Im Zenit der Adenauer-Ära
Eigentlich brauchte sich Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) um den Sieg seiner Partei bei der Bundestagswahl im September 1957 keine Sorgen zu machen: Die Wirtschaft in der jungen Bundesrepublik brummte, die Rentenreform vom Januar 1957 mit der Einführung der dynamischen Rente erwies sich als sozialpolitischer Glücksgriff, und auch außenpolitisch konnte sich der 81-Jährige als erfolgreicher Macher präsentieren, der mit dem Beitritt der Bundesrepublik zur NATO 1955 seinem Ziel der politischen und militärischen Westintegration ein großes Stück näher gekommen war.
Wäre da nicht die Diskussion um eine mögliche atomare
Bewaffnung der Bundeswehr gewesen. Adenauer selbst hatte sie
angestoßen, als er am 5. April 1957 auf einer Pressekonferenz
in Bonn erklärte: „Die taktischen atomaren Waffen sind
im Grunde genommen nichts anderes als eine Weiterentwicklung der
Artillerie, und es ist ganz selbstverständlich, dass bei einer
so starken Fortentwicklung wir nicht darauf verzichten können,
dass unsere Truppen auch die neuesten Typen haben und die neueste
Entwicklung mitmachen.“
Sofort formierte sich gegen dieses Vorhaben der Widerstand der Opposition, der in der Öffentlichkeit auf große Resonanz stieß. Viele fürchteten, dass es vor dem Hintergrund des Kalten Krieges tatsächlich zu einem Atomkrieg kommen könnte. „Atomrüstung zeugt Massentod. Die SPD warnt und mahnt“, hieß es auf Wahlplakaten der SPD, der größten Oppositionspartei.
Scharfe Töne im Wahlkampf
Adenauer fürchtete, die Stimmung könnte zu seinen Ungunsten kippen, der Ton im Wahlkampf wurde merklich schärfer. So warf er der SPD, die am Ziel einer raschen Wiedervereinigung festhielt und für einen Austritt der beiden deutschen Staaten aus den feindlichen Militärbündnissen NATO und Warschauer Pakt plädierte, vor, mit ihrer Politik Deutschland zum Satelliten der Sowjetunion zu machen. Wenn die SPD die Regierung übernähme, würde dies den Untergand Deutschlands bedeuten, so der Kanzler.
Die Opposition war empört. „Wer in einem demokratischen Staatswesen sagt, die einzige andere große Partei, um die es in Wahrheit geht, die dürfe niemals an der Macht teilhaben, der beansprucht damit für seine Partei das Recht der Alleinherrschaft für immer“, so Fritz Erler, einer der führenden Sozialdemokraten. „Das ist ein Anschlag auf die Grundprinzipien der freiheitlichen Demokratie.“
Erfolg für Adenauer
Doch der Beliebtheit Adenauers taten seine umstrittenen Äußerungen keinen Abbruch. Und mit ihren Wahlslogans „Keine Experimente!“ und „Wohlstand für alle“ trafen die Unionsparteien den Nerv des Wahlvolks, das die Früchte des Wirtschaftswunders genoss und keinen Anlass sah, für einen Wechsel zu stimmen. Bei der Bundestagswahl am 15. September, zu der 35,5 Millionen Wahlberechtigte aufgerufen waren, kamen CDU und CSU zusammen auf 50,2 Prozent. Die SPD landete bei 31,8 Prozent und hatte damit ihr Wahlziel, die Regierung abzulösen, klar verfehlt.
Die FDP, die 1956 die Regierungskoalition aus CDU/CSU, Deutscher Partei (DP) und der Vertriebenenpartei „Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten“ (BHE) verlassen hatte, kam auf für sie enttäuschende 7,7 Prozent und blieb in der Opposition. Der BHE scheiterte mit 4,6 Prozent an der Fünf-Prozent-Klausel. Auch die nationalkonservative DP blieb mit 3,4 Prozent unterhalb dieser Hürde. Doch weil die Christdemokraten in einigen Wahlkreisen zugunsten der DP auf die Aufstellung von Direktkandidaten verzichtet hatten, konnte die DP mehrere Direktmandate erringen und mit 17 Abgeordneten in den Bundestag einziehen, wo sie gemeinsam mit der CDU/CSU-Fraktion die neue Regierung stellte.
Nachdenkliche Töne nach der
Wahl
Die Wahlbeteiligung war hoch, sie lag bei 87,8 Prozent. Erstmals war es möglich, per Briefwahl seine Stimme abzugeben. Die Bundestagswahl 1957 stellt den bis heute größten Wahlsieg der Unionsparteien dar. Zum ersten und bisher einzigen Mal gelang es einer Fraktion, bei einer Bundestagswahl die absolute Mehrheit der Stimmen und Mandate zu erreichen.
SPD-Chef Erich Ollenhauer zog ein bitteres Fazit: „Ich glaube, es kann wohl von niemandem bestritten werden, dass dieser Wahlkampf mit sehr ungleichen Wahlchancen oder Kampfchancen zu Ungunsten der SPD geführt werden musste.“ Adenauer wiederum schlug ungewohnt verhaltene Töne an: „Sie können sich denken, dass ein so großer Wahlerfolg wie der, den wir errungen haben, auch nachdenklich stimmt.“ Ob er ahnte, dass die Ära Adenauer mit diesem überwältigenden Wahlsieg ihren Zenit erreicht hatte?