Rede im
Deutschen Bundestag am 14. Dezember 2007
Große
Anfrage Grüne „Europäisches Jahr der
Chancengleichheit für alle“
Frau
Präsidentin,
meine sehr
verehrten Damen und Herren,
51 Prozent der
Bürgerinnen und Bürger in der Europäischen Union
sind der Meinung, dass in ihrem Land nicht genügend
Anstrengungen unternommen werden, um Diskriminierung zu
bekämpfen. Nur 32 Prozent kennen ihre Rechte für den
Fall, dass sie Opfer von Diskriminierung werden. Die Umfrage
Europabarometer Spezial zur Diskriminierung in der
Europäischen Union unterstreicht zudem, dass die Kenntnis der
Existenz von Antidiskriminierungsgesetzen in der Europäischen
Union nach wie vor recht gering ist.
Das
Europäische Jahr der Chancengleichheit wurde ausgerufen, um
die Menschen in der Europäischen Union für ihre Rechte
auf Gleichbehandlung und Nichtdiskriminierung zu sensibilisieren
und die Chancengleichheit zu fördern. Chancengleichheit und
Nichtdiskriminierung gehören zu den Grundprinzipien, auf denen
die Europäische Union aufbaut.
Wirkliche
Chancengleichheit ist nur ohne Diskriminierung möglich. Darum
haben wir mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz nicht nur
vier EU-Richtlinien in nationales Recht umgesetzt. Wir haben vor
allem auch einen wichtigen Schritt getan, um Menschen wirksam vor
Diskriminierungen zu schützen. Wer aufgrund des Geschlechts,
der ethnischen Herkunft, der Religion oder Weltanschauung, des
Alters, aufgrund einer Behinderung oder der sexuellen
Identität benachteiligt wird, kann sich seit 2006 besser
wehren.
Das
Bundesgleichstellungsgesetz, das Gewaltschutzgesetz und das
Elterngeld mit seinen Vätermonaten sind weitere wichtige
gleichstellungspolitische Wegmarken. Das eigentliche Ziel, die
gleichberechtigte Teilhabe von Männern und Frauen an allen
Lebensbereichen, haben wir aber immer noch nicht erreicht. Die
Studie „Global Gender Gap Report 2007“ des
Weltwirtschaftsforums hat die Gleichstellung von Frauen und
Männern in 128 Ländern erfasst. Auf den ersten Blick
stehen wir mit dem siebten Rang scheinbar gar nicht so schlecht da.
In der Kategorie „gleicher Lohn für gleichwertige
Arbeit“ befinden wir uns aber nur auf Rang 71.
Gleichwertige
Arbeit muss endlich gleich entlohnt werden. Existenzsichernde
Erwerbsarbeit ist eine wichtige Voraussetzung zur
Armutsbekämpfung. Mit der Einführung von
Mindestlöhnen schützen wir insbesondere auch Frauen vor
Sozialdumping. Wir müssen die Chancen von Frauen auf dem
Arbeitsmarkt verbessern. Familienfreundliche Arbeitszeiten und
Arbeitsbedingungen sowie der Ausbau und Rechtsanspruch bei
Kinderbetreuungsplätzen sind wichtige Voraussetzungen für
die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und mehr Chancengleichheit.
Wir wollen die Gleichstellung von Männern und Frauen bei
Berufszugang und Aufstieg.
Immer mehr
Frauen arbeiten in Teilzeit oder sind geringfügig
beschäftigt. Dies hat auch der Ausschuss zur Beseitigung jeder
Diskriminierung der Frau, kurz CEDAW, bei der Überprüfung
des fünften Staatenberichts kritisiert. Der Ausschuss hat
zudem weitergehende Schritte empfohlen, um Stereotype im
Zusammenhang mit den traditionellen Rollenbildern in der Familie,
am Arbeitsplatz und in der Gesellschaft zu
bekämpfen.
