WEINMARKTREFORM
Deutsche Winzer fühlen sich von EU-Vorschlägen benachteiligt
Viele Deutsche haben den vergangenen Sommer als trübe und regnerisch abgehakt und hoffen auf einen "goldenen Herbst". Für die deutschen Winzer hat der Wechsel von Sonne und Regen bei milden Temperaturen aber die besten Voraussetzungen für einen besonders guten Jahrgang 2007 gebracht. Doch die Freude über höhere Ertragsmengen und hohe Oechslegrade wird getrübt durch die von der EU geplante Weinmarktreform.
"Wir sind grundsätzlich daran interessiert, die Wettbewerbssituation des europäischen Weinbaus zu verbessern, aber die Vorschläge der Kommission gehen in die total falsche Richtung", sagt Rudolf Nickenig, Generalsekretär des Deutschen Weinbauverbandes. Dadurch würden bestenfalls die großen Tafelweinregionen Spaniens und Italiens profitieren. Historisch und kulturell gewachsene Traditionsanbaugebiete dürften dagegen ins Hintertreffen geraten.
EU-Agrarkommissarin Mariann Fischer Boel hatte ihren Reformvorschlag Anfang Juli vorgestellt. Sie will damit den "Weinsee" trockenlegen, der sich im Laufe der Jahre vor allem durch die Überproduktion in südlichen Ländern gebildet hat und der die EU jährlich Millionen Euro kostet. Vom EU-Etat für den Weinbau in Höhe von 1,5 Milliarden Euro wird ein Drittel allein für die Destillation überschüssigen südländischen Tafelweines ausgegeben. Außerdem will die Agrarkommissarin die Wettbewerbsfähigkeit der Winzer gegenüber ihren Konkurrenten aus Übersee verbessern. Vor allem Aus-
tralien, Chile und die USA haben in den vergangenen Jahren auf dem europäischen Markt zunehmend auf sich aufmerksam gemacht.
Der Vorschlag der Agrarkommissarin sieht im Kern die Verringerung der Anbaufläche um insgesamt 200.000 Hektar vor sowie die gleichzeitige Freigabe neuer Anbaugebiete. Subventionen sollen diejenigen Winzer erhalten, die Flächen stilllegen, und zwar umso höhere, je eher sie das tun. Die nicht so sonnenverwöhnten "Nordländer" laufen überdies vor allem gegen das geplante Verbot der Anreicherung des Weinmosts mit Zucker Sturm. Künftig sollen Weine nur noch mit Traubenmost gesüßt werden dürfen. Dieses teure und subventionierte Verfahren wird heute meist in den südlichen Anbauländern wie Italien und Spanien angewendet. Würde dies umgesetzt, gebe es erhebliche Kostensteigerungen. In Deutschland, aber auch in einigen französischen Regionen wie etwa Burgund und - in speziellen Jahren - auch in Bordeaux ist die Zuckeranreicherung üblich. Paradoxerweise hat die EU-Kommission gerade erst australischen Weinlieferanten die Anreicherung mit Kristallzucker erlaubt.
Schließlich fühlen sich vor allem deutsche Weinbauern von den Plänen zur Änderung der Etikettiervorschriften bedroht. Nach dem Entwurf der neuen Weinmarktordnung sollen künftig auch die Hersteller von Massenware Sorte und Jahrgang auf ihre Etiketten drucken dürfen. Aus Sicht der deutschen Winzer entfiele damit für den Verbraucher ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal zwischen den hier zu Lande überwiegenden Qualitätsweinen und den vor allem in Südländern wie Spanien produzierten Tafelweinen. Den Hinweis auf eine größere Transparenz für die Verbraucher hält Ernst Büscher vom Deutschen Weininstitut (DWI) für "Unsinn". Der Verbraucher müsse eben besser über Ursprung und Qualität informiert werden.
Selten wohl ist ein Reformvorschlag aus Brüssel derart nach hinten losgegangen. Bei einer ersten Diskussion lehnten 13 der 19 Länder-Agrarminister aus Weinanbauländern die Vorschläge ab, darunter auch Bundeslandwirtschaftsminister Horst Seehofer. Dabei bestand lange Zeit unter den europäischen Winzern Einigkeit über die Notwendigkeit einer Anpassung der geltenden Regeln. Mit ihren Vorschlägen macht es Kommissarin Fischer Boel nun aber den wenigsten recht.
