Stellungnahme Erntehelfer / Polnische Saisonarbeiter

Mit dem Beitritt Polens zur Europäischen Union am 01.05.2004 gilt das europäische Recht auch für Polen. Übergangsfristen für bestimmte bilaterale Vereinbarungen waren teils im Vorfeld ausgehandelt worden – der Bauernverband hat sich offenbar nicht rechtzeitig an die Regierung gewandt, um die Betroffenheiten der Erntehelferregelung einzubringen. Das Landvolk oder einzelne Obstbauern haben sich im Vorfeld des Beitritts Polens auch nicht an mich gewandt.

Im Jahr 2005 kamen die Probleme rund um die Sozialversicherungspflicht der polnischen Arbeiter in die öffentliche Diskussion. Es gelang der damaligen SPD-geführten Regierung, eine Ausnahmevereinbarung abzuschließen, die besagte, dass für Saisonarbeitsverhältnisse, die bis zum 30.06.2005 eingegangen wurden, keine Nachforderungen für Sozialversicherungsbeiträge erhoben werden. Hintergrund: Das europäische Recht verlangt im Interesse der Arbeitnehmer, dass sie – wenn sie ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis im Heimatland haben und eine kurzfristige Nebenbeschäftigung im Ausland – in einem Sozialversicherungssystem – und zwar dem des Heimatlandes – verbleiben und der ausländische Arbeitgeber die Sozialversicherungsbeiträge nach polnischem Recht an die polnischen Sozialversicherungen entrichten muss.

Diese Regelung belastet die deutschen Bauern, die ausländische Erntehelfer brauchen, so sehr, dass sie um ihre Existenz, mindestens aber um ihre Wettbewerbsfähigkeit fürchten.

Bereits während der noch laufenden Koalitionsverhandlungen habe ich mich bezugnehmend auf Aussagen des damals noch designierten Ministers für Wirtschaft und Arbeit und an den Gesprächen beteiligten Herrn Stoiber vom 20.10.2005 an den designierten Verbraucherminister Herrn Seehofer gewandt, um rechtzeitig an geeigneter Stelle auf das Problem aufmerksam zu machen. (Brief an Herrn Seehofer vom 20.10.2005 / Antwort Seehofer vom 1. 11.2005)

In den Koalitionsverhandlungen von CDU/CSU und SPD nach den Neuwahlen im September 2005 wurde die Frage aufgegriffen. Frau Dr. Krogmann hat kundgetan, dass sie maßgeblich daran beteiligt war und einen großen Erfolg für die Region errungen habe. (sh. Text der Koalitionsverhandlung vom 11.11.2005 und Artikel Stader Tageblatt vom 10.11.2005)

Ich hielt die Regelung für kontraproduktiv und gefährlich für unsere Landwirte und habe das Landvolk entsprechend darauf aufmerksam gemacht. Im Kreis Stade haben wir mehrfach die Erfahrung gemacht, dass deutsche Arbeitslose die polnischen Saisonarbeiter nicht ersetzen können (Artikel Stader Tageblatt vom 19.11.2005).

In Umsetzung der Koalitionsvereinbarung hat das Ministerium für Arbeit und Soziales eine Eckpunkteregelung herausgegeben, die die Koalitionsvereinbarung sehr moderat umsetzt. Am 16. Januar 2006 wurden zwischen Vertretern der polnischen und der deutschen Regierung unter Beteiligung des Bauernverbandes Vereinfachungen des Verfahrens der Beschäftigung polnischer Saisonarbeiter erfolgreich beschlossen.

Das Land Baden-Würrtemberg hat im Bundesrat einen Antrag eingebracht, in dem ursprünglich eine Verlängerung der Ausnahmeregelung über den 30.06.2005 hinaus gefordert wurde. Da dies mit EU-Recht nicht vereinbar ist (sh. Schreiben des EU-Kommissars Spidla) wurde der Antrag während der Beratung im Agrarausschuss geändert, so dass nunmehr die polnische Regierung aufgefordert wird, das polnische Recht dahingehend zu ändern,  dass Saisonarbeit im Ausland für polnische Arbeitnehmer sozialversicherungsfrei – entsprechend der deutschen Regelung – bleibt. Dieser Antrag wurde noch nicht endgültig beschlossen. Anmerkung dazu: Es ist unüblich, dass ein Parlament oder eine Regierung eines Landes (D) einem anderen Land (P) Hinweise gibt, wie das dortige Recht geändert werden solle. Besser wäre sicher, der Bauernverband als Vertreter der Betroffenen sucht das Gespräch mit der polnischen Regierung und polnischen Parlamentariern, um dort Problembewusstsein zu erzeugen und für eine Änderung des polnischen Rechtes zu werben. Politische Handlungsmöglichkeiten aus dem Raum Stade:

Da der fragliche Text der Koalitionsvereinbarung unter Mitwirkung von Frau Dr. Krogmann entstanden ist, macht nur ein gemeinsames Vorgehen, eine gemeinsame Sprachregelung Sinn. (siehe auch Artikel Stader Tageblatt vom 23.01.2006) Ob das erfolgreich sein kann, ist höchst fraglich. Die Frage der Sozialversicherungspflicht kann nicht in Berlin bzw. von deutschem Recht verändert werden. Die Frage der Zulassung von Saisonarbeitern – gerade auch über das bisherige Maß hinaus, weil es in der Zwischenzeit Betriebsausweitungen gegeben hat – würde die Koalitionsvereinbarung konterkarieren: Dabei handelt es sich nachweisbar nicht um eine „SPD“-Position, es gibt eine Reihe von entsprechenden Äußerungen der Herren Stoiber und Seehofer; die Umsetzung im Eckpunktepapier ist bereits deutlich moderater als der Text der Koalitionsvereinbarung selbst.

Koalitionsvertrag vom 11.11.2005 2.9. Saisonarbeit Bei der Zulassung von Saisonkräften aus dem Ausland wird die Bundesregierung die Ende dieses Jahres auslaufenden Eckpunkteregelung modifiziert verlängern. Dabei muss sicher gestellt bleiben, dass die Landwirtschaft ihren saisonalen Arbeitskräftebedarf ausreichend decken kann. Angesichts der unverändert hohen Arbeitslosigkeit ist es aber unser Ziel, vor allem arbeitlose Leistungsbezieher verstärkt auch in kurzfristige Saisonbeschäftigungen zu vermitteln. Dazu ist es zum Einen erforderlich, die Vermittlungsbemühungen durch die Agenturen für Arbeit und die Träger der Grundsicherung für Arbeitssuchende in den Branchen mit Saisonbeschäftigung zu intensivieren. Zum Anderen ist es notwendig, die Eckpunkte über eine betriebliche Begrenzung der Zulassungen so zu modifizieren, dass der Arbeitskräftezugang aus dem Ausland steuerbar bleibt. Der in den letzten Jahren erreichte Umfang der mittel- und osteuropäischen Saisonkräfte muss deutlich reduziert und soweit wie möglich durch Vermittlung inländischer Arbeitskräfte ersetzt werden. Nach dem europäischen Recht unterliegen Saisonkräfte aus den neuen EU- Mitgliedsstaaten seit deren Beitritt dem Sozialversicherungsrecht ihres Heimatlandes. Die Anmeldung der Saisonarbeitnehmer und die Übermittlung der Beiträge durch deutsche Arbeitgeber an die dortigen Sozialversicherungsträger ist gegenwärtig noch mit erheblichem Aufwand behaftet. Die Bundesregierung setzt sich dafür ein, dass hierfür möglichst unbürokratische Verfahren entwickelt werden.
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