"Ein Glücksfall für Deutschland"
Mit einer rund dreistündigen Debatte zum 60. Jahrestag hat der Bundestag am Donnerstag, dem 14. Mai 2009, das Grundgesetz als eine „Erfolgsgeschichte“ gewürdigt. Die deutsche Verfassung, die eigentlich keine sein sollte, war am 23. Mai 1949 in Bonn unterzeichnet und verkündet worden. 60 Jahre später waren sich die Abgeordneten über alle Fraktionsgrenzen einig darin, dass sich das Grundgesetz seither bewährt und durchgesetzt habe. Es sei eine Sternstunde und ein Glücksfall für Deutschland gewesen. Manche der insgesamt zwölf Redner mahnten jedoch auch an, die Grundgesetzartikel im Einzelnen kritisch zu überprüfen und an die Verhältnisse des „21. Jahrhunderts“ anzupassen.
Unions-Fraktionsvorsitzender Volker Kauder nannte das
60-jährige Bestehen der Bundesrepublik Deutschland eine
„Erfolgsgeschichte“. Nach Nationalsozialismus und Shoa
sei in Deutschland „eine moderne, geachtete Demokratie“
entstanden, auf die die Deutschen stolz sein könnten, sagte
der CDU-Politiker als erster Redner der Debatte im Bundestag.
„Beachtlichen Anteil“ an dieser Entwicklung habe das
Grundgesetz, so Kauder, das von den zentralen Werten
Menschenwürde und Freiheit geprägt sei.
„Kompass für die Zukunft“
Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP) bezeichnete das Grundgesetz als „beste Visitenkarte nach innen und außen“. Es habe sich bewährt, insbesondere auch durch die „kluge und überzeugende Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts“. Ein „bisschen mehr Freude über das Erreichte“ täte daher den Deutschen gut, sagte der Liberale und mahnte, den kommenden Generationen, die Nationalsozialismus und Stalinismus nicht erlebt hätten, das Bewusstsein für den Wert dieser Verfassung weiterzugeben. „Das Grundgesetz bleibt der Kompass für die Zukunft“, so Gerhardt.
Dr. Herta Däubler-Gmelin (SPD) erinnerte in ihrer Rede daran,
dass dem Grundgesetz, heute unumstritten, anfangs auch mit Skepsis
begegnet wurde: „Man nannte es ‚Schundgesetz’,
schimpfte über ‚Kautschuk-Begriffe’ und
kritisierte den Parlamentarischen Rat einen ‚Rat voller
Langweiler’, zitierte die frühere Bundesjustizministerin
aus einem Zeitungsartikel von 1949. Erst nach dem
„signifikanten Aufbruch“ in den sechziger Jahren seien
die Maßstäbe des Grundgesetzes angenommen worden.
„Begriff des Eigentums neu definieren“
Auch die Linke lobte das Grundgesetz: Es sei „zweifellos eine hervorragende Verfassung“, sagte deren Fraktionsvorsitzender Gregor Gysi. Co-Fraktionschef Oskar Lafontaine mahnte jedoch, im Jubiläumsjahr sei die Versuchung groß, „mit Stolz auf das Erreichte zu blicken und es dabei zu belassen“. Die Gesellschaft müsse aber auch einen kritischen Blick auf die Gegenwart werfen. Solange die Wirtschaftsordnung zu wachsender Ungerechtigkeit und Ungleichheit führe, „wird es keine Freiheit und Brüderlichkeit geben – und auch keinen Frieden“, warnte Lafontaine. Er verlangte, den Begriff des Eigentums neu zu definieren. „Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verpflichtet uns zu einer anderen, zu einer neuen Wirtschaftsordnung“, bekräftigte er.
Auch die Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen,
Renate Künast, forderte, das Grundgesetz müsse sich
„an das 21. Jahrhundert anpassen“ und dürfe nicht
„an Leitbildern vergangener Zeiten festhalten“. Das
Familienbild von 1949 existiere nicht mehr. Das müsse sich in
der Verfassung widerspiegeln. Auch dürfe der Begriff der
Freiheit nicht mehr nur auf Freiheit in der Wirtschaft verengt
werden.
„Keine Änderung des Grundgesetzes“
CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer bezeichnete das Grundgesetz als „Dokument des Glücks“. Kern und Substanz der Verfassung seien „immer unangetastet“ geblieben. Dabei solle es auch künftig bleiben. Forderungen nach Änderungen des Grundgesetzes erteilte er daher eine deutliche Absage: „Das sind alles überflüssige Zutaten.“ Es zähle Qualität statt Quantität.
Florian Toncar (FDP), mit 29 Jahren jüngster Redner der
Debatte, kritisierte den Umgang der Politik mit den im Grundgesetz
garantierten Freiheitsrechten: „Wie lange kann es sich unsere
Gesellschaft noch leisten, ständig das
Bundesverfassungsgericht zu belasten, um die Grundrechte
umzusetzen?“, fragte er.
„Fanal der Hoffnung“
Franz Müntefering, Parteivorsitzender der SPD, beschrieb das Inkrafttreten des Grundgesetzes vor 60 Jahren als „Fanal“ und als „Botschaft der Hoffnung“. Die Verfassung habe „unverzichtbare Werte“ festgeschrieben. Gerade ihre Präambel sei Ausdruck von Demut und dem Willen, es nach Diktatur und Krieg „besser zu machen“, so Müntefering. Dass die Länder Europas in der europäischen Integration Deutschland wieder die Hand gereicht hätten, müsse Ansporn sein, auch anderen Ländern die Chance zu einer demokratische Entwicklung zu geben.
Katrin Göring-Eckardt (Bündnis90/Die Grünen) mahnte,
nicht nur auf die „Glanzpunkte der Geschichte“ zu
schauen, sondern zu fragen, wie es heute um Freiheit und Demokratie
in Deutschland bestellt sei: Angesichts von gefährdeten
Arbeitnehmerrechten müsse für Grundrechte wieder
gekämpft werden. „Demokratie ist kein Paradies, aber das
Beste, was wir haben“, sagte die Vizepräsidentin des
Bundestages.
„Verfassung vom Volk beschließen
lassen“
Arnold Vaatz (CDU/CSU), wie seine Vorrednerin Göring-Eckardt früherer DDR-Bürger, kritisierte in seiner Rede die Äußerung Münteferings, das Grundgesetz sei den Menschen in der DDR „übergestülpt worden“. Dies zeuge von „Arroganz“. Nachträglich würden so die Bürger der DDR für unmündig erklärt: „So, als hätten sie nicht gewusst, was sie taten." Es wäre aber stattdessen ein „Albtraum“ gewesen, "wenn wir diese Chance verstolpert hätten".
Als letzte Rednerin der Debatte erinnerte Christel
Riemann-Hanewickel (SPD) an die Hoffnungen vieler
Bürgerrechtler nach dem Zusammenbruch der DDR, sich mit
Vorschlägen am Grundgesetz zu beteiligen: „Viele waren
enttäuscht, dass auf ihre Mitarbeit so verzichtet
wurde“. Die Sozialdemokratin plädierte dafür, das
Grundgesetz in einem Volksentscheid vom Volk bestätigen zu
lassen. Dies sei die einzige Vorgabe des Grundgesetzes, die noch
nicht erfüllt sei. „Aber das können wir noch
jederzeit tun!“