ITALIEN
Konsumenten dringen auf niedrigere Nudelpreise
Kürzlich wurde es wieder vorgeführt. Die großen italienischen Verbraucherverbände riefen gemeinsam zum Pasta-Boykott auf, um gegen die steigenden Lebensmittelpreise und die fehlende Transparenz in der Preisgestaltung zu protestieren. Um 650 Prozent steigt der Preis, wenn Getreide zur Nudel wird - und keiner weiß, wieso. Demonstrativ verteilten die Verbände vor den Supermärkten und in den Stadtzentren kostenlos Brot und Nudeln. Begleitet wurde die Aktion von lautem Pressetamtam. Dabei wurde der Zeitungsleser detailliert über die skandalösen Praktiken der Preisspekulation informiert und erfuhr nebenbei, dass sich die Abgeordneten in Rom in ihrer hauseigenen Mensa nicht an den Aufruf gehalten hatten, die Insassen des römischen Gefängnisses Rebibbia hingegen den ganzen Tag im anstaltseigenen Laden keine Nudeln kauften. Von einem vollen Erfolg war anschließend auf Seiten der Veranstalter die Rede. Ein Flop, höhnten die Händler, bevor man wieder zur Tagesordnung überging.
Viel Lärm um nichts also? Nicht unbedingt. Denn ihr erklärtes Ziel hat die konzertierte Aktion der italienischen Verbraucherschützer und der nationalen Bauernverbände erreicht: Der Konsument ist aufgeschreckt. Darüber hinaus sind die Politiker gewarnt. Ihnen wird vorgeworfen, nicht ausreichend für die notwendigen Kontrollen zu sorgen. Ihre Reaktion ließ auch nicht auf sich warten. Schon zwei Tage nach dem Boykott wurde verkündet, dass Bauernmärkte nun endlich die bislang fehlende gesetzliche Grundlage erhalten, so dass der Verbraucher direkt beim Hersteller einkaufen kann.
"Präsenz zeigen ist der Sinn solcher symbolischer Aktionen", meint Romeo Romei, Vorsitzender der toskanischen Verbraucherschützer, und erklärt, dass die italienische Gesetzgebung sich zwar auf europäischem Niveau bewegt, dass es allerdings an Kontrolle mangelt. "Zwischen dem Sagen und dem Tun liegt in der Mitte das Meer, heißt es bei uns und leider gilt das auch für den gesetzlichen Verbraucherschutz. Darum ist die Zusammenarbeit mit der Presse ein wichtiges Instrumente im täglichen Kampf um unsere Rechte." Im Vergleich zu den gut organisierten Verbänden in Nordeuropa steckt der italienische Verbraucherschutz noch in den Kinderschuhen. "Wir sind eine Art Bürgerbewegung und keine Behörde, die dafür Sorge trägt, dass die geltenden Verordnungen eingehalten werden und der Verbraucher zu seinem Recht kommt. Dazu fehlen uns die notwendigen finanziellen Mittel. Im Gegenzug haben wir jedoch die Freiheit, im Notfall zu radikalen Methoden zu greifen, wie der Boykottaufruf zeigt."
Selbst wenn er die Wahl hätte, würde Gewerkschafter Romeo Romei sich keinen besser ausgerüsteten Verwaltungsapparat wünschen. Die Effizienz italienischer Verbraucherverbände basiert seiner Meinung nach gerade auf dem Einsatzwillen der ehrenamtlichen Helfer. So hatte schließlich alles angefangen. 1976 schlossen sich in Parma 437 Frauen zusammen, um gegen die Preisspekulation bei Parmesankäse zu protestieren. Es dauerte allerdings mehr als 20 Jahre, bis die Bewegung durch das Gesetz 281/1998 ihre erste offizielle Anerkennung erhielt und weitere fünf Jahre, bis ein anderes Gesetz auch die Finanzierung der Verbraucherorganisationen regelte. Heute ist Verbraucherschutz in Italien als Netzwerk aus 17 unterschiedlichen Verbänden organisiert, mit einem Rat, der im Ministerium für Wirtschafsentwicklung angesiedelt ist, und Vertretungenauf regionaler Ebene.
Als besonders gut geschützt gilt der italienische Konsument im Bereich Lebensmittelsicherheit. Verbraucherverbände, Gesetzgeber und Landwirte ziehen in der Regel am gleichen Strang und haben ein engmaschiges Kontrollnetz aufgebaut. Das gemeinsame Ziel lautet: regionale Qualitätsproduktion und Transparenz. Der Verbraucher soll sich selber schützen können, mithilfe übersichtlicher Etikettierung und durch geschützte Ursprungsbezeichnungen. Es ist daher nicht weiter verwunderlich, dass ein Drittel der gut 700 regionalen Spezialitäten, die ein europäisches Gütesiegel tragen, aus Italien stammen. Und kürzlich hat eine Umfrage erneut ergeben, dass immer noch 90 Prozent der Italiener bereit sind, für Lebensmittel mit traditionell-geografischer Herkunftsbezeichnung mehr zu bezahlen.
Inzwischen fühlen sich die italienischen Verbraucherschützer derart gestärkt, dass sie in punkto Lebensmittelsicherheit Europa herausfordern wollen. Im Verbund mit Bauernvertretungen und der nationalen Lebensmittelindustrie wollen sie bis Mitte November rund drei Millionen Unterschriften sammeln. Damit soll ein nationales Gesetz gegen den Anbau genetisch veränderter Produkte in der italienischen Landwirtschaft durchgesetzt werden.
Gleichzeitig verstehen sie ihren Aufruf als Protest gegen die neue europäische Norm, die selbst in biologischen Produkten bis zu 0,9 Prozent gentechnisch veränderte Produkte erlaubt.