"DAS PARLAMENT": Interview mit Bundesbankpräsident Axel A. Weber
Vorabmeldung zu einem Interview in der nächsten Ausgabe der Wochenzeitung
„Das Parlament“ (Erscheinungstag: 11. Februar 2008)
– bei Nennung der Quelle frei zur sofortigen Veröffentlichung –
„Anlass zur Sorge“: Bundesbankpräsident Axel A. Weber warnt vor einer Lohn-Preis-Spirale
Bundesbankpräsident Axel A. Weber hat vor der Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale gewarnt. In einem am Montag (11. Februar 2008) erscheinenden Interview mit der Wochenzeitung „Das Parlament“ sagte Weber, dies gebe „Anlass zur Sorge“. Zwar fuße der Aufschwung in Deutschland auf einer breiteren Grundlage, sodass die Bundesbank für dieses Jahr ein reales Wirtschaftswachstum von 1,9 Prozent erwarte. Diese Prognose sei jedoch gewissen „Abwärtsrisiken“ ausgesetzt. Dazu zählen nach Darstellung Webers etwa ein weiterer Ölpreisanstieg oder eine weitere Dollar-Abwertung. Im Hinblick auf die Preisentwicklung wirke der schwache Dollar dem Ölpreisanstieg entgegen, mindere also den Inflationsdruck spürbar. Insgesamt würden jedoch die „Aufwärtsrisiken für die Preisentwicklung“ überwiegen. Im Durchschnitt des Jahres 2008 werde die Teuerung sowohl in Deutschland als auch im Euro-Raum oberhalb der vom Rat der Europäischen Zentralbank als „Preisstabilität“ angesehenen Rate von knapp zwei Prozent liegen. „In den grünen Bereich dürften wir erst im nächsten Jahr zurückkehren“, sagte Weber. Dies setze vor aus, dass „Zweitrundeneffekte“, etwa aufgrund zu hoher Lohnabschlüsse, ausbleiben. Lohnpolitik und Finanzpolitik stünden in der Verantwortung für die Preisstabilität und dürften in dieser Situation nicht über die Stränge schlagen, so der Bundesbankpräsident.
Wortlaut des Interviews mit Bundesbankpräsident Axel A. Weber in „Das Parlament“ vom 11. Februar 2008
Die Bundesregierung hat sich im Koalitionsvertrag 2005 die Stärkung des Finanzplatzes Deutschland zum Ziel gesetzt. Tut die Politik genug, um dieses Ziel zu erreichen?
Zunächst einmal ist es zu begrüßen, dass die Regierungskoalition ein eigenes Kapitel zur Finanzmarktpolitik aufgenommen hat. Dies ist schließlich ein Novum. Es zeigt, dass die Berliner Politik die gesamtwirtschaftliche Bedeutung einer international wettbewerbsfähigen Finanzbranche erkannt hat. In den zwei Jahren seit ihrem Amtsantritt hat die Bundesregierung eine Reihe von Gesetzesinitiativen zur Stärkung des Finanzplatzes Deutschland angepackt. Hier ist vor allem die Einführung deutscher Reits zu nennen, aber auch die kürzlich verabschiedete Investmentgesetz-Novelle. Weitere Vorhaben wie das Gesetz zur Förderung von Wagniskapital und das Risikobegrenzungsgesetz befinden sich noch im Gesetzgebungsprozess.
Von Bankenseite wird beklagt, dass die nötigen Weichenstellungen nicht schnell und nicht mit der nötigen Konsequenz erfolgen. Wie sehen Sie das?
Richtig ist, im globalen Wettbewerb der Finanzplätze gibt es keine Zeit für Atempausen. Doch Gesetze sollten keinesfalls mit heißer Nadel gestrickt werden. Ich teile auch die Kritik, dass es leider im Bereich der Finanzmarktgesetzgebung bisweilen an Konsistenz und Konsequenz gefehlt hat. So wäre es bei der Einführung deutscher Reits wünschenswert gewesen, bestehende Wohnimmobilien einzubeziehen. Auch das vorliegende Wagniskapitalgesetz ist nicht so weitgreifend, wie es die Ankündigung eines Private-Equity-Gesetzes erwarten ließ.