Die deutschen Winzer sind dennoch zuversichtlich, dass das Reformpaket nicht in der vorgeschlagenen Version beschlossen werden wird. "In Deutschland haben wir eine gemeinsame Position von Bund, Ländern und Weinbranche. Wir treten in Brüssel mit einer Stimme auf", sagt Nickenig. "Herr Seehofer kann in Brüssel auch deshalb eine starke Position einnehmen, weil er weiß, dass er für viele Kollegen aus den Weinländern Mittel- und Osteuropas spricht."
Idealerweise soll die Weinmarktreform aus deutscher Sicht einen europäischen Gemeinschaftsrahmen abstecken, mit klar definierten Fördermaßnahmen. Die Nationalstaaten sollten sich aus diesem Katalog dann die Maßnahmen aussuchen können, die für ihre jeweiligen Bedürfnisse am besten geeignet erscheinen.
In Deutschland soll beispielsweise die Familienstruktur der Winzerbetriebe erhalten bleiben, ebenso der Anbau auf den lange dafür kultivierten Qualitätsböden. "Wir sind gegen den industriellen Weinanbau und wollen nicht jeden Acker zum Weinbau nutzen", sagt Nickenig. Das Modell der "Neuen Welt", in der jeder machen könne, was er wolle, sei zum Scheitern verurteilt. Am Ende zähle dort nur der Preis. In Südafrika seien die Wein-Erzeugerpreise beispielsweise von 2002 bis 2006 um ein Drittel gefallen. "Da wird alles über den Preis ausgehandelt und die Leid tragenden sind die kleineren Betriebe", sagt Nickenig.
Der Streit um die Weinmarktreform dürfte nicht so bald beigelegt werden. Hoffnungen der portugiesischen Ratspräsidentschaft, sie noch unter ihrem Vorsitz bis zum Jahresende 2007 unter Dach und Fach zu bekommen, zerstoben, als das EU-Parlament Mitte September nach einer Anhörung höheren Beratungsbedarf anmeldete. In den Arbeitsgruppen waren bis dahin noch nicht einmal alle Einzelaspekte der Reform besprochen worden. Ursprünglich wollte das Parlament im Dezember über die neue Weinmarktordnung entscheiden.
Ende September stand das Thema auf der Tagesordnung des Agrarministerrats. Mittlerweile gehen Beobachter davon aus, dass frühestens im nächsten Februar mit einer endgültigen Entscheidung des Parlaments gerechnet werden kann.
Die EU ist der weltweit größte Produzent, Verbraucher, Exporteur und Importeur von Wein. Sie hat in den vergangenen Jahren aber Marktanteile an billigere Hersteller aus Australien, Chile und den USA verloren. Der Weinmarkt ist längst ein Weltmarkt geworden. Dabei ist das Qualitätsniveau der Weine kontinuierlich gestiegen. Pro Jahr werden rund um den Globus 220 Millionen Hektoliter Wein getrunken, davon 80 Millionen Hektoliter außerhalb des jeweiligen Erzeugerlandes.
Mit wachsendem Wohlstand wächst neuerdings auch in China die Nachfrage nach Wein. In der Folge nimmt die Menge der dort angebauten Reben zu. Bis das Reich der Mitte auf dem Weltmarkt aber zu einem neuen, großen Anbieter wird, dürfte es nach der Meining von Experten noch eine Weile dauern.
Unterdessen ist die diesjährige Weinlese nahezu abgeschlossen. Schon jetzt gilt dieses Jahr als Ausnahme. "Wir hatten Ende Mai die früheste Blüte aller Zeiten, drei Wochen vor normalen Jahren", sagt Büscher vom DWI. Entsprechend früh begann Ende August auch die Weinlese. "Der Wein wird deutlich besser, als es der Sommer war", versichert Büscher.
Die größeren Mengen kommen den Winzern sehr gelegen. Deutscher Wein erlebt in den letzen Jahren einen Nachfrageboom, vor allem auch aus dem Ausland. Entsprechend viel Platz ist in den vielfach geräumten Kellern. Im ersten Halbjahr 2007 hatten die deutschen Anbieter ihren Absatz nach Erhebungen der Nürnberger Gesellschaft für Konsumforschung noch einmal um 2,8 Prozent gesteigert.
Dank des steigenden Renommees des deutschen Weines ist der zu beklagende Wettbewerbsdruck aus Übersee kleiner geworden. Zwar nehmen die Importe weiter zu, aber die Exporte steigen auch stärker. "Angesichts dieser Entwicklung könnten wir auch mit den bestehenden Regeln ohne Änderungen leben", sagt der Weinverbandsvertreter Rudolf Nickenig. Deshalb müsse alles getan werden zu verhindern, dass diese positive Entwicklung mit falschen Weichenstellungen auf der europäischen Ebene umgekehrt werde.