30. Mai
2008
Nein zur
Bahnprivatisierung
Renate
Gradistanac stimmt im Bundestag dagegen und begründet dies in
einer persönlichen Erklärung
Die
SPD-Bundestagsabgeordnete Renate Gradistanac lehnt die
Privatisierung der Bahn ab. In namentlicher Abstimmung, gestern
(Freitag) im Bundestag, stimmte Gradistanac gegen den Antrag
„Zukunft der Bahn, Bahn der Zukunft - Die Bahnreform
weiterentwickeln“ und unterzeichnete mit weiteren
Abgeordneten der SPD-Fraktion die folgende persönliche
Erklärung:
„Die
geplante Kapitalprivatisierung der Deutschen Bahn stellt für
uns einen gravierenden Schritt von grundsätzlicher Bedeutung
dar, den wir aus folgenden Gründen ablehnen:
Die Deutsche
Bahn stellt das größte und wichtigste noch verbliebene
Unternehmen in öffentlicher Hand. Der Wiederbeschaffungswert
liegt deutlich über 150 Mrd. EUR. Jeder Aus- und Neubau von
Strecken, der heute getätigt wird, vermittelt mit seinen
immensen Kosten einen Eindruck für den tatsächlichen Wert
des Unternehmens. Dieser Wert kann auf den Kapitalmärkten
überhaupt nicht abgebildet werden, da dort nur nach
Ertragswerten gehandelt wird.
Die Bahn ist
ein wesentlicher Teil der „Daseinsvorsorge“ in einer
Gesellschaft, in der Mobilität volks- und
betriebswirtschaftlich sowie für die individuellen
Lebenschancen von zentraler Bedeutung ist.
Bahn ist auch
ein Schlüssel für die umwelt- und klimaverträgliche
Bewältigung der wachsenden Verkehrsströme der
Zukunft.
Die
Vergangenheit hat gezeigt, dass die bisherigen Instrumente und
finanziellen Mittel für die verkehrliche Entwicklung, vor
allem für die Bahn, nicht ausreichend und nicht immer
sachgerecht waren. Liberalisierung und Privatisierung geben jedoch
für sich genommen keine Antwort auf die Probleme und Defizite,
sondern können diese letztlich noch verschärfen. Dies
gilt auch und gerade für den im Antrag formulierten Weg der
Kapitalprivatisierung der DB AG.
In keinem Land
der Welt gibt es positive Erfahrungen mit der Privatisierung der
Bahnsysteme. Die Beispiele in Großbritannien und jüngst
in Neuseeland zeigen in drastischer Weise, dass nach
Privatisierungen heute die Staaten dort sowohl vor
heruntergewirtschafteten Bahnen wie vor immensen Lasten für
die öffentlichen Haushalte stehen.
Der vorgelegte
Antrag beschönigt die Entwicklung und die Situation der
Deutschen Bahn und formuliert Ziele und Ansprüche, die durch
den aufgezeigten Weg nicht einlösbar sind.
Im Einzelnen
geht es dabei um folgende Punkte:
1. Selbst die
optimistisch erwarteten Einnahmen stehen mit 4 bis 8 Mrd. EUR in
keinem angemessenen Verhältnis zum Wert des Unternehmens und
den enormen Risiken und Nachteilen der Privatisierung.
2. Diese
Einnahmen reichen nicht ansatzweise dazu aus, den im Antrag
proklamierten Investitionsbedarf zu decken, zumal ein Drittel dem
Bundeshaushalt zum Schuldenabbau und ein Drittel dem Eigenkapital
der DB AG zugeführt werden sollen. Letzteres wird
größtenteils der Umsetzung der globalen
Logistikstrategie des Unternehmensvorstands, also Zukäufen im
Ausland, dienen. Der verbleibende Rest erreicht als Einmalbetrag
etwa die Höhe von einem Zehntel der jährlichen
Aufwendungen des Bundes für die Regionalisierungsmittel und
Investitionszuschüsse des Bundes für die Infrastruktur,
stellt also eine zu vernachlässigende Größe
dar.
3. Der von den
Antragsbefürwortern erweckte Eindruck, nur durch eine
Privatisierung von Unternehmensanteilen könnte überhaupt
„frisches Geld“ für die Schiene erlöst
werden, ist falsch. Die durchschnittlich erwirtschaftete Rendite
eines börsennotierten Unternehmens aus Dividenden und
Kurssteigerungen liegt derzeit mehr als doppelt so hoch wie die
Kosten für traditionelle Finanzierungsformen (z. B. Anleihen).
Ohne angemessene Rendite bzw. Renditeerwartung findet eine
börsennotierte Aktiengesellschaft keine Käufer für
ihre Aktien. Somit ist der Börsengang im Falle der Bahn aus
der Sicht des Staates die teuerste Finanzierungsform für
künftige Investitionen.
4. Die
Hereinnahme privater Aktionäre, sei es auch nur mit
Minderheitsbeteiligung und nur in Konzernteilen, verändert mit
dem Zwang zur maximalen Renditeerwirtschaftung ein Unternehmen in
seinem Kern und Wesen, auch dann, wenn der Staat die
Anteilsmehrheit behält. Wenn gegen Renditeziele
verstoßen wird, z. B. zur Wahrung gesellschaftlicher
Erwartungen wie der Daseinsvorsorge oder
Beschäftigungssicherung, entstehen
Entschädigungsansprüche jedes einzelnen
Aktionärs.
5.
Zukünftig bestimmen die Interessen privater Anteilseigner
über den Gesamtkonzern.
