Ausschuss für Ernährung,
Landwirtschaft und Verbraucherschutz (Anhörung)/
Berlin: (hib/KOS) Trotz einer zu erwartenden Abflachung der aktuell
"explosionsartigen Preisentwicklung" bei Lebensmitteln wird das
Preisniveau bei Nahrungsmitteln langfristig deutlich über dem
bisherigen Schnitt liegen. Dies sagte am Montag bei einer
Anhörung über steigende Lebensmittelpreise und
agrarpolitische Strategien zur weltweiten Hungerbekämpfung
Stefan Tangermann im Ausschuss für Ernährung,
Landwirtschaft und Verbraucherschutz voraus. Der Ernährungs-
und Agrardirektor bei der OECD erklärte, dass ein erheblicher
Anteil der künftigen Preiserhöhungen auf die wachsende
Nachfrage nach Bioenergie zurückzuführen sei. Zum Auftakt
des Hearings machten die Stellungnahmen der Sachverständigen
unterschiedliche Meinungen über die Ursachen der globalen
Preiskrise und über die Konzepte zur Bewältigung von
Hungerproblemen in Entwicklungsländern deutlich. Mehrere
Experten mahnten eine verstärkte Förderung der
kleinbäuerlichen Landwirtschaft in der Dritten Welt an.
Tangermann und andere Sachverständige betonten, dass die
drastischen Preissprünge bei Nahrungsmitteln besonders arme
Bevölkerungsschichten in Entwicklungsländern träfen.
Dramatisch seien die hohen Preise für jene Menschen, "die 80
Prozent ihres Einkommens für Lebensmittel ausgeben
müssen", so Thomas Speck, Geschäftsführer der
Gesellschaft zur Förderung der Partnerschaft mit der Dritten
Welt. Wie Speck sagte auch Anita Idel (Projektmanagement
Tiergesundheit & Agrobiodiversität), Hungernöte im
armen Süden seien vor allem ein weltweites Verteilungsproblem.
Die enorme Steigerung der landwirtschaftlichen Produktivität
habe nicht zu einer Überwindung von mangelhafter
Ernährung in Entwicklungsländern geführt, was durch
Hungerproteste in mehreren Staaten offenbar geworden sei. Speck
betonte, die Landwirtschaft sei im Prinzip durchaus in der Lage,
die Ernährung der Weltbevölkerung zu sichern, es
existierten noch viele Potenziale zur Ertragssteigerung beim
herkömmlichen wie beim Bioanbau. Joachim von Braun, Direktor
des Internationalen Forschungsinstituts für
Ernährungspolitik (Washington), wies darauf hin, dass Hunger
und schlechte Ernährung in jungen Jahren erhebliche negative
Auswirkungen für den gesamten Lebensweg der Betroffenen
hätten. Willi Kampmann, Leiter der Brüsseler Büros
des Deutschen Bauernverbandes, erklärte, der Preisanstieg bei
Lebensmitteln sei die Konsequenz des weltweiten
Bevölkerungszuwachses, von schlechten Ernten infolge von
Naturkatastrophen, gewandelten Ernährungsgewohnheiten in
Schwellenländern wie etwa China oder Indien sowie der
Gewinnung von Bioenergie. Die Nahrungsmittel seien "nicht zu
teuer", die Verbraucher in Deutschland und Europa könnten
immer noch günstig einkaufen. Aus Sicht Kampmanns waren die
Preise lange Zeit "zu niedrig", es sei "höchste Zeit" für
Erhöhungen gewesen. Auch im Weltmaßstab sei das
Preisniveau zu gering gewesen, weswegen sich für Bauern in der
Dritten Welt die landwirtschaftliche Produktion nicht gelohnt habe.
Nach den Preisanhebungen wüchsen jedoch Anreize und
Motivation. Michael Schmitz plädierte für eine
Liberalisierung des Welthandels. Protektionismus schade den
Entwicklungsländern, eine Liberalisierung mit offenen
Märkten fördere hingegen den Wohlstand in der Dritten
Welt, sagte der Professor für Agrarpolitik und Marktforschung
an der Uni Gießen. Die Forderung nach "fairen Preisen" sei
eine irreführende Strategie, Preise seien vielmehr ein
Indikator für Knappheit. Zur Steigerung der
landwirtschaftlichen Produktivität sei die umfassende Nutzung
wissenschaftlich-technologischer Fortschritte nötig, wozu etwa
der chemische Pflanzenschutz oder Investitionen in Bildung
gehörten. Schmitz kritisierte auch Defizite bei der Nutzung
gentechnischer Potenziale. Der Bio-Landbau habe Chancen in
Nischenbereichen, könne jedoch das globale
Ernährungsproblem nicht lösen. Anita Idel sieht indes in
der ökologischen Landwirtschaft große Potenziale, da sie
die Fruchtbarkeit der Böden erhöhe. Tangermann
analysierte, die Herstellung von Lebensmitteln halte mit dem
wachsenden Bedarf in erster Linie wegen der drastisch steigenden
Nachfrage nach Getreide und Pflanzenölen zur Herstellung von
Bioenergie nicht Schritt, die Lebensstile in Indien oder China
fielen hingegen kaum ins Gewicht. Er werde "ungeduldig", so der
OECD-Fachmann, wenn er immer wieder aus der Politik höre, die
Produktion von Biosprit spiele bei den drastischen
Preiserhöhungen bei Lebensmittel keine große Rolle. Zur
Bewältigung der Preiskrise müsse man "das Rad nicht neu
erfinden": Entscheidend sei, betonte Tangermann, die Landwirtschaft
in der Dritten Welt nicht nur kurzfristig, sondern dauerhaft zu
fördern. Jetzt räche sich, beklagte Thomas Speck, dass
die Entwicklungshilfe den Agrarsektor lange Zeit
vernachlässigt habe.
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