Untersuchungsausschuss
Streit vor Zeugenvernehmung im Fall Zammar. Die Opposition fordert Akteneinsicht.
Der Showdown steigt vor dem Sitzungssaal. Opposition und Koalition, vorerst allein die SPD, kreuzen gleich zum Auftakt der dritten Runde im Untersuchungsausschuss medienwirksam die Klingen. Vor Mikrofonen und Fernsehkameras reibt Thomas Oppermann FDP, Linkspartei und Grünen unter die Nase, dass doch eigentlich schon alles klar sei: Mohammed Haydar Zammar, der seit 2002 in Damaskus inhaftiert ist und dort im Februar dieses Jahres zu zwölf Jahren Haft verurteilt wurde, habe im Herbst 2001 hierzulande als "terroristischer Gefährder" gelten müssen. Der Deutsch-Syrer, insistiert der SPD-Obmann , sei ein "bekennender Dschihadist", er habe vor den New Yorker Attentaten in der Wohngemeinschaft der Hamburger Terrorzelle verkehrt und sei bei den Mudschaheddin in Afghanistan zum "Terrorkämpfer" ausgebildet worden.
Gegen dieses apodiktische Urteil zieht Wolfgang Neskovic von der Linkspartei zu Felde: Die Koalition wolle Zammar schon zu Beginn der Recherchen im Ausschuss, die dessen Vorsitzender Siegfried Kauder (CDU) auf bis zu fünf Monate veranschlagt, unter Missachtung der Unschuldsvermutung "als Terroristen hinstellen". Dabei müsse erst geprüft werden, wie gefährlich der Deutsch-Syrer tatsächlich gewesen sei. Zwar gebe es Verdachtsmomente, doch hätten die hiesigen Ermittlungen einen Haftbefehl nicht gerechtfertigt.
Wie Neskovic verweisen auch Hellmut Königshaus (FDP) und Hans-Christian Ströbele (Grüne) auf weitere neuralgische Punkte. Sind deutsche Behörden wegen der Weitergabe von Informationen über Zammar für dessen Verhaftung in Marokko und für dessen Haft in Syrien mitverantwortlich, die auch Oppermann als "menschenrechtswidrig" bezeichnet? Und durften deutsche Polizisten und Geheimdienstler Zammar, der mehrere Jahre in einer als Foltergefängnis geltenden Anstalt einsaß, in Damaskus verhören? Auch für Terrorverdächtige, betont die Opposition, müssten rechtsstaatliche Prinzipien gelten. Der Zusammenprall vor dem Journalistenpulk offenbart, dass hinter dem vordergründig bloß formal anmutenden Geplänkel im Ausschuss über fehlende Unterlagen ein politischer Clinch steckt. Aus Oppermanns Sicht untermauern die vorliegenden Dokumente bereits jetzt die von Zammar im Herbst 2001 ausgehende terroristische Gefährdung.
Doch FDP, Linkspartei und Grüne sehen ungeklärte Fragen und bestehen deshalb auf der Anforderung auch der Ermittlungsakten des Bundeskriminalamts (BKA) und der Bundesanwaltschaft, ohne deren Kenntnis die Befragung von BKA-Beamten nicht möglich sei. Die Vernehmung des BKA-Mitarbeiters Paul Kröschel, der nach dem 11. September 2001 die Ermittlungen in Hamburg leitete, ist denn auch rasch wieder beendet. Der Ausschuss vertagt sich erst einmal.
Hakeleien und Sticheleien zwischen Opposition und Koalition gleich zum Auftakt des Falls Zammar beleuchten, dass es diese Affäre in sich hat. Die terroristischen Verdachtsmomente gegen den Deutsch-Syrer scheinen, so weit bisher bekannt, schwerer zu wiegen als bei Khaled El-Masri und Murat Kurnaz, mit deren Schicksal sich die Parlamentarier zuvor befasst haben: Bei dem von der CIA nach Afghanistan entführten El-Masri liegt praktisch gar nichts vor, und die einst vom ehemaligen Guantanamo-Gefangenen Kurnaz ausgehende Gefährdung ist höchst umstritten.
Der inzwischen 45-jährige Zammar war 1971 aus Syrien in die Bundesrepublik gelangt, wo er 1982 einen deutschen Pass bekam. Damaskus entließ ihn jedoch nicht aus der syrischen Staatsangehörigkeit. Nach Medienberichten, die sich auf Geheimdiensterkenntnisse beziehen, wurde Zammar in den 90er Jahren in Afghanistan an Waffen trainiert. Vor dem 11. September 2001 soll er Kontakte zur Hamburger Terrorzelle unterhalten haben. Es ist auch die Rede davon, dass Zammar angeblich versucht hat, Murat Kurnaz für den Terrorkampf zu gewinnen. Kurnaz widerspricht entschieden, ihm sei Zammar gar nicht bekannt.
Wie tragfähig aber sind die Vorwürfe? Zammar war nach den Attentaten von New York im Visier der Geheimdienste und des BKA. Allerdings wurde nie ein Haftbefehl erlassen, die Verdachtsmomente reichten dazu wohl nicht aus. Und vor diesem Hintergrund stellt sich für den Ausschuss die brisante Frage, was hiesige Stellen anderen ausländischen Diensten zu Zammar mitteilten und ob diese Informationen etwa zur Festnahme des Deutsch-Syrers im Herbst 2001 in Marokko führten. Nach Medienberichten, die auf BKA-, FBI- und CIA-Dokumente verweisen, sollen deutsche Behörden die USA weitreichend über Zammar unterrichtet haben. Wer Zammar in Marokko verhaftete und wie er nach Syrien kam, ist im Detail unklar.
Für Neskovic ist offensichtlich, dass die Affäre ein Beispiel für illegale CIA-Verschleppungsaktionen ist. Der Liberale Königshaus insistiert auf einer Kernfrage: Dürfen deutsche Behörden in einem "Foltergefängnis" Verhöre vornehmen? Im November 2002 befragten Vertreter des Bundesnachrichtendienstes, des Verfassungsschutzes und des BKA Zammar in Syrien.
Haben Informationen aus Deutschland vielleicht gar zur Verurteilung Zammars im Februar beigetragen? Er selbst erklärte sich vor dem Staatssicherheitsgericht in Damaskus, vor dem ihm die Anklage Mitgliedschaft in der Moslembruderschaft, Kontakte zu den Attentätern des 11. September und diverse Staatsschutzdelikte vorwarf, für unschuldig. Offenbar entging der Deutsch-Syrer nur knapp einer Hinrichtung: Zunächst wurde er zum Tode verurteilt, doch dann wurde die Strafe auf zwölf Jahre Haft reduziert. Neskovic ist überzeugt, dass der hiesige Untersuchungsausschuss mit seiner frühzeitig für diesen Fall erregten öffentlichen Aufmerksamkeit Zammar "das Leben gerettet hat".