Eine Karrierfrau? Nein, das sei sie nicht, sagt Katja Kipping. "Ich bin eine Überzeungstäterin." Ihr rasanter Aufstieg in die Bundespolitik aber zeugt doch eher von beidem: von Ehrgeiz und Überzeugung. 1999, mit gerade einmal 21 Jahren, zieht sie für die damalige PDS in den Sächsischen Landtag ein. Vier Jahre später ist sie bereits stellvertretende Bundesvorsitzende der Linkspartei, 2005 gelingt ihr dann der Sprung in den Bundestag. Zu diesem Zeitpunkt ist sie 27 und zählt damit zu den jüngsten Abgeordneten des 16. Bundestages. "Das kam alles ganz zufällig", übt Kipping sich in Bescheidenheit, "es hat sich eben alles glücklich ergänzt."
Ganz kann sie es dann doch nicht verbergen: Mag ihr Amt eine Ergänzung sein, sie selbst ist mehr als eine Ergänzung ihrer Fraktion um ein junges Gesicht, mehr als eine statistische Verjüngung und Imagepflege ihrer Partei. "Denn einer allein wird schnell zum Vorzeigejugendlichen, der aber kaum Einfluss nimmt."
Der Aufstieg in eine andere Liga mit anderen Regeln und anderen Gesetzmäßigkeiten hat ihr, wie es scheint, nichts von dem Schwung nehmen können, den sie seit ihrem Parteieintritt 1998 besitzt. Im Gegenteil: "Der Einstieg in die Bundespolitik hat mir einen Dynamik-Schub verliehen." Und unversehens, als wollte sie aufspringen, spricht Katja Kipping dann von "Gesellschaftsverbesserung", für die kritische Kräfte nötig seien. Da ist sie wieder, die Tatkraft der Überzeugungstäterin, die Hand in Hand geht mit einem strotzenden Idealismus, der von den Wetzsteinen des politischen Alltags noch ganz unberührt ist. "Gesellschaftsverbesserung!" Aus den Mündern von alteingesessenen Abgeordneten dringt dieser Begriff meist nicht mehr, zu wuchtig, meint man unwillkürlich, als dass ihn jemand zu stemmen wagte.
In einem "bedinungslosen Grundeinkommen" beispielsweise sieht Kipping eine Maßnahme zur Gesellschaftsverbesserung. Deshalb ist sie seit 2004 Sprecherin des Netzwerkes Grundeinkommen. Ihr Ziel: 800 bis 1.000 Euro für jeden, monatlich. "Wer in jeder Situation grundabgesichert ist, ohne dabei Repression à la Hartz IV befürchten zu müssen", sagt sie, "ist von Chef oder Chefin nicht so schnell erpressbar." Zudem seien Menschen, die sich eine Tageszeitung oder die Fahrt zu einer Demo leisten könnten, politisch aktiver. "Insofern stellt das bedingungslose Grundeinkommen eine Demokratiepauschale dar."
Wer in der Opposition sitzt, könnte man nun anführen, der kann seinem Idealismus unbefangen frönen fernab der Tagespolitik, die ja nun einmal auch ein Stück weit Realpolitik sein muss. "Bloß Protest und Opposition will ich nicht sein", entgegnet Kipping selbstsicher. "Ich könnte ebenso gut regieren, in Sachsen hätte eine rot-rote Koaltion eine enge Schnittmenge." Dass sie tatsächlich auch das Stückwerk ernüchternder Tagespolitik nicht scheut, zeigt Kipping in Sachsen. Dort engagiert sich die gebürtige Dresdnerin für das Projekt "Sozial-Ticket". Ziel dabei ist es, ALG-II-Empfänger künftig mobiler zu machen, indem man ihnen 50 Prozent des Fahrpreises im öffentlichen Nahverkehr erlässt.
Und auch von der Oppositionsbank des Bundestages aus will Kipping Ideen verwirklichen, nicht bloß Protest artikulieren. "Unsere Politik strahlt wellenartig aus in andere Parteien", sagt sie zufrieden. "Das kann man bei den Grünen beobachten an ihrer innerparteilichen Kontroverse um den Afghanistan-Einsatz; das kann man aber auch an der Debatte um die Verlängerung des ALG I sehen."
Es ist ihr deutlich anzumerken: Sie fühlt sich wohl im politischen Betrieb der Hauptstadt, der die 29-Jährige voll und ganz eingespannt hat. Bleibt da nicht alles auf der Strecke, was jenseits der politischen Arbeit liegt und was man gerade in jungen Jahren noch erleben möchte? "Ich hatte zwar keine klassische Studentenzeit mit langem Ausschlafen", sagt die studierte Literaturwissenschaftlerin, "doch was ich jetzt mache, ist nicht bloße Arbeit, es ist Hobby, Beruf und Berufung in einem. Das ist ein unglaublicher Glücksfall." Dass es wirklich nur Glück und Überzeugung sind, die hinter Katja Kippings erolgreichem Aufstieg stecken, daran darf man, wenn man sie so beobachtet, durchaus zweifeln.