vorschläge einbringen, Bedingung: Einen Bezug zu Deutschland sollte die Kunst haben. "Wir versuchen sowohl repräsentative Werke zu erwerben als auch junge Künstler zu fördern", erklärt Kaernbach. Dabei soll keine Kunstrichtung bevorzugt werden. "Eine Artothek, in der für jeden etwas dabei ist, und keine Diktatur der Avantgarde", sei das Ziel.
Seit 1989 arbeitet der promovierte Historiker und Kunsthistoriker für den Bundestag. Im Jahr 2000 wurde er Kurator der Kunstsammlung und Sekretär des Kunstbeirats, der über die Neuanschaffungen entscheidet. "Ich habe hier einen Traumberuf", sagt Kaernbach. Anders als in einem Museum sei die Kunst im Bundestag unter ständiger öffentlicher Beobachtung und agiere quasi im öffentlichen Raum. "Hier gibt es wunderbar kontroverse Diskussionen", freut sich der Kurator. "Mir macht die Auseinandersetzung mit Bürgern und Abgeordneten sehr viel Spaß." Bei der "Kunst am Bau" des Berliner Parlamentsviertels wurden 15 Millionen Euro investiert, um Architektur und Kunst zusammenwirken zu lassen. 111 Künstlerinnen und Künstler waren beteiligt und haben allerorts ihre kreativen Spuren hinterlassen: Manche sind für jedermann jederzeit sichtbar, wie die in Glasplatten gravierten Artikel des Grundgesetzes von Dani Karavan am Jakob-Kaiser-Haus. Andere wirken verborgener in den Gebäuden. Andreas Kaernbach hat sichtbar Freude, sie Besuchern zu präsentieren und deren Bedeutungsschichten zu erläutern. "Die Kunst verbindet sich hier wunderbar mit dem politischen Umfeld."
An jedem Wochenende können Kunstinteressierte an kostenlosen Führungen durch die Bundestagsgebäude teilnehmen. Seit zwei Jahren zeigt der Bundestag zusätzlich eigene Ausstellungen, aktuell Werke des britischen Bildhauers Antony Gormley. "Der hat es geschafft, die Skulptur des Menschen wieder in den Mittelpunkt zu stellen," schwärmt Kaernbach beim Abschied. Doch unter den vier an der Decke aufgehängten Renn-Achtern von Christiane Möbus im Jakob-Kaiser-Haus bleibt er erneut stehen und berichtet begeistert von den vielen Bezügen des Werks zum Politikbetrieb. Kein Zweifel: Dieser Mann hat seinen Traumberuf gefunden.