Chancengleichheit für alle beginnt bei der Bildung und
Betreuung unserer Kinder. Bildungschancen sind Lebenschancen, die
nicht von der Herkunft oder vom Elternhaus abhängen
dürfen. Junge Menschen haben ein Recht auf Bildung, auf ein
gesundes Aufwachsen, auf gesellschaftliche Beteiligung und vor
allem darauf, dass sie vor physischer und psychischer Gewalt
geschützt werden. Diese Ziele wollen wir mit dem Nationalen
Aktionsplans „Für ein kindergerechtes Deutschland
2005-2010“ erreichen.
Mit dem
Bundesprogramm „Frühe Hilfen“ wollen wir die
Risiken für Kinder möglichst frühzeitig erkennen und
die Erziehungskompetenz der Eltern verbessern. Der weitere Ausbau
der Kinderbetreuung und die Einführung des Rechtsanspruchs auf
einen Betreuungsplatz sind wichtige Schritte, um das Ziel der
Bildung für alle zu erreichen. Die von uns durchgesetzte
Erhöhung und Ausweitung des BAföG ist ein wichtiges
Signal für echte Chancengleichheit in der Bildung.
Für die
SPD-Fraktion gehören Kinderrechte ins Grundgesetz. Dadurch
stärken wir die Rechtsposition der Kinder deutlich und
schreiben die staatliche Schutzpflicht gegenüber Kindern
ausdrücklich in der Verfassung fest. Angesichts der
öffentlichen Diskussion über Kindesvernachlässigung
und Kinderarmut bedauere ich es sehr, dass sich unser
Koalitionspartner noch immer weigert, Kinderrechte in unser
Grundgesetz aufzunehmen.
Ich freue
mich, dass wir das Übereinkommen der Vereinten Nationen
über die Rechte behinderter Menschen im Jahr der
Chancengleichheit für alle unterzeichnet haben. Dies ist ein
weiterer wichtiger Baustein für die gleichberechtigte Teilhabe
für Menschen mit Behinderungen. Immerhin haben zehn Prozent
der EU-Bevölkerung eine Behinderung.
Ich bin sehr
froh, dass meine Fraktion bei der Reform der Erbschaftssteuer eine
weitestgehende Gleichstellung der Lebenspartnerschaften durchsetzen
konnte. Rechtlicher Schutz und rechtliche Gleichstellung allein
reichen aber nicht aus, um Diskriminierung zu verhindern. Dies
zeigt sich nachdrücklich beim Diskriminierungsmerkmal sexuelle
Identität. Um komplexe und zum Teil tief verwurzelte
Vorurteile abzubauen, sind intensive Bemühungen auf
politischer und zivilgesellschaftlicher Ebene notwendig. Es gilt,
die Chancengleichheit für alle aktiv zu fördern und die
strukturellen und institutionellen Hindernisse abzubauen, die eine
gleichberechtigte Teilhabe in allen Bereichen des
gesellschaftlichen Lebens versperren.
Das
Europäische Jahr hat dazu beigetragen, für Gleichstellung
und Vielfalt in Europa zu werben. Einer der Höhepunkte des
Jahres war der unter deutscher EU-Präsidentschaft erstmals
veranstaltete europäische Gleichstellungsgipfel. Nun gilt es,
sich noch stärker dafür einzusetzen, dass Gleichheit in
Europa für jeden Einzelnen zur Realität wird. Vielfalt
ist eine der Stärken von Europa. Deshalb brauchen wir
Chancengleichheit für alle.
In der
erweiterten Europäischen Union wird die Bevölkerung immer
vielfältiger. Durch die Zuwanderung und das Zusammenleben
ethnisch-kulturell unterschiedlich geprägter Menschen und die
Etablierung unterschiedlicher Lebensformen nimmt Europas Vielfalt
auch in kultureller Hinsicht zu. Um den Vorteil zu würdigen,
den wir durch unsere große kulturelle Vielfalt haben, wurde
das Jahr 2008 zum Europäischen Jahr des interkulturellen
Dialogs erklärt.
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