Grüne
Gentechnik
I.
Ausgangslage
Die
SPD-geführte Bundesregierung hatte 2004 gegen die Stimmen von
CDU/CSU und FDP ein neues Gentechnikrecht durchgesetzt, mit dem die
Richtlinien und Verordnungen der EU zur Freisetzung bzw. zum Anbau
gentechnisch veränderter Pflanzen umgesetzt wurden. Ein
weiteres, zustimmungspflichtiges Gesetz zur Umsetzung der
Freisetzungsrichtlinie und zur Erleichterung von Forschung in
geschlossenen gentechnischen Anlagen war am Widerstand des
CDU/CSU-dominierten Bundesrates gescheitert, da dieser mit Hilfe
dieses Gesetzes die rot-grünen Regelungen zum Haftungsrecht
und zum öffentlichen Standortregister wieder aufweichen
wollten. Die Verabschiedung einer Verordnung zur Regelung der
„guten fachlichen Praxis“ mit Abstandsregelungen
scheiterte am Widerstand des Bundesrates.
Im
Koalitionsvertrag vom November 2005 haben wir mit der CDU/CSU
vereinbart, das Gentechnikrecht erneut zu novellieren und dabei
insbesondere die Regelungen zur Freisetzung und zum
Inverkehrbringen gentechnisch veränderter Pflanzen so
auszugestalten, „dass sie Forschung und Anwendung in
Deutschland befördern“. Geprüft werden sollte die
Einrichtung eines Ausgleichsfonds oder von
Versicherungslösungen anstelle der geltenden
Haftungsregelung.
II. Die
Diskussionen der vergangenen Jahre
Bereits in den
ersten Entwürfen für ein Eckpunktepapier zur Grünen
Gentechnik wurde klar, was CDU/CSU durchsetzen wollte:
-
Freisetzungsversuche mit (noch nicht abschließend
geprüften und deshalb noch nicht zugelassenen) gentechnisch
veränderten Organismen (GVO) sollten deutlich erleichtert und
die Haftung für Auskreuzungen in die Umwelt eingeschränkt
werden. Es war schnell klar, dass dies dem EU-Recht widersprechen
würde und mit uns nicht zu machen wäre.
- Die
Einrichtung von Ausgleichfonds oder die Schaffung von
Versicherungslösungen scheiterte sehr schnell an der fehlenden
Bereitschaft der Gentechnik anwendenden Saatgut- und Landwirtschaft
sowie an der Versicherungswirtschaft, zumal auf unser Betreiben
eine finanzielle Beteiligung der öffentlichen Hand an solchen
Lösungen von vornherein ausgeschlossen wurde.
- Während
die CDU/CSU die Haftung für GVO-Verunreinigungen
einschränken wollten, konnten wir nachweisen, dass bereits
heute auf die gentechnikfreie Land- und Ernährungswirtschaft
erhebliche Kosten durch die Einführung der grünen
Gentechnik entstehen.
- Der
Forderung von CDU/CSU nach Einschränkung des öffentlichen
Flächenregisters haben wir unsere Forderung nach mehr
Transparenz für Landwirte und Verbraucher entgegengesetzt. Die
Einschränkung des Standortregisters hätte
schließlich auch erheblich mehr Bürokratie zur Folge
gehabt - was von der Union in anderen Bereichen strikt abgelehnt
worden wäre.
- Dem hat die
SPD die Forderung nach mehr Transparenz und Wahlfreiheit für
Verbraucherinnen und Verbraucher entgegengesetzt: Weil eine
Kennzeichnungsregelung für Milch, Fleisch und Eiern von
Tieren, die mit gentechnisch veränderten Pflanzen
gefüttert wurden, auf EU-Ebene kurz- und mittelfristig nicht
durchsetzbar ist, haben wir uns für eine Verbesserung der
„ohne Gentechnik“-Kennzeichnung eingesetzt. Denn mit
der Kennzeichnungslücke für tierische Produkte
können Verbraucher nicht wählen. Sie können bisher
nicht Einfluss darauf nehmen, dass immer mehr gentechnisch
veränderte Pflanzen in den Futtertrögen und damit
indirekt auf den Tellern der Verbraucher landen.
- Gemeinsames
Ziel beider Fraktionen war es allerdings auch, bei voller Beachtung
des Vorsorgegrundsatzes zum Schutz von Mensch und Umwelt die
Verfahren zu vereinfachen und zu beschleunigen, damit insbesondere
auch die Forschung und Anwendung bei der sogenannten
„weißen Gentechnologie“ befördert werden.
