Antretter: Stärker gegen Kälte wehren

September 2005

Kreis Stade (je). Robert Antretter spürt die Kälte der „völlig ökonomisierten Gesellschaft“. Der Bundesvorsitzende der Lebenshilfe hat große Sorge, dass Behinderte, Ältere und Schwächere zunehmend als Kostenfaktor betrachtet werden und unter die Räder geraten. „Es gibt zu wenige, die sich dagegen wehren“, sagte der 66-Jährige in einem Gespräch in den Schwinge Werkstätten.
Der ehemalige SPD-Bundespolitiker (1980 bis 1998) und Ethik-Fachmann weilte auf Einladung der Abgeordneten Dr. Margrit Wetzel in der Region. Er besichtigte am Morgen die Schwinge Werkstätten des Deutschen Roten Kreuzes in Stade, die 460 Menschen mit geistigen, körperlichen und seelischen Behinderungen in Fertigung und Produktion beschäftigen. „Eine große und großartige Einrichtung“, nahm der Baden-Württemberger als Eindruck mit. Aber wie die bundesweit 3 000 Einrichtungen der Lebenshilfe steht sie unter wirtschaftlichen Zwängen. Seit drei Jahren sind die Pflegesätze eingefroren, die steigenden Personalkosten werden nicht mehr gedeckt.
„Wir stoßen an unsere Grenzen“, seufzt Vorsitzender Helmut Barwig. Mitarbeitern werde einiges „zugemutet“, noch zahle man nach Tarif. „Die Politik lässt uns allein“, klagen Geschäftsführer Klaus-Dietmar Otto und Werkstattleiter Ulrich Tipke. Sie tue so, als ließen sich die Standards erhalten. So müssten die Heime den Spagat ganz auf sich gestellt meistern. Margrit Wetzel ist sauer auf die Pflegekassen und spricht von einem „Pflegesatzdiktat“. Wie eng der Verhandlungskorridor ist, weiß sie auch aus den Altenheimen. Sie persönlich spricht sich für eine deutliche Erhöhung des Pflegeversicherungsbeitrags aus. „Wer als Fachkraft mit Liebe und Motivation Menschen pflegt, muss auch anständig bezahlt werden“, sagt die Politikerin.
Antretter und Wetzel, die sich schon lange kennen und schätzen, diskutierten am Nachmittag in Osten mit Gästen über die demografische Entwicklung und ein neues Leitbild im Gesundheitswesen. Der Baden-Württemberger rechnete vor, dass die Kosten explodieren werden, weil zunehmend alte geistig behinderte Menschen versorgt werden müssen. Trotzdem seien dies Summen, über die sich im Business- und Börsengeschäft keiner aufrege.
„Wir können nicht alles an der Frage der Wirtschaftlichkeit messen“, so Antretter. „Mittel für Menschen, die unsere Hilfe brauchen, dürfen kein Posten sein, den wir problematisieren.“

 

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