Da kein
Gewinnabführungs- und Beherrschungsvertrag zwischen der
Holding und der Verkehrs- und Logistikgesellschaft (VuL) bestehen
soll, dominieren aufgrund des Aktiengesetzes die Anlegerinteressen
die VuL direkt und den Infrastrukturbereich vermittelt.
6. Der Antrag
setzt - entgegen der Beschlusslage und den nicht verhandelbaren
Zielen der SPD - keine Obergrenze von 24,9 % für die zu
privatisierenden Anteile. Im Gegenteil: Er ermöglicht für
die VuL einen Verkauf von 49,9 %, für deren Töchter oder
Teilen davon sogar einen vollständigen Verkauf. Auch der
Struktursicherungs-Tarifvertrag schließt dies nicht
aus.
Ohne
präzise gesetzliche Regelung ist letztlich auch ein totaler
Verkauf der VuL nicht ausgeschlossen, ebenso wenig wie der von
Teilen der Infrastruktur, beispielsweise von weiteren
Bahnhöfen, Immobilien oder
Energieversorgungsbetrieben.
7. Es gibt
keine belastbaren Beschäftigungsgarantien, weder im Antrag
noch im Struktursicherungs-Tarifvertrag. Der Tarifvertrag zwischen
TRANSNET/GDBA und DB AG enthält nur Zusagen zu Verhandlungen.
Diese sollen bis spätestens September 2010 aufgenommen werden.
Eine feste Zusage zur Verlängerung der
Beschäftigungssicherung oder gar den Ausschluss
betriebsbedingter Kündigungen enthält diese Regelung
nicht. Damit bestätigt sich der Verdacht, dass die
Beschäftigten der DB AG und ihre Gewerkschaften hinsichtlich
der Sicherheit ihrer Arbeitsplätze und Arbeitsbedingungen
dauerhaft erpressbar sind. Das Vertragswerk sieht auch keine
Mechanismen vor, die den integrierten Arbeitsmarkt über die
zersplitterten Gesellschaften hinweg wirksam sichern. Daran
ändert auch die rechtliche Ermöglichung von
Arbeitskampfmaßnahmen nichts, da im Gegenzug zu
Beschäftigungsgarantien stets an anderer Stelle nachgegeben
werden muss. Auch beziehen sich alle Beschäftigungszusagen
lediglich auf privatisierungsbedingten Arbeitsplatzabbau. In der
Praxis wird es jedoch kaum möglich sein, den Wegfall von
Arbeitsplätzen im Einzelnen auf die Privatisierung
zurückzuführen.
8. Steuerliche
Lasten sollen auf die Beschäftigten abgewälzt werden. Der
Tarifvertrag sieht vor, dass die Beschäftigten herangezogen
werden, um steuerliche Mehrbelastungen auszugleichen, die sich aus
der neuen Konzernstruktur ergeben.
9. Der Bund
übernimmt zusätzliche und neue Haushaltsrisiken
großen Ausmaßes, auch weil die bestehenden Schulden der
DB AG sowie „überzähliges“ Personal
weitestgehend bei der Holding geparkt werden, für die der Bund
zu 100 % geradesteht.
Der Bund muss
im Gegenzug für mindestens zehn Jahre insgesamt rund 25 Mrd.
Euro an Verpflichtungsermächtigungen für die Absicherung
der Infrastruktur im Rahmen der Leistungs- und
Finanzierungsvereinbarung (LuFV) leisten. Hinzu kommen finanzielle
Risiken für die Leistung von Nachteilsausgleichen bei
öffentlichen Vorgaben für die Aufrechterhaltung von
Schienenfernverkehren und die finanzielle Absicherung der
Beschäftigungssicherung, da laut Tarifvertrag
Nachteilsausgleichsansprüche gegenüber
Konzerntochtergesellschaften - also der privatisierten VuL AG
-ausgeschlossen werden (§ 1 letzter Satz). Insgesamt entsteht
ein dauerhafter Lastentransfer auf den Bund zugunsten der
privatisierten Konzernteile.
10. Das System
Schiene entgleitet noch mehr als bisher der demokratischen und
parlamentarischen Kontrolle und Beeinflussbarkeit. Die aktuell
geplanten Privatisierungsschritte werden keinem gesetzgeberischen
Verfahren unterzogen. Damit ist dies auch für die
künftigen Schritte vorgezeichnet.
Weder der
Beteiligungsvertrag des Bundes mit der DB AG noch die Pläne
über die internen Strukturen des Bahnkonzerns (z. B.
hinsichtlich Beherrschungs-, Weisungs- und
Gewinnabführungsverhältnissen und personeller
Verflechtungen) noch die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung
(LuFV) liegen dem Deutschen Bundestag zum Zeitpunkt seiner
Grundentscheidung vor. Auch ist nicht geplant, das Parlament als
Ganzes später damit zu befassen oder auch einzelnen
Ausschüssen wirksame Mitwirkungsmöglichkeiten zu
gewähren (Ausnahme: einmalige Zustimmung des Haushalts- und
Verkehrsausschusses zu LuFV). Danach wird es nur noch
Berichtspflichten der Bundesregierung geben.
Daher
können die Befürchtungen hinsichtlich einer
Ausdünnung des Personenfernverkehrs (z. B. Streichung von IC-
und ICE-Verbindungen), des Einzelwagenverkehrs im
Güterbereich, weitere Einsparungen bei Bahnhöfen, des
Outsourcings von Tochterunternehmen für den Wettbewerb im
Nahverkehr, forcierten Abbaus von Beschäftigung und
Arbeitsbedingungen und vieles mehr nicht ausgeräumt
werden.“
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