GEWALT IM FUSSBALL
Ronny Blaschke schärft das Bewusstsein für ein lange bekanntes Problem
Eigentlich ist Adebowale Ogungbure nur ein Fußballspieler, ein Mittelfeldspieler. Sein Talent hat ihn aus dem nigerianischen Lagos nach Leipzig geführt. Beim FC Sachsen Leipzig, zweimaliger DDR-Meister und heutiger Oberligist, lebte er seinen Traum als Profifußballer. Einen Traum, der immer wieder zum Alptraum wurde. Denn Adebowale Ogungbures Haut ist schwarz und das macht ihn nicht nur im Osten Deutschlands, aber dort derzeit besonders, nahezu an jedem Spieltag zum Objekt des Hasses.
An die Schmähungen, die Beschimpfungen, das Affengebrüll von den Rängen hat sich Ogungbure mittlerweile fast gewöhnt - so gut es eben geht. Daran, was im März 2006 in Halle an der Saale passiert ist, was Ogungbure über die Grenzen Deutschlands hinaus tragische Berühmtheit einbrachte und was aus dem Fußballspieler Ogungbure einen Wortführer im Kampf gegen Rassismus im Fußball gemacht hat, kann sich kein Mensch gewöhnen. Denn: "In Halle blieb es nicht bei bösen Worten. Nach dem Abpfiff stürmten Zuschauer den Rasen. Sie bespuckten, schlugen und würgten Ogungbure. Seine Mitspieler wollen ihm helfen. Doch sie kommen zu spät." Noch schlimmer als die Schande von Halle ist allerdings, dass dies kein Einzelfall und Adebowale Ogungbure ebenso wenig eine Ausnahme ist. Rassismus und Randale sind seit jeher üble Begleiterscheinungen des Volkssports Fußball.
In seinem Buch "Im Schatten des Spiels. Rassismus und Randale im Fußball" nimmt der Berliner Sportjournalist Ronny Blaschke diese "Konstante" ins Visier. Er lässt Opfer wie Ogungbure zu Wort kommen, hat mit Krawallmachern, wie dem ehemaligen Hooligan Toni Meyer gesprochen, Verantwortliche von DFB, Faninitiativen und Polizei getroffen. Herausgekommen ist eine lesenswerte, weil authentische Bestandsaufnahme der Fankultur und vor allem der -unkultur. Lesenswert, weil Blaschke die Perspektive des Journalisten beibehält und nicht dozierend, sondern prägnant, schnörkellos und kenntnisreich schreibt. Lesenswert auch, weil Blaschke undramatisch einem Problem im Sport auf die Pelle rückt, für das stets nur kurz nach einem akuten Aufkochen ein Bewusstsein besteht. Wie bei einem Mosaik setzt Blaschke ein Steinchen neben das andere, das so entstehende Bild lässt den Leser die Zusammenhänge, dessen, was "Im Schatten des Spiels" und manchmal auch im Spot der Fernsehkameras, geschieht, verstehen oder zumindest erkennen.
Wie sehr sich das Fansein von der eigentlichen Leidenschaft zum Sport entfernen kann, zeigen Geschichten wie die von Toni Meyer. Ursprünglich war er einfach nur Fan von Bayern München - damals, mit 15. Als er bei einem Auswärtsspiel der Münchner in Köln in eine Schlägerei mit krawallmachenden FC-Fans gerät, ändert sich Meyers Leben. So sehr, dass es schon bald nicht mehr um Fußball, sondern nur noch um Gewalt geht. "Der Spielplan bestimmte unsere Gegner, fast jedes Wochenende hat es gekracht", erzählt Meyer. Wie ein Junkie habe er sich "hoch dosiert", immer mehr, immer härtere Gewalt. Höhepunkt der "Tournee der Torturen", der "Sehnsucht nach Schmerz" war für Meyer das Länderspiel der Deutschen Nationalmannschaft gegen die Niederlande im April 1989 in Rotterdam. "Als Hooligan habe ich gemerkt, dass ich lebe, egal, ob ich ausgeteilt oder eingesteckt habe." Der Fußball wurde zum Vehikel für den wöchentlichen Ausbruch aus seinem sonst meist biederen Leben.
Bei einer solchen Schlacht, bei der eine Horde deutscher Hools mal wieder auf der Suche nach dem Kick abseits des sportlichen Kicks war, ist der französische Gendarm Daniel Nivel in Lens bei der Fußball-WM 1998 in Frankreich fast ums Leben gekommen. Die Bilder des ins Koma geprügelten Polizisten gingen um die Welt. In Deutschland setzte daraufhin eine Debatte über die Rückkehr der Gewalt in den Fußball ein; dabei, darauf weist Blaschke zu Recht hin, war sie aus dem Fußball-Umfeld nie verschwunden, sondern nur aus dem Fokus der Medien und dem der Verantwortlichen - beim Deutschen Fußballbund (DFB) und in der Politik.
Denn eine koordinierte Fanarbeit, das ist Blaschkes berechtigte und schärfste Kritik, steht in Deutschland immer noch am Anfang. Auch wenn in den vergangenen Jahren "ein positiver Trend zu erkennen" ist: Seit 1992 gibt es ein "Nationales Konzept Sport und Sicherheit", es gibt die Koordinationsstelle Fanprojekte in Frankfurt, es gibt mittlerweile 33 Fanprojekte in Deutschland, in denen sich Sozialarbeiter um die Belange, Wünsche und Sorgen der Fans kümmern. Auf der anderen Seite leisten noch immer nicht alle Bundesländer ihren Anteil zur Finanzierung dieser Projekte - obwohl das Problem immer wieder offen zu Tage tritt.
Blaschkes Buch ist ein weiterer Schritt zur Festigung des Bewusstseins für das Gewaltpotenzial im Umfeld der Fußballstadien. Für Adebowale Ogungbure kann das nur ein kleiner Trost sein. Er spielt inzwischen bei den Offenbacher Kickers in der 2. Bundesliga. Auf das es ihm dort besser ergeht als in Leipzig...
Im Schatten des Spiels. Rassismus und Randale im Fußball.
Die Werkstatt,
Göttingen 2007; 240 S. 16,90 ¤