1990: Bundestag und Volkskammer bereiten die Einheit vor
In der DDR erlebt die noch existierende alte Volkskammer nach der Maueröffnung erste kontroverse Debatten und zum ersten Mal die geheime Wahl eines Parlamentspräsidenten mit ungewissem Ausgang. Zum neuen Regierungschef wird der den Reformkommunisten zugerechnete Hans Modrow (SED) von der Volkskammer in öffentlicher Abstimmung gewählt. Dann aber bestimmt der aus Vertretern der alten und neuen Parteien und Gruppierungen zusammengesetzte Runde Tisch unter der Moderation von Kirchenvertretern mehr und mehr die Grundrichtung. Zu seinen Hauptaufgaben gehört die Vorbereitung freier Volkskammerwahlen, die schließlich auf den 18. März 1990 festgesetzt werden. Bei einer Wahlbeteiligung von über 93 Prozent geht aus ihnen die von der CDU mit zwei kleineren Parteien gebildete "Allianz für Deutschland" als Sieger hervor, die mit der SPD und den Liberalen unter dem Ministerpräsidenten Lothar de Maizière (CDU) eine Regierungskoalition bildet.
Deutsche können selbst über Vereinigung entscheiden
Im Bundestag steckt Bundeskanzler Helmut Kohl am 28. November 1989 in einem Zehnpunkteprogramm mögliche Schritte bis zu einer späteren Wiedervereinigung im Rahmen einer gesamteuropäischen Architektur ab. Doch in der Zeit bis zu den Volkskammerwahlen verändern sich die Umstände rapide. Unaufhörlich wächst das Verlangen der Bevölkerung in der DDR nach einer baldigen Vereinigung. Die Sowjetunion erklärt sich schließlich bereit, die Deutschen selbst über den Weg zur Vereinigung entscheiden zu lassen. Im Frühjahr 1990 beginnen Zwei-plus-vier- Verhandlungen der Außenminister der vier Mächte und der beiden deutschen Staaten zur äußeren Absicherung der nun nicht mehr in Frage gestellten Vereinigung. Schließlich wirkt der Ausgang der Volkskammerwahlen wie ein Plebiszit für eine rasche Vereinigung auf dem Weg eines Beitritts der DDR zum Grundgesetz.
Aufbau demokratischer Strukturen
Dem Bundestag und der Volkskammer stehen in den Sommermonaten eine Fülle von Beratungen und Entscheidungen im Zusammenhang mit der Herstellung der deutschen Einheit bevor. Für die Volkskammer kommen zudem noch viele andere Gesetzgebungsaufgaben hinzu, zum Aufbau demokratischer Strukturen in Verwaltung und Justiz, zur Vorbereitung von Kommunalwahlen, zur Wiedereinführung der Länder, zur Bewältigung der Erblast der Stasi-Akten sowie zur Transformation der Staatswirtschaft in eine Marktwirtschaft.
Parlamente und Ausschüsse tagen bis tief in die Nacht
Beide Volksvertretungen bilden so genannte Einheitsausschüsse, die wiederholt gemeinsam tagen und die Beratungen zwischen den Regierungen über die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion, über den Einigungsvertrag und über den Wahlvertrag zur Abhaltung der ersten gesamtdeutschen Wahlen parlamentarisch begleiten. Oft tagen die Parlamente und Ausschüsse bis tief in die Nacht, müssen Sondersitzungen anberaumen und Gespräche führen, bis über alle Einzelfragen und über die Termine für den Beitritt und die Wahlen eine Einigung erzielt wird und die Verträge samt inhaltsschweren Anlagen verabschiedet werden können. Am 3. Oktober 1990 ist Deutschland wieder vereinigt.