Plenarrede zum Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN "Den Ostseeraum zur Modellregion für regionale Kooperationen ausbauen und den Baltic Sea Action Plan zum Baustein einer Europäischen Meerespolitik weiterentwickeln"

21. Februar 2008

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen,

Meere verbinden. Meere verbinden? Ganz sicher nicht von selbst.
Zunächst einmal wissen die Menschen, die an den Küsten von Ostsee, Mittelmeer, Schwarzem und Kaspischem Meer leben, dass in den Ländern jenseits ihrer Küste unterschiedliche Sprachen gesprochen, andere Kulturen gelebt, und fremde Traditionen gepflegt werden. Es gibt andere Gesetze, Gepflogenheiten, Verfahren.
Andererseits ist das Meer zwischen diesen oft sehr unterschiedlichen Ländern durchaus gemeinsamer „Nützling“ als Verkehrsweg, Rohstoffquelle, Nahrungsmittellieferant, Energieträger, Quelle für Medikamente, für technologischen Fortschritt, für Tourismus, für Freizeitvergnügen.
Und zugleich ist es auch – und dabei erst recht gemeinsam- „Schützling“: es muss in ökologischem Gleichgewicht gehalten werden und dies trotz vielfältiger belastender Einleitungen von Land. Das Meer muss für die Menschen an seinen Küsten und für die Schifffahrt sicher gemacht werden, es muss geschützt, gepflegt und bewahrt werden.
Und spätestens dort sind wir beim Kern des Antrags der Opposition, den es heute zu beraten gilt: Dass Meere verbinden, ist mit politischem Willen verbunden und letztlich ist es ein langer Weg, bis das verbindende Meer wirklich von allen Anrainerländern so gesehen, so behandelt und so in Wert gesetzt wird.

Bei der Ostsee ist das bereits ganz gut gelungen. Das sehen die Koalitionsfraktionen so und das sieht offenbar auch die Opposition so.
Was im vorliegenden Antrag beklagt wird, sind gewisse Unverbindlichkeiten in dem, was politisch gemeinsam gewollt wird, Unverbindlichkeiten im Blaubuch der EU-Kommission, bei der in Aussicht stehenden Meeresstrategie-Richtlinie, Unverbindlichkeiten im Baltic Sea Action Plan, der doch Beispiel geben soll für die anderen großen Binnenmeere im europäischen Raum (bzw. beim Kaspischen Meer als Energieweg nach Europa).

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte Ihr Augenmerk auf zwei Schwerpunkte dabei lenken:
Zum einen ist das die Unverbindlichkeit selbst. Angesichts unterschiedlichster nationaler Gesetze und Zuständigkeiten – gerade wir in Deutschland mit unserem Föderalismus können ein Lied davon singen – ist eine gewisse Unverbindlichkeit, ein gewisser Spielraum beim Vorschreiben der Umsetzungen von gemeinsam politisch gewollten Zielen unbedingt nötig. Wir sind es doch, die immer wieder auf Subsidiarität pochen, die nationale Spielräume verlangen, insbesondere doch dann, wenn wir das Verlangte bereits übererfüllen und daher durch europäische Vorgaben ein Absenken unserer Standards befürchten. Mich erinnert die Forderung nach mehr Verbindlichkeit immer an den viel geforderten Bürokratieabbau: All jene, die ihn besonders laut fordern, sind doch die gleichen, die eine Regelung bis ins Letzte erwarten, wenn wir Gesetze schaffen, die bewusst Spielräume für die Umsetzung öffnen. Das ist hier genauso. Es liegt doch an uns, wie wir die EU-Vorgaben in nationales Recht und in nationales Handeln umsetzen, welche Verbindlichkeit wir ihnen geben!
„Ja, aber die anderen Länder, die nicht so bewusst handeln, die müssen wir dazu bringen, dass sie durch Verbindlichkeit gezwungen werden, ebenso zu tun“ – das scheint hinter dieser Forderung nach Verbindlichkeit zu stecken. Und genau da liegt - und das ist der zweite Punkt, den ich beleuchten möchte - die Crux, wie wir schnell am Beispiel der Ostsee und des Baltic Sea Action Plan erkennen können.
Denn was wurde in langen Jahren gemeinsamen und freiwilligen Entwickelns, Diskutierens, Beratens in einem umfangreichen Netzwerk der „Ostsee-Akteure“ alles geschaffen, bis es zu dem heute Erreichten kam: es gibt den Ostseerat, in dem neben den EU-Anrainerstaaten auch Russland, Norwegen und Island vertreten sind und eine Reihe anderer Länder, darunter Frankreich, die Ukraine und die USA Beobachterstatus haben. Regelmäßige zielgerichtete gemeinsame Arbeit der hochrangigen und kompetenten Vertreter führen zu Ergebnissen, die dann auch von allen Ländern akzeptiert werden.
Besonders den Schutz der Meeresumwelt hat die Helsinki Kommission zum Ziel, unterstützt wird die ganze Netzwerk-Arbeit durch Abgeordnete der Nationalparlamente in der Ostseeparlamentarierkonferenz und mit der sogenannten Politik der Nördlichen Dimension, die durch die Europaparlamentarier initiiert wurde.