Andererseits arbeitet die Bundesregierung am Risikobegrenzungsgesetz, mit dem der Einfluss von Hedgefonds auf Unternehmen begrenzt werden soll. Ist das nicht abschreckend für Investoren?
Ich sehe im Risikobegrenzungsgesetz kein Gesetz gegen Hedgefonds. Dieses Gesetz zielt darauf ab, die Aktionärsstruktur transparenter zu machen und größere Investoren, also nicht nur Hedgefonds, zur Offenlegung ihrer Pläne zu verpflichten. Transparenz ist eine Grundvoraussetzung für das Funktionieren eines Marktes. Außerdem stärkt Transparenz die Marktdisziplin. Die Bundesregierung verfolgt daher den richtigen Ansatz, wenn sie anstelle direkt regulierender Eingriffe die Marktkräfte durch verbesserte Transparenz in die Lage versetzt, effiziente Ergebnisse zu erzielen.
Wie beurteilen Sie die Pläne der Bundesregierung, ausländischen Investoren durch eine Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes Investitionen in Deutschland zu erschweren?
Mich stört an der gegenwärtigen Diskussion um ausländische Staatsfonds vor allem, dass protektionistische Tendenzen Auftrieb erhalten. Die nationale Sicherheit zu schützen, ist ein legitimes Anliegen, darf aber nicht als Vorwand für Protektionismus und Industriepolitik dienen. Viele der Befürchtungen hinsichtlich Überfremdung durch Investitionen von Staatsfonds basieren auf Spekulationen und nicht auf Fakten. Fakt ist jedenfalls, dass grenzüberschreitende Kapitalanlagen zum Vorteil aller Beteiligten sind, also sowohl den Kapitalgebern als auch den Empfängern ausländischen Kapitals nützen. Der Grundsatz des freien Kapitalverkehrs sollte daher nicht in Frage gestellt werden.
Wie sieht die Bundesbank den Finanzstandort Deutschland im internationalen Wettbewerb positioniert?
Deutschland ist der führende Finanzstandort Kontinentaleuropas und verfügt über gute Voraussetzungen, um im globalen Wettbewerb zu bestehen. Mit seinen leistungsfähigen Zahlungsverkehrs- und Börsensystemen besitzt Deutschland eine exzellente Marktinfrastruktur. Insbesondere Frankfurt hat sich zu einem Finanzcluster entwickelt. Das heißt, die räumliche Nähe von zwei Zentralbanken, über 300 Geschäftsbanken, Deutscher Börse, Teilen der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht und anderen befruchtet die Arbeit der einzelnen Institutionen gegenseitig. Die Finanzmarktgesetzgebung geht trotz mancher Defizite im Detail insgesamt in die richtige Richtung und setzt die europäischen Richtlinien „eins zu eins“ in deutsches Recht um.
Deutschland ist ein bankenlastiger Finanzplatz. Von vielen Experten wird konstatiert, dass die heimischen Institute nicht groß genug seien, um im globalen Wettbewerb mitmischen zu können. Was behindert die anderswo längst vollzogene Konsolidierung? Ist das Drei-Säulen-Modell aus Sparkassen, Genossenschafts- und Privatbanken daran schuld?
Ich gehe davon aus, dass der Trend zu stärker kapitalmarktorientierten Finanzsystemen anhalten wird. Für die deutschen Institute war und ist dies mit einer steilen Lernkurve verbunden. Es wäre indes verfehlt zu behaupten, die Struktur des deutschen Bankenmarktes verhindere international wettbewerbsfähige Institute. Im Übrigen halte ich den deutschen Bankenmarkt trotz der kritisierten Säulenstruktur zumindest in Teilbereichen für offen für neue Wettbewerber. Außerdem hat innerhalb der drei Säulen bereits eine merkliche Konsolidierung stattgefunden. Gleichwohl ist eine weitergehende, den Marktkräften mehr Raum gebende Konsolidierung wünschenswert.
Ein wesentlicher Erfolgsfaktor für einen Finanzplatz ist die Aufsicht. In Deutschland teilen sich die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht und die Bundesbank diese Aufgabe. Hat sich diese Arbeitsteilung bewährt oder unterstützen Sie die Forderung, dass die BaFin der Bundesbank untergeordnet werden sollte?
