Mindestlohn
An der Aufnahme der Briefträger ins Entsendegesetz scheiden sich die Geister der Koalition
Die einen drücken aufs Tempo, die anderen steigen auf die Bremse: Während Bundesarbeitsminister Franz Müntefering (SPD) und seine Sozialdemokraten den Mindestlohn für Briefdienstleister unbedingt bis zur Liberalisierung der Postmärkte Anfang 2008 unter Dach und Fach bringen wollen, lehnen viele in der Union verbindliche Lohnuntergrenzen strikt ab. Im Bundestag kündigte der arbeitsmarktpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Ralf Brauksiepe, am 25. Oktober an, den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes ( 16/6735 ) "sorgfältig" prüfen zu wollen.
Damit steht in Frage, ob der von Müntefering in der Debatte genannte enge Zeitrahmen - Abstimmung im Bundestag am 8./9. November, abschließende Beratung im Bundesrat am 30. November - eingehalten werden wird. Erst wenn das Entsendegesetz, in das bislang die Bau- und die Gebäudereinigerbranche einbezogen sind, auf die Briefdienste ausgeweitet ist, könnte Müntefering per Rechtsverordnung den im Branchentarifvertrag festgelegten Mindestlohn bis Jahresende für allgemein verbindlich erklären. "Zum 31. Dezember wird der Mindestlohn im Postbereich stehen", kündigte der Vizekanzler im Plenum an. "Hier geht es nicht um Schnelligkeit, sondern es geht um Gründlichkeit", konterte der CSU-Abgeordnete Max Straubinger. Damit ist der seit Wochen schwelende Streit in der Koalition über den Mindestlohn für die Briefzusteller offen ausgebrochen.
Worum geht es konkret? Bei der Koalitionsklausur in Meseberg Ende August hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) der SPD zugesagt, die Briefbranche noch in diesem Jahr ins Entsendegesetz aufzunehmen. Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di und der Arbeitgeberverband Postdienste, in dem die Deutsche Post AG dominiert, verabredeten Mindestlöhne für die Branche von 8 bis 9,80 Euro und baten die Regierung um Aufnahme ins Entsendegesetz. Wettbewerber der Post wie TNT Post, hinter der die niederländische Post steht, und die maßgeblich vom Springer-Verlag getragene PIN Group lehnen die Vereinbarung ab.
Müntefering ermahnte die Union im Plenum, sich an das in der Koalition Verabredete zu halten. Doch auch CDU/CSU berufen sich auf die Absprachen. Das Angebot, ins Entsendegesetz aufgenommen zu werden, richte sich an die Branchen, die über eine Tarifbindung von mindestens 50 Prozent verfügen, so Brauksiepe. Genau das bezweifelt die Union im Postbereich. Dagegen erklärte Müntefering, die Tarifbindung von 50 Prozent sei gegeben. Bis zu 94 Prozent aller Briefe würden von Beschäftigten verteilt, die Unternehmen des Post-Arbeitgeberverbandes angehörten. Brauksiepe erwiderte, es gehe nicht darum wie viel Prozent der Briefe von wem transportiert werden, sondern um die Zahl der Beschäftigten. Wer überhaupt als Beschäftigter in der Briefdienstleistungsbranche zählt, ist strittig.
Doch für beide Koalitionspartner geht es ohnehin um mehr als um die Details in der Postbranche. Der zuletzt wegen seines Festhaltens an der jetzigen Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I in seiner eigenen Partei in Misskredit geratene Müntefering machte in der Debatte deutlich, dass Dumpinglöhne "den Grundlagen der sozialen Marktwirtschaft widersprechen" und "gegen die Würde der Menschen verstoßen". Der Mindestlohn sei "ein gutes Instrument" gegen Dumpinglöhne.
Flankenschutz erhielt der Arbeitsminister von SPD-Chef Kurt Beck. Die Auseinandersetzung um den Mindestlohn sei "eine Grundweichenstellung für unsere Gesellschaft", sagte er auf dem Parteitag der Sozialdemokraten. Ausdrücklich lobte Beck vor den 525 Delegierten das Engagement Münteferings im Ringen um den Mindestlohn.
Der CDU-Wirtschaftsexperte Laurenz Meyer sieht hingegen die marktwirtschaftlichen Grundlagen des Landes bedroht. Er betonte im Bundestag, bei den großen Unternehmen sei die "egoistische Tendenz" zu beobachten, über Mindestlohn und Entsendegesetz Wettbewerb zu verhindern. "Das funktuioniert nach dem Motto: Wettbewerb ist gut, aber bitte nicht in meiner Branche", hob der frühere CDU-Generalsekretär hervor.
Ähnlich argumentierte FDP-Fraktionschef Guido Westerwelle. "Mit Ihrem Gesetz zementieren Sie ein Monopol, nämlich das Monopol der Post", sagte er an Müntefering gewandt. Die Löhne der Privaten seien vor allem deshalb geringer, weil die Post durch die Mehrwertsteuerbefreiung einen erheblichen Wettbewerbsvorteil habe. Deren Abschaffung verlangte auch Grünen-Arbeitsmarktexpertin Brigitte Pothmer. Zugleich setzte sie sich jedoch vehement für die Aufnahme der Briefdienstleister ins Entsendegesetz ein. Das Vorgehen der Unionsfraktion bezeichnete Pothmer als "Taschenspielertrick", um sich aus der Koalitionsvereinbarung "rauszuwinden". Sie forderte: "Hören Sie auf mit Ihren profilneurotischen Sandkastenspielereien. Wir brauchen diese Regelung bis zum 1. Januar 2008, weil das Briefmonopol fällt."
Linksfraktionschef Gregor Gysi machte sich erneut für einen gesetzlichen Mindestlohn stark. Zugleich kritisierte er das Ost-West-Gefälle beim vereinbarten Post-Mindestlohn. Dies sei im 18. Jahr der deutschen Einheit nicht hinnehmbar. Gysi bezeichnete es als "Skandal", dass die Gewerkschaft einen solchen Abschluss unterschrieben habe.
Nach der Debatte betonte ver.di, dass einer Allgemeinverbindlichkeitserklärung "nichts mehr im Wege" stehe. Die Vize-Vorsitzende der Gewerkschaft, Andrea Kocsis, warnte die Union "vor willkürlichen Zahlenspielen". Ausweislich der Beschäftigungsstatistik der Bundesagentur für Arbeit gelte der Mindestlohntarifvertrag für 66.500 Beschäftigte bei den nicht tarifgebundenen Postdienstleistungsunternehmen und für 173.000 Beschäftigte bei tarifgebundenen. Das entspreche einer Tarifbindung von 72 Prozent.
Dagegen warnte der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV ) davor, den Mindestlohn-Tarifvertrag über das Entsendegesetz in Kraft zu setzen. "Die Aufnahme dieses unter seltsamen Umständen entstandenen Tarifvertrags in das Gesetz wäre ein schwerer Sündenfall", sagte ein Sprecher des BDZV. Das Tarifwerk von ver.di und Post erfasse nicht die notwendigen 50 Prozent der Beschäftigten.