Wir bringen uns in diesem Netzwerk ein: durch die Regierung, die ihre Vertreter in gemeinsame Sitzungen und Konferenzen schickt, durch die Treffen der Regierungschefs, der Außenminister, der Fachminister, der Ressorts.
Und wir bringen uns auch direkt ein durch unsere Kollegen, die an Parlamentarierkonferenzen teilnehmen, durch Anträge, die wir im Deutschen Bundestag beraten und verabschieden.
„Nichts anderes wollen wir mit unserem Antrag!“ werden nun die GRÜNEN sagen.
ABER: Die Absicht ist gut, die Liste all dessen, was wünschenswert sein mag, ist umfangreich – aber sie kommt schlicht deutlich zu spät. Anfang Juli letzten Jahres haben die Koalitionsfraktionen einen Antrag recht ähnlichen Inhalts verabschiedet, und zwar rechtzeitig vor der 16. Jahrestagung der Ostseeparlamentarierkonferenz, die im August stattfand. Mir scheint fast, verehrte Kollegen von den GRÜNEN, sie hätten ihren Antrag als Protokoll der Ostseeparlamentarierkonferenz geschrieben und alles aufgelistet, was dort diskutiert wurde. Insofern, liebe grüne Kollegen, kommen Sie jetzt zu spät, sie werfen sich – wie häufig – hinter den fahrenden Zug und schreien ganz laut, dass er endlich abfahren soll.
Nein, dafür gibt es trotz vieler guter Inhalte kein Lob: Die Politik, die Sie wollen, wird gemacht – durch die engagierte Arbeit der Regierungsvertreter, die erst mit dafür gesorgt haben, dass wir ein funktionierendes Ostsee-Netzwerk haben, dass viele der Regelungen aus dem Baltic Sea Action Plan – den Sie verbindlicher weiterentwickeln wollen – bereits durch EU-Vorgaben für die Mitgliedstaaten verbindlich sind. Sie wissen doch, dass MARPOL VI in Deutschland längst umgesetzt ist, was wir alles tun für eine sichere Schifffahrt, für ein kluges Notfallmanagement, was wir alles tun für die Sauberhaltung der Meere, gegen das Einschleppen fremder Arten. Sie kennen unsere Aktivitäten für die Luftreinhaltung durch SECAs, durch das Voranbringen von landgestützter Stromversorgung, den Einsatz für Destillate und die Einbindung der Schifffahrt in den Emissionshandel.
Und: ganz wichtig - Russland ist mit ins Boot geholt worden durch den BSAP – und so etwas schaffen wir nicht für das Mittelmeer, das Schwarze und das Kaspische Meer durch einen Beschluss im Deutschen Bundestag.
Das Ostsee-Netzwerk gibt Beispiel, der Ostseerat, in dem Beobachter auch aus Nicht-Anrainerstaaten sind, gibt Beispiel für die anderen Binnenmeere – und zwar ohne durch eine zu hohe Verbindlichkeit gleich abzuschrecken.
Das Ostsee-Netzwerk ist Beispiel dafür, wie durch gemeinsames politisches Wollen die verbindenden Meere von allen Anrainerländern genutzt, aber auch geschützt und gesichert werden können.
Und eben dieses gute Beispiel ist es, das wirken wird und das wir auf EU-Ebene auch intensiv unterstützen können: wir können und sollten die Anrainerstaaten des Mittelmeeres, des Schwarzen und des Kaspischen Meeres motivieren, sich ein Beispiel zu nehmen – sowohl am Ostsee-Netzwerk als auch an einem selbstverständlich weiter zu entwickelnden BSAP, besser noch an seiner konsequenten Umsetzung durch die Staaten rund um die Ostsee.
Für einen Schaufenster-Beschluss des Bundestages, in dem die Regierung aufgefordert wird so zu handeln wie sie es sowieso in vorbildlicher Weise bereits tut, sind wir uns nicht nur zu schade, wir sind auch überzeugt davon, dass wir den Nationalparlamenten und Regierungen der anderen europäischen und europanahen Binnenmeere so viel politischen Verstand zutrauen können, dass auch sie sich auf den sicher beschwerlichen Weg der entsprechenden meeresübergreifenden Kooperation machen werden. Unser gutes Beispiel vor Augen, werden sie vieles von der Zeit einsparen und auch einsparen müssen, die wir gebraucht haben, so weit zu kommen, wie wir sind. Beispiel geben als Hilfe zur Selbsthilfe – das ist es, was wir wollen. Und deshalb werden wir den vorliegenden Antrag nach der erfolgten intensiver Beratung im Fachausschuss jetzt ablehnen.

 

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