Bildungsbericht unter Experten umstritten
Berlin: (hib/SUK) Die Frage, ob der nationale Bildungsbericht Bewertungen und Handlungsempfehlungen enthalten soll, ist unter Experten umstritten. Das wurde bei einer öffentlichen Anhörung des Bildungsausschusses am Montagvormittag deutlich. Der Bericht "Bildung in Deutschland" war im Juni 2006 von der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder und der Bundesregierung veröffentlicht worden und auf erhebliche Resonanz gestoßen. Ein wesentliches Ergebnis des Berichts war die Tatsache, dass in Deutschland Bildungserfolge und soziale Herkunft besonders stark aneinander gekoppelt sind.
Während Martin Baethge, Professor am Soziologischen Forschungsinstitut Göttingen, und Josef Erhard vom Bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus es begrüßten, dass der Bericht keine Handlungsempfehlungen an die Politik enthält, bemängelten die stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und Ingrid Gogolin, Professorin an der Universität Hamburg, deren Fehlen. Gogolin bezeichnete den Verzicht auf Empfehlungen als eine "nicht freiwillige, sondern angeleitete Entscheidung". Bereits in ihrer Stellungnahme hatte sie gefordert, es müsse in der Verantwortung der Wissenschaftler selbst liegen, ob sie kommentiere, wertende und empfehlende Aussagen treffen würde: Wenn jedoch "wissenschaftliche Unabhängigkeit nicht gewünscht ist, wäre es transparenter und angemessen, nachgeordnete staatliche Einrichtungen mit der Bildungsberichterstattung zu betrauen". Auch Demmer, die dem Bericht eine unbestreitbare Qualität bescheinigte, kritisierte, der Bericht spare Kontroversen aus und lasse die Menschen der pädagogischen Praxis "ratlos zurück". Im Bildungsbericht finde sich hauptsächlich Bekanntes und bereits Veröffentlichtes, aber "wenig Neues und nichts Spektakuläres".
Noch deutlicher in ihrer Kritik äußerte sich Renate Valtin, Professorin an der Humboldt Universität. Der Bericht verdiene den Titel "Bildung in Deutschland" nicht. Dazu, wie der Bildungsbegriff in Deutschland realisiert werde und ob die Bildungsziele erfüllt würden, finde sich darin nichts. Auch die Auswahl der benutzten Indikatoren werde nicht erklärt, Themenfelder wie Lernumfeld, Organisation der Schulen, Lernverhalten und Einstellungen der Schüler sowie Ausbildung und Arbeit der Lehrer würden nicht berücksichtigt. Zudem würden die bestehenden Probleme nicht in der gebotenen Deutlichkeit benannt: So gebe es etwa "belastbare Indikatoren" dafür, dass die Organisation des deutschen Schulsystems mit seiner "frühen Auslese und Differenz" zur Benachteiligung beitrage. Im Bericht stehe "nichts davon".
Wilfried Bos vom Institut für Schulentwicklung verteidigte die Anlage des Berichts. Die Aufgabe, einen ganzheitlichen überblick über das deutsche Bildungssystem zu geben, sei anders als mit einem Indikatorenmodell "nicht machbar". Erhard erläuterte, die Wissenschafter hätten Vorschläge für mehr als 100 Indikatoren gemacht, die man dann darauf überprüft ob, ob Daten dazu vorliegen. Dabei habe man sich auch an der internationalen Vergleichbarkeit und "Anschlussfähigkeit" orientiert. Heinz-Werner Hetmeier vom Statistischen Bundesamt wies darauf hin, dass es oft nicht möglich gewesen sei, Indikatoren bereitzustellen, weil die jeweilige Datengrundlage "unzureichend" gewesen sei. Auch Eckhard Klieme, Professor am Deutschen Institut für Internationale Pädagogische Forschung, betonte, der Bericht könne "nicht alle Ansprüche befriedigen". Er müsse als "Systemwissen" über den Zustand des Bildungssystems gewertet werden. Auch Wolfgang Meyer-Hesemann vom Ministerium für Bildung und Frauen des Landes Schleswig-Holstein nannte die Erwartungen an den Bericht "überzogen". Es gebe jedoch einen steigenden Bedarf an Berichten, die sich nicht nur auf "empirisch gestützte Diagnostik" beschränkten, sondern auch die "Therapeutik" in den Blick nähmen.
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