AFGHANISTAN
Interview mit Sayed Mustafa Kazimi
Herr Kazimi, Sie waren zwei Jahre Handelsminister und sind jetzt Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses des afghanischen Parlaments sowie Sprecher der so genannten "Nationalen Front". Welche politischen Ziele verfolgt Ihr Bündnis?
Wir betrachten uns als politische Alternative zur Regierung. Allerdings arbeiten wir nicht gegen unsere Staatsführung, sondern wir wollen sie ergänzen. Wir versuchen, die Bevölkerung einzubinden, um zu verhindern, dass sie massenhaft zu den Taliban überläuft. Wir sind gegen die Zentralisierung und haben vorgeschlagen, die Rechte der regionalen Parlamente und der Gouverneure in den Provinzen zu stärken. Deshalb sind wir dafür, die Gouverneure direkt vom Volk wählen und nicht länger vom Präsidenten ernennen zu lassen. Damit verfügten sie vor Ort über eine eigene demokratische Legitimation. Nachdem wir diese Vorschläge veröffentlicht hatten, bezeichnete man uns als Warlords.
Sind Sie also die parlamentarische Opposition zur afghanischen Regierung?
Was bleibt uns anderes übrig. Die Lage in Afghanistan ist ganz anders, als von der Regierung dargestellt. Dennoch: Wir bekämpfen nicht Karsai, sondern die Taliban.
Warum gelingt es nicht, den Bürgerkrieg zu beenden?
Unsere Regierung und die ausländischen Truppen haben keine Geduld. Außerdem kennen sie das Land nicht gut. Bereits vor zwei Jahren haben wir gefordert, härter gegen die Taliban vorzugehen. Keiner ist dem gefolgt, stattdessen spricht man über Frieden mit ihnen. Es wird immer schlimmer: Die Regierung und die ausländischen Truppen sehen nicht in den Taliban die eigentliche Gefahr, sondern in der früheren Nordallianz und in der "Nationalen Front".
Wäre es richtig, mit den Taliban zu verhandeln?
Wir haben Präsident Karsai gewarnt und ihn darauf hingewiesen, dass die Taliban versuchen würden, einen Keil zwischen ihn und die "Nationale Front" zu treiben. Gelingt ihnen das, steht Karsai ganz allein gegen sie. Dann können ihm auch die ausländischen Truppen nicht mehr helfen. Im Übrigen haben die Taliban auch uns vor kurzem Geheimgespräche angeboten.
Werden Sie als Nationale Front darauf eingehen?
Nein. Uns können die Taliban nicht täuschen, dazu kennen wir sie zu lange und deshalb empfehlen wir Karsai, mehr Geduld aufzubringen und die Angebote der Taliban nicht für bare Münze zu nehmen.
Warum übernehmen Sie nicht mehr Verantwortung?
Wir sind weder Putschisten noch Warlords. Wir respektieren die demokratische Wahl des Präsidenten und unterstützen die von ihm eingesetzte Regierung. Wir sind schließlich gewählte Abgeordnete. Wenn es in Afghanistan noch demokratische Signale gibt, kommen sie allein aus dem Parlament, in dem das ganze afghanische Volk vertreten ist.
Was werfen Sie der Regierung in Kabul konkret vor?
Einige Mitglieder der Regierung sind Anhänger von Hekmatjar, der die Taliban faktisch steuert. Sie machen Propaganda gegen uns und wollen das Parlament aus dem Entscheidungsprozess herausdrängen. Diese Minister und Politiker raten dem Präsidenten, die frühere Nordallianz und jetzige "Nationale Front" zu bekämpfen. Gleichzeitig drängen sie ihn, den Taliban ein Friedensangebot zu machen und ihnen Regierungsstellen anzubieten. Da sich die Taliban erwartungsgemäß nicht darauf einlassen, lacht ganz Afghanistan über seinen schwachen Präsidenten.
Wieso hat es die Regierung in sechs Jahren nicht geschafft, eine fähige Armee aufzustellen?
Es gibt zwei Probleme. Zum einen hat die Führung den Aufbauprozess selbst torpediert, indem sie denen folgte, die keinen starken Staat wollten. Statt Armee und Infrastruktur aufzubauen, hatte der Präsident nichts Besseres zu tun, als die ehemalige Nordallianz zu bekämpfen. Zum anderen macht die internationale Gemeinschaft viele Fehler, so dass ihre Position im Land immer schwächer wird. Die Staaten setzten nicht alle Hebel in Bewegung, um möglichst viele Soldaten und Polizisten auszubilden, damit wir selbst für unsere Sicherheit sorgen können.
Wie stark sind die Taliban denn in Wirklichkeit?
Als militärische Macht mache ich mir über die Taliban keine Sorgen. Da ich jahrelang gegen sie gekämpft habe, weiß ich, dass sie aus militärischer Sicht keine Bedrohung darstellen. Die wahre Kraft der Taliban liegt in ihrer Ideologie, das ist ihre Stärke. Ihre Ideologie gibt vielen Afghanen Rückhalt und deshalb werden sie jeden Tag stärker.
Wie sieht die Zukunft Afghanistans aus?
In dem Maße, in dem der politische, militärische und wirtschaftliche Druck auf die islamischen Staaten weiter zunimmt, steigt auch der Widerstand gegen den Westen. Durch Hetzkampagnen, in denen tiefgläubige Muslime als Radikale denunziert werden, treibt man sie von uns weg und den Taliban geradewegs in die Arme.
Was halten Sie von der Berichterstattung über Afghanistan?
Die internationale Gemeinschaft sollte sich besser über Afghanistan informieren. Die Europäer, aber vor allem die USA, wollen ihre Vorstellungen von Demokratie bei uns mit Gewalt durchsetzen. Sie wollen nicht sehen, dass wir ein islamischer Staat sind. Sie schicken ihre Armeen nach Afghanistan, wissen aber nicht, womit sie es zu tun haben.
Fürchten Sie eine "Irakisierung" Afghanistans?
Die Amerikaner werden den Krieg im Irak nicht gewinnen. Deshalb befürchten wir, dass sie nach der Niederlage im Irak diesen Krieg nach Afghanistan mitbringen werden. Und wenn die afghanische Regierung ihre Politik nicht ändert, werden auf uns die gleichen Probleme zukommen wie im Irak, Terrorismus im ganzen Land und Bürgerkrieg.
Soll die Bundeswehr in Afghanistan bleiben?
Wir haben sie eingeladen. Wir haben dem afghanischen Volk erklärt, sie seien unsere Gäste und keine Besatzungstruppen. Das haben uns die Menschen geglaubt. Seitdem haben jedoch weder ISAF noch die afghanische Regierung auf uns gehört. Stattdessen hat man den Taliban Zeit gegeben, sich erneut zu sammeln und ihre alten Verbindungen wieder aufzubauen. Das ist der Grund dafür, warum ISAF und NATO keine dauerhaften Erfolge verzeichnen können.
Wie lange sollte Ihrer Meinung nach die Bundeswehr in Afghanistan bleiben?
Bis zu einem Sieg könnte es noch 20 Jahre dauern. Eine Niederlage kann ganz schnell kommen.
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