Dieser Bereich ist wirtschaftlich besonders interessant und er ist
kaum umstritten, da die GVO in geschlossenen Anlagen gehalten
werden und die Gefahr einer Auskreuzung in die Umwelt nicht
besteht.
III.
Ergebnis: Ein Kompromisspaket, das sich sehen lassen
kann
Die Verhandlungen
innerhalb der Bundesregierung und zwischen den Koalitionsfraktionen
haben sich mehr als ein Jahr hingezogen und können mit der
Verabschiedung des Gentechnikgesetzes bzw. des
Gentechnik-Durchführungs-Gesetzes jetzt zu einem
vorläufigen Abschluss gebracht werden. Die Kernelemente der
neuen Regelungen sind:
- Bei der
Haftung bleibt es beim bisherigen verschuldensunabhängigen und
gesamtschuldnerischen Haftungsrecht: Wer in seinen Ernteprodukten
Verunreinigungen oberhalb der gesetzlich festgelegten
Kennzeichnungsschwellen findet und daher seine Produkte nicht wie
gewünscht vermarkten kann, hat Anspruch auf einen finanziellen
Ausgleich. Es bleibt dabei, dass dieser Haftungsanspruch nicht erst
bei einer Verunreinigung von mehr als 0,9 % einsetzt. Allerdings
bleibt es schwierig, diesen Anspruch unterhalb dieser Grenze
durchzusetzen.
- Bei
Auskreuzungen von Freisetzungsversuchen gilt nach EU-Recht eine
Null-Toleranz: Da solche Pflanzen noch nicht zugelassen sind,
dürfen Auskreuzungsprodukte nicht vermarktet werden und
dürfen insbesondere nicht in die Lebens- und Futtermittelkette
gelangen. Sie dürfen jedoch unter behördlicher Aufsicht
z. B. thermisch verwertet werden, so dass die Forschung von Kosten
entlastet wird.
- Es bleibt
auch beim öffentlichen Standortregister: Jeder kann im
Internet einsehen, ob und ggf. welche gentechnisch veränderten
Pflanzen in seiner Nachbarschaft angebaut werden. Bei einem
berechtigten Interesse (z. B. Imkern, die einen Standort für
ihre Bienenvölker suchen, oder von Geschädigten)
können auch weitere Informationen erteilt werden.
- Es werden
strenge Vorgaben zur guten fachlichen Praxis beim Anbau und im
Umgang mit gentechnisch veränderten Pflanzen erlassen: Mit
Mindestabständen von benachbarten Flächen, Vorschriften
zur Reinigung von Erntemaschinen u. ä. soll eine Verbreitung
gentechnisch veränderter Organsimen in der Umwelt verhindert
und die Koexistenz von gentechnisch veränderten Pflanzen mit
konventionellem Anbau bzw. ökologischem Anbau gesichert
werden. Bisher ist in Deutschland nur der Anbau von gentechnisch
verändertem Mais zugelassen. Für Mais wurden deshalb
bereits Mindestabstände festgelegt: Zwischen einem Feld mit
gentechnisch verändertem Mais und einem Feld mit
konventionellem Mais muss ein Mindestabstand von 150 m eingehalten
werden. Bei ökologischem Mais beträgt der Abstand 300
m.
- Der Abstand
muss nicht eingehalten werden, wenn die Nachbarn darüber eine
Vereinbarung treffen. Sie muss schriftlich sein und damit
nachprüfbar und sie darf die Rechte Dritter und der Umwelt
nicht tangieren. Damit dies für die Behörden
überprüfbar ist und für Dritte transparent wird,
muss dies angezeigt werden und es wird ein entsprechender Eintrag
im Standortregister vorgenommen. Auch ein Hinweis auf fehlende
Abstimmung zwischen Nachbarn wird im Standortregister eingetragen,
um die Umgehung zu erschweren.
- Das Gesetz
enthält eine Reihe von Verfahrenserleichterungen, zum Beispiel
für Arbeiten in geschlossenen Anlagen der Sicherheitsstufen 1
(kein Risiko) und 2 (geringes Risiko). Unternehmen und
Forschungsanstalten brauchen weitere Arbeiten in solchen Anlagen
nur anzeigen und können dann sofort mit den Arbeiten beginnen.
Bisher war dafür eine Genehmigung erforderlich.
