Experten sind für Erstattung rezeptfreier Arzneien für Jugendliche bis 18
Berlin: (hib/BES) Rezeptfreie Medikamente sollen wieder, zumal für Jugendliche bis zum vollendeten 18 Lebensjahr, in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung aufgenommen werden. Dies fordert die Mehrheit der Sachverständigen und Vertreter betroffener Verbände in ihren schriftlichen Stellungnahmen zu einer öffentlichen Anhörung des Gesundheitsausschusses, die um 14 Uhr begonnen hat. Grundlage der Beratung ist ein Gesetzentwurf der CDU/CSU-Fraktion ( 15/5318), in dem sie sich für die Ausweitung der Erstattungsfähigkeit für Jugendliche unter 18 einsetzt. Nach dem geltenden Recht ist dies nur möglich, wenn bei den Patienten Entwicklungsstörungen vorliegen. Nach Angaben der Fraktion leiden etwa eine Million Jugendliche an Allergien, Neurodermitis, Rheuma und anderen chronischen Erkrankungen. Bei Inhalationsallergien oder Neurodermitis gehöre die Behandlung mit nichtverschreibungspflichtigen Arzneimitteln zum Therapiestandard. Da diese Medikamente von den gesetzlichen Krankenkassen nicht mehr erstattet würden, verzichteten einkommensschwache Eltern oft auf eine Behandlung ihrer Kinder. Dies habe zur Folge, dass die Erkrankungen eine schwere Verlaufsform nehmen und sich bis hin zu einer Dauerschädigung entwickeln können. Die Finanzierung dieser Änderung ist nach Ansicht der Union durch die bereits erzielten Einsparungen infolge der Gesundheitsreform zu decken.
Dies sehen die meisten Experten ähnlich und unterstützen in ihren Stellungnahmen den Vorschlag der Union. Er sei "ein erster Schritt in die richtige Richtung", schreiben unter anderen der Sozialverband Deutschland (SoVD) und der Deutsche Generikaverband. Eine generelle Wiederaufnahme rezeptfreier Arzneien in den Leistungskatalog fordert der Sozialverband VdK Deutschland. Rezeptpflicht sei kein geeignetes Abgrenzungskriterium für die Erstattungsfähigkeit von Medikamenten. Sie orientiere sich an der Sicherheit von Arzneimitteln, nicht aber an der therapeutischen Notwendigkeit und dem Nutzen. Der Bundesverband der Arzneimittelhersteller (BAH) fordert die generelle Verordnungsfähigkeit von rezeptfreien Arzneimitteln für Kinder und Jugendliche bis zum 18. Lebensjahr. Für die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände ist die geltende Vorschrift medizinisch nicht begründbar und führt zu einer überproportionalen und unsozialen Belastung von Familien mit Jugendlichen mit dem Risiko der Unterversorgung. Das die Ausstattung der Familienkasse häufig ausschlaggebend für die Therapie ist, unterstreicht der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte: Die Mediziner beobachteten in ihren Praxen, dass "Eltern oft ganz verzweifelt sind, weil sie die hohen Kosten nicht tragen können." Aus Sicht von Pro Generika e.V. ist die geltende Regelung auch ökonomisch fragwürdig: Ärzte verordneten Jugendlichen aus einkommensschwachen Familien anstelle therapeutisch völlig ausreichender, aber nicht erstattungsfähiger Medikamente, Präparate, die verschreibungspflichtig und teurer seien, dafür stärkere Nebenwirkungen hätten.
Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) unterstützt das Unionsanliegen und weist in seiner Stellungnahme darauf hin, dass er die geltende Neuregelung "als einseitige Belastung der Patienten" gleich abgelehnt hatte. Auf die finanziellen Auswirkungen geht der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) ein. Die Neuregelung werde bei den Kassen zu Mehrausgaben von 50 bis 100 Millionen Euro jährlich führen. Dies sei nicht beitragssatzrelevant. Die Kassen hätten 2004 ohnehin mehr eingespart als von der Regierung erwartet. Die Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der Krankenkassen befürchtet dagegen "Mitnahmeeffekte", die Kosten in Höhe von 100 bis 200 Millionen Euro verursachen könnten. Die Spitzenverbände widersprechen auch der Union, dass die zu erwartenden Kosten bereits kompensiert seien. Gegen eine Korrektur der Gesundheitsreform in diesem Bereich spräche auch, dass die Einstufung als Arzneimittel nicht von der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Versicherten abhängig gemacht werden könne. Sorgen wegen der erwarteten Mehrkosten macht sich auch die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). Die Gesundheitsreform sei immer wieder "verwässert" worden. Das Ziel der deutlichen Absenkung des durchschnittlichen Beitragssatzes sei nicht erreicht worden. Daher "ist es verfehlt, mit der nun geplanten Änderung eine weitere Abweichung von den Einsparzielen vorzunehmen".
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