Baader-Meinhof
Zwei Analysen - in unterschiedlicher Qualität
Wenn RAF draufsteht, wissen die Leser, was sie zu erwarten haben. Das ist fast wie mit Adolf Hitler, der geht auch immer." So lakonisch wie Willi Winkler in einem Interview hat selten ein Autor sein eigenes Werk eingeordnet. Der Feuilletonist der "Süddeutschen Zeitung" weiß um die unzähligen Regalmeter, die sein Thema bereits gefüllt hat und sicher auch in Zukunft füllen wird.
Nichtsdestotrotz hat er sein Buch, wenig um Bescheidenheit bemüht, gleich "Die Geschichte der RAF" benannt. Doch das Gähnen, das sich hier angesichts des vermeintlich hundertsten Aufgusses der selben Geschichte einstellen könnte, wäre verfrüht. Anders als der Spiritus Rector der RAF-Literatur, Stefan Aust, der in seinem "Baader-Meinhof-Komplex" die Erzählung beginnt, als sich die RAF gründet, hat Winkler den Bogen erheblich weiter gespannt. Er konzentriert sich ausführlich auf die Vorgeschichte der Gruppe um Ulrike Meinhof, Andreas Baader und Horst Mahler. Für Winkler gehören schon eine gewalttätige Demonstration der "Freien Deutschen Jugend" 1952, die NS-Vergangenheit der Eltern-Generation und die Proteste gegen die atomare Bewaffnung und den Vietnamkrieg zur Vorgeschichte der RAF. Damals sei, so Winkler, "bei jenen, die der Macht noch nicht teilhaftig geworden waren und ihr schon deshalb grundsätzlich misstrauten, die Furcht vor einem Staat" gewachsen, der "sich prophylaktisch um den Notstand sorgte und so die neuen demokratischen Errungenschaften gleich wieder in Frage stellte". Als am 2. Juni 1967 bei einer Demonstration gegen den Schah von Persien der Student Benno Ohnesorg erschossen wurde, habe die "Spirale von Gewalt und Brutalität" begonnen, "in der die RAF entstand".
Man muss der These, die RAF wäre ohne den Tod Ohnesorgs nicht entstanden, nicht zustimmen, lässt sie doch außer Acht, wie stark die Protestbewegung von Anfang an mit der Gewalt kokettierte. Dennoch ist es Winklers großes Verdienst, die RAF nicht losgelöst zu betrachten, sondern immer im nötigen Kontext. Es ist wichtig, wenn er schreibt: "Die RAF kam keineswegs aus dem Nichts, sondern aus dem aufgeklärten, liberalen Mittelstand"- denn genau das machte ja die Abgrenzung vieler Intellektueller von den vermeintlich revolutionär-avantgardistischen Ideen der Gruppe so schwierig. Das, was Winkler über die RAF und ihre Mitglieder zusammengetragen hat, mag nicht neu sein. Überraschend anders als die bislang publizierten Chroniken des deutschen Linksterrorismus sind die Verknüpfungen, die Winkler immer wieder herstellt. Er zeichnet überzeugend nach, in welchem Milieu die RAF ihre Mitglieder rekrutierte, innerhalb welcher innenpolitischen und gesellschaftlichen Debatten dies geschah.
Winklers Analysen sind überzeugend, wirken aber nicht oberlehrerhaft. Und da, wo er in der Recherche an Grenzen gestoßen ist - wie etwa im Fall des V-Manns Peter Urbach oder der nach wie vor nahezu unbekannten "dritten Generation" der Gruppe - benennt er die Lücken offen und verfällt nicht ins Spekulative.
Am wohltuendsten aber ist Winklers klare Sprache. Sein bemerkenswert guter Stil erlaubt es ihm, sich seinem Forschungsobjekt zu nähern und es zu analysieren, ohne dabei anbiedernd oder hämisch zu sein. Dies unterscheidet Winklers Buch von einer weiteren Neuerscheinung zum Thema: den Erinnerungen des Journalisten Ulf G. Stuberger, der von 1975 bis 1977 als einziger Journalist den Prozess gegen die RAF-Führungsriege in Stammheim von Anfang bis Ende verfolgte. Was interessant sein könnte, liest sich mühsam, weil Stuberger gar zu offensiv um Distanz zu Meinhof und Co. bemüht ist: So muss in der Beschreibung der Terroristen stets reflexhaft die Information hinterhergeschoben werden, sie seien an "zahlreichen Morden beteiligt" gewesen.
Problematisch ist auch, wie stark Stuberger sein eigenes Empfinden immer wieder mit der Beschreibung des spektakulären Prozesses vermischt. Diese permanente Überhöhung der eigenen Person gipfelt schließlich in der Erinnerung, er habe sich im Frühjahr 1976 nach vielen Abwägungen dazu entschieden, einen Text über Ulrike Meinhofs labilen Zustand zu verfassen. Als sie wenig später Selbstmord beging, habe er, Stuberger, sich vorgeworfen, "nicht früher meine Eindrücke veröffentlicht zu haben. Hätte ich den Suizid verhindern können?"
Es hätte Stubergers Buch gut getan, wenn er seine subjektiven und teils emotionalen Erinnerungen gelegentlich durch Faktenmaterial aus den Abschriften und Prozessakten unterbrochen hätte - doch diese Unterlagen hat er, etwas unverständlich, in einem zweiten Buch publiziert. Eine Mischung beider Bücher wäre vielleicht sinnvoller gewesen - und hätte den Vergleich von Stubergers und Winklers Chroniken möglicherweise etwas weniger deutlich zugunsten des Zweiten entschieden.
Die Geschichte der RAF.
Rowohlt Berlin, Berlin 2007; 528 S., 22,90 ¤
Die Tage von Stammheim. Als Augenzeuge beim RAF-Prozess.
Herbig Verlag, München 2007; 317 S., 19,90 ¤