- Besonders
wichtig war uns die neue Kennzeichnungsregelung für Produkte
„ohne Gentechnik“: Die Regelung erlaubt die freiwillige
Kennzeichnung von Lebensmitteln „ohne Gentechnik“, wenn
folgende Bedingungen eingehalten werden:
o In den
Lebensmitteln ist keine Gentechnik drin: Sie dürfen weder GVO
enthalten noch aus oder durch GVO hergestellt werden. Auch
Verunreinigungen mit (zugelassenen) GVO sind nicht erlaubt bzw.
dürfen die Nachweisgrenze von 0,1 % nicht überschreiten.
Außerdem dürfen den Lebensmitteln grundsätzlich
keine Zusatzstoffe bzw. Enzyme zugesetzt werden, die mit Hilfe
gentechnischer Verfahren gewonnen wurden (wie z. B. durch
gentechnisch veränderte Mikroorganismen im Labor). Ausnahmen
gibt es nur dann, wenn solche Stoffe gentechnikfrei nicht mehr
verfügbar sind und in einem besonderen Verfahren nach der
EU-Ökoverordnung zugelassen werden. Derzeit und bis auf
weiteres gibt es solche Ausnahmen nicht.
- Für
tierische Produkte (Milch, Eier, Fleisch) gilt zusätzlich: Die
Tiere dürfen nicht mit gentechnisch veränderten
Futtermitteln gefüttert werden. Der Landwirt kann sich hier
aber auf die EU-Kennzeichnung verlassen und braucht keine weiteren
Bedingungen einzuhalten. Eine Verunreinigung mit GVO von bis zu 0,9
% und der Zusatz von Enzymen, Zusatzstoffen und Vitaminen, die mit
Hilfe von GVO gewonnen wurden, ist bei den Futtermitteln selbst
deshalb zugelassen. Bei den Endprodukten Milch, Eier, Fleisch
natürlich nicht. Auch beim Einsatz von Tierarzneimitteln ist
es unerheblich, wie diese hergestellt wurden: Tierarzneimittel sind
ähnlich wie solche für den Menschen heute in vielen
Fällen mit gentechnischen Verfahren hergestellt.
Die Regelung wird
von den Verbraucher- und Umweltverbänden begrüßt,
da sie mehr Transparenz für die Verbraucher schafft und da sie
rechtssicher und praxisnah ausgestaltet ist, so dass sie von den
Unternehmen auch angewandt werden kann. Die bisher geltende
Regelung war dies nicht, so dass in Deutschland bisher kaum
Produkte „ohne Gentechnik“ angeboten wurden und der
Markt für gentechnikfreie Futtermittel mangels
wirtschaftlicher Verwertung bisher praktisch nicht existiert. Und
dies obwohl etwa 80 % der Verbraucher Produkte „ohne
Gentechnik“ kaufen wollen, obwohl gentechnisch
veränderte Pflanzen in Deutschland noch kaum verbreitet sind
und auch Exporteure insbesondere in Entwicklungsländern (noch)
Eiweißfuttermittel aus konventionellen Pflanzen durchaus zu
liefern imstande sind. Die fehlende Transparenz hat die Entwicklung
solcher Marktsegmente bisher verhindert. Unser Nachbarland
Österreich hat es uns vorgemacht: Weil dort seit längerer
Zeit bereits „gentechnikfreie“ Produkte gekennzeichnet
werden können, werden 80 % der Lebensmittel in dieser
Qualität angeboten, für die mittelständische Land-
und Ernährungswirtschaft ergeben sich besondere Chancen der
Profilierung.
IV. Fazit:
SPD hat sich auf voller Linie durchgesetzt
Klar ist: Beim
Einsatz der Gentechnik geht es gesetzgeberisch für den
Deutschen Bundestag nicht mehr um das „ob“, sondern um
das „wie“: Europäisches und deutsches Recht als
auch die Regeln der WTO bilden dafür schon seit mehr als 10
Jahren ein dichtes Regelwerk. Die Bio- und Gentechnik ist in vielen
Bereichen unseres Lebens weit verbreitet. Die Erfolge der Medizin
wären ohne sie nicht denkbar. Unsere Waschmittel sind auch
deshalb deutlich umweltfreundlicher geworden, weil sie Enzyme aus
gentechnischen Verfahren enthalten. Bereits 25 % der Baumwolle
für unsere Textilien ist gentechnisch verändert. Und vor
allem auch bei Lebensmitteln und Futtermittel wächst der
Anteil gentechnischer Produkte weltweit, weil die großen
Agrarkonzerne und die großen Agrarexportländer nicht nur
mit Blick auf züchterische Erfolge, sondern auch wegen der
Patentierbarkeit von Produkten auf diese Technik setzen.
