»PARDON«
Das legendäre Magazin ist endgültig eingestellt worden. Ein Rückblick auf die bundesdeutsche Satirekultur.
Das Jahr 1962: Adolf Eichmann wird gehängt, die "Spiegel"-Affäre erschüttert die Republik, das deutsche Wirtschaftswunder bricht sich Bahn. Die Zeit verlangt nach kritischer Analyse. Auch deshalb erscheint am 27. August 1962 die Satire-Zeitschrift "pardon". Das erste Titelbild gestaltet Loriot: ein bunter Blumenstrauß mit Bombe und brennender Lunte.
Gründungsväter von "pardon" sind die beiden Verleger Erich Bärmeier und Hans A. Ni-kel. "1962 gab es ja noch ganz verkrustete Verhältnisse", erinnert sich Nikel, "das war wirklich die wilhelminische Vorstellung vom Staatsbürger. Die alten Beamten aus dem Dritten Reich wurden fast alle wieder eingestellt. Die alten Generäle wurden in das Amt Blank zusammengeholt (der Vorgängerorganisation des Bundesverteidigungsministeriums, die Red.). Adenauer hatte eine ganz konservative Politik durchgesetzt. Und da habe ich mir gedacht: ‚Nein, so geht es nicht! Wozu haben wir einen neuen Staat? Jetzt muss da eine Zeitschrift her, die dies aufs Tablett bringt!'"
Während Bärmeier zuständig ist für das Verlags- und Vertriebsgeschäft, kümmert sich Chefredakteur Nikel um Inhalte. Mit Erfolg. Zunächst jedenfalls. In den besten Jahren erreicht "pardon" eine Auflage von 320.000 Exemplaren. Dafür sorgt auch der illustre Kreis an Autoren: Hans Magnus Enzensberger, Herbert Feuerstein, Werner Finck, Ephraim Kishon, Erich Kästner, Alice Schwarzer, Günter Wallraff, Martin Walser. "Ich merkte, da geht was Neues los", erinnerte sich der Schriftsteller Robert Gernhardt kurz vor seinem Tod, "da wird eine Sprache gesprochen, da werden Witze gemacht, Pointen gesetzt, auf die ich gewartet hatte."
Markenzeichen des auflagenstärksten euro-päischen Satireblattes ist das kleine Teufelchen, das hinterhältig seine schwarze Melone zum Gruße lupft. Das "pardon"-Logo kommt aus der Feder des noch unbekannten Karikaturisten Friedrich Karl Waechter: "Ich habe die Zeit bei ,pardon' hauptsächlich deshalb so genossen, weil ich davor in der Schule brav und angepasst war und nun plötzlich die Erfahrung machte, für das, wofür ich in der Schule noch Ohrfeigen bezog, jetzt bei ,pardon' geliebt und getätschelt zu werden und auch noch Geld dafür zu bekommen - für Unverschämtheiten, für Frechheiten, für Dinge, die sich nicht schickten, die unanständig oder böse waren."
Die monatlich erscheinende Satireschrift schafft Empörung und belustigt immer wieder die Republik. Legendär ist die "pardon"-Langspielplatte "Heinrich Lübke redet für Deutschland". "Ich hatte gedacht, wenn wir so eine Zeitschrift machen, dann müssen die Leser merken, dass wir selbst als Demokraten auch auf die Straße gehen und Dinge machen, die sie selbst machen könnten", erinnert sich Nikel, "das heisst, der Bürger selbst ist verantwortlich für das, was in Bonn passiert. Und insofern haben wir dann die verrücktesten Aktionen gemacht, um zu zeigen, dass man als Leser oder als Redakteur eben nicht nur hinterm Schreibtisch sitzt, sondern dass man Demokratie lebendig macht."
Was damals die Öffentlichkeit provozierte, gehört heute zu den Klassikern des investigativen Satirejournalismus: eine Günter-Grass-Büste in der Regensburger Walhalla, die inszenierte LSD-Orgie für die "Frankfurter Rundschau", das Aufdecken von Missständen bei der Bundeswehr und der Streit um die Jägermeister-Werbung. In der Foto-persiflage sagt ein Mädchen mit Schnapsglas in der Hand: "Ich trinke ,Jägermeister', weil mein Dealer zur Zeit im Knast sitzt."
Skandal! Trotzdem oder gerade deshalb wird "pardon" zum Kultblatt der 68er-Bewegung. Absurd, anarchistisch, geistreich, frech - die Zeitschrift verbindet Politik mit Witz, Information mit Satire und Philosophie mit feinsinniger Comic-Illustration. Verantwortlich dafür sind Hans Traxler und Chlodwig Poth. Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" konstatierte: ",Pardon' hat unter Nikels Leitung mit dessen literarisch-satirischem Spürsinn Einfluss auf den Zeitgeist der Republik genommen - eine markante Phase der Nachkriegsgeschichte."
Juristische Auseinandersetzung gab es viele, vor allem mit Franz Josef Strauß. 18 Mal musste Chefredakteur Nikel vor Gericht, 18 Mal gewann er gegen den Minister und CSU-Vorsitzenden. "Das Interessante war", erzählt Nikel im Rückblick, "und darauf bin ich sehr stolz, dass diese Zeitschrift im Hinblick auf die Tatsachen ganz exakt recherchiert hat. Ich hatte es da sehr schwer - selbst mit der Redaktion. Viele meinten: ‚Satire darf alles!' Und das konnte ich so nicht akzeptieren. Witz allein ist keine Rechtfertigung unsolide und unseriös zu sein. Weil das von den Lesern gespürt wurde, war ,pardon' wirklich sehr angesehen."
Legendär ist auch jener von "pardon" erfundene Amateurdichter, der acht Seiten aus Robert Musils berühmtem Werk "Der Mann ohne Eigenschaften" an 30 Verlage schickt - als Arbeitsprobe, mit der Bitte, den Text zu veröffentlichen. Rowohlt, Suhrkamp, Fischer, alle gehen "pardon" auf den Leim. Deutschlands Lektorenschaft lehnt den "unbekannten Text" ab. Das Publikum vermag nicht zu entscheiden, was lächerlicher ist: die literarische Unbildung oder die verlegerische Arroganz.
Ende der 1970er-Jahre beginnt es innerhalb der Redaktion zu brodeln: Einige Mitarbeiter trennen sich von der Redaktion und gründen die "Titanic". Mit der Auflage geht es steil bergab. 1980 verkauft Nikel das Blatt. Chef mit neuer Redaktion in Hamburg wird der Kabarettist Henning Venske. Doch der Aufschwung bleibt aus.1984 wird ,pardon' eingestellt. 20 Jahre später kommt es zum vorerst letzten Wiederbelebungsversuch. Der Jenaer Satiriker Bernd Zeller lässt "pardon" vollmundig wiederauferstehen ("Deutschlands führende Satirezeitschrift"). Doch auch der Buchautor, "Titanic"-Karikaturist und Ex-Gag-Schreiber für Harald Schmidt scheitert. Jetzt wird "pardon" wirklich eingestellt - endgültig. Zuletzt hatte das Blatt nur noch 1.000 Abonnenten.