In der EU
zugelassene Lebens- und Futtermittel sind nach Erkenntnissen der
Zulassungsbehörden unbedenklich für Mensch und Umwelt -
alle Hinweise, dass dies nicht der Fall sei wie z. B.
gegenwärtig im Falle des gentechnisch veränderten Maises
MON810, müssen mit Nachdruck verfolgt werden.
Klar ist aber
auch: Verbraucherinnen und Verbraucher sollen auch weiterhin das
Recht haben, sich frei für oder gegen solche Produkte
entscheiden zu können. Eine schleichende Verunreinigung der
Umwelt und oder gar die unkontrollierte Freisetzung nicht
koexistenzfähiger Konstrukte in die Umwelt, müssen mit
allen Mitteln verhindert werden, damit die Wahlfreiheit für
Verbraucher und Produzenten auch in Zukunft gewährleistet ist
und die Umwelt keinen Schaden nimmt. Wir setzen dabei vor allem auf
Transparenz und kontrollierbare Verfahrensabläufe.
Bei der
Novelle des Gentechnikrechtes haben sehr viele Bürgerinnen und
Bürger eine Aufweichung der Regelungen zum Schutz der
gentechnikfreien Landwirtschaft befürchtet. Die zahlreichen
Zuschriften, die bei uns allen eingegangen sind, beweisen dies. Wir
können jetzt mit Recht sagen: Diese Aufweichung findet nicht
statt, sondern wir haben das Recht im Sinne der Forschung und im
Sinne der Verbraucher weiterentwickelt. Wir können sogar
sagen: Renate Künast hatte das Thema Kennzeichnung noch nicht
mal angepackt. Dies haben wir erreicht - in einer schwierigen
Konstellation. Diesen Erfolg sollten wir uns nicht nehmen
lassen.
V. Ausblick:
Was zu tun bleibt
Es ist klar, dass
wir auf nationaler Ebene nicht alles regeln können. Wir hatten
deshalb schon lange die Forderung aufgestellt, auf
europäischer Ebene initiativ zu werden, um weitere
Verbesserungen des europäischen Rechts zu erreichen.
Drei
Beispiele:
Dies betrifft
zum Beispiel das europäische Zulassungsverfahren für GVO:
Es ist wenig transparent und berücksichtigt nicht die
politischen und wirtschaftlichen Aspekte, die mit der Zulassung
neuer GVO verbunden sind. Sigmar Gabriel hat dies auf
europäischer Ebene bereits angemahnt und ist dabei auf viel
Unterstützung gestoßen.
Dies betrifft
auch die Verbesserung der europäischen Kennzeichnungsregeln
sowohl für Produkte mit als auch für solche ohne
Gentechnik. Noch besser als eine nationale Regelung, wie wir sie
mit dem neuen Bundesgesetz schaffen, wären harmonisierte
EU-Regeln, die den Verbrauchern und - bei Saatgut auch den
Landwirten - mehr Transparenz verschaffen.
Und: Wir haben
in Deutschland bereits mehr als 160 freiwillige gentechnikfreie
Regionen. Die aber alle gefährdet sind, wenn ein einzelner
Grundbesitzer aufgrund seines Rechts auf freie Berufsausübung
gentechnisch veränderte Pflanzen anbauen will. Gentechnikfreie
Regionen sind ein gutes Mittel zur weiteren Profilierung
ländlicher Regionen insbesondere im Hinblick auf besondere
Qualitäten in Bezug auf Umwelt und Natur sowie im Tourismus,
sie sind aber auch geeignet die Kosten für gentechnikfreie
Produkte zu senken. Denn wir dürfen nicht vergessen: Die
Beibehaltung der Haftungsregelung heißt auch, dass es
für Verunreinigungen unter 0,9 % schwer ist, entsprechende
Haftungsansprüche durchzusetzen. Für die verbindliche
Einrichtung gentechnikfreier Regionen brauchen wir aber eine
Änderung des europäischen Rechts.
Mit der
CDU/CSU ist dies wohl nicht zu machen. Ein ursprünglich zur
Verabschiedung des Gentechnikrechts geplanter
Entschließungsantrag mit Festlegungen für
europäische Initiativen Deutschlands, wurde von der CDU/CSU
abgelehnt. Wir werden aber nicht locker lassen.
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