Das zweigleisige deutsche Aufsichtssystem funktioniert gut. Wie Sie wissen, kam auch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung in seiner Studie zur Bankenaufsicht zu dem Ergebnis, dass sich die Arbeitsteilung grundsätzlich bewährt habe, es jedoch Doppelarbeiten und Überschneidungen gebe, die das Bankensystem unnötig belasten. In der vergangenen Woche haben wir gemeinsam einen guten Kompromiss gefunden. In der neuen Aufsichtsrichtlinie werden die Kompetenzen der beiden Institutionen nun deutlicher festgelegt: Die Bundesbank ist eindeutig für die laufende Überwachung und Prüfung aller Banken, auch der systemisch relevanten Kreditinstitute und „Problembanken“, zuständig. Die BaFin trägt nach wie vor die Verantwortung für alle aufsichtsrechtlichen Maßnahmen wie etwa die Erteilung einer Banklizenz oder die Verhängung eines Moratoriums. Die nun klarere Kompetenzverteilung führt zum Abbau von unnötiger Doppelarbeit.
Inwieweit kann in einem globalen Kapitalmarkt eine nationale Finanzaufsicht noch effektiv sein? Ist nicht wenigstens eine europäische Aufsicht nötig?
Ich bin dafür, die bestehenden Kooperationsstrukturen auszubauen, bevor wir eine neue supranationale Bürokratie errichten. Diese länderübergreifende Kooperation der Aufseher hat sich übrigens gerade während der jüngsten Finanzmarktturbulenzen bewährt. Viele wissen ja gar nicht, wie eng die nationalen Finanzaufseher mittlerweile sowohl auf institutioneller als auch auf operationaler Ebene vernetzt sind. Eine laufende Kooperation bei der Aufsicht grenzüberschreitender Bankengruppen gibt es bereits und in manchen Bereichen sogar schon die Funktion eines „lead supervisors“. Eine europäische Aufsicht erfordert eine starke Angleichung von Rechtsgrundlagen und Verzicht auf nationale Souveränität. Ich sehe nicht, dass die EU-Staaten hierzu in absehbarer Zeit bereit sind.
Die Inflationsrate ist im November erstmals seit über zehn Jahren wieder auf über drei Prozent gestiegen. Dennoch hat die Europäische Zentralbank, deren Ratsmitglied Sie sind, den Leitzins bei vier Prozent belassen. Hat sie damit nicht dem Druck des Kapitalmarkts nachgegeben?
Davon kann keine Rede sein. Die Verbraucherpreise sind in der Tat im vergangenen Herbst kräftig gestiegen. Und auch im Durchschnitt des Jahres 2008 wird die Teuerung sowohl in Deutschland als auch im Euro-Raum oberhalb der vom EZB-Rat als Preisstabilität angesehenen Rate von knapp zwei Prozent liegen. In den „grünen Bereich“ dürften wir erst gegen Ende des Jahres zurückkehren. Das setzt allerdings voraus, dass Zweitrundeneffekte zum Beispiel infolge überhöhter Lohnabschlüsse ausbleiben. Richtig ist ferner, dass die Risiken für die Preisstabilität auf mittlere Sicht eindeutig aufwärtsgerichtet sind. Die mit den Finanzmarktturbulenzen verbundene Unsicherheit auf den Märkten hat aber ein Festhalten am derzeitigen Zinsniveau vorerst nahegelegt. Gleichzeitig haben wir jedoch betont, dass wir verhindern müssen, dass es zu einer Lohn-Preis-Spirale oder einer Verfestigung des anhaltenden Inflationstrends kommt.. Lohnpolitik und Finanzpolitik dürfen in dieser Situation nicht über die Stränge schlagen. Auch sie stehen in der Verantwortung für Preisstabilität. Zu Recht hat die Bundeskanzlerin kürzlich die Inflation als „eine der perfidesten Formen der Enteignung der kleinen Sparer ohne Sachwerte“ bezeichnet.
Wie lange werden die Auswirkungen der US-Immobilienkrise den deutschen Finanzplatz noch belasten? Welche Lehren sollten daraus gezogen werden?
Die Finanzmarktturbulenzen der letzten Monate haben insbesondere Schwachstellen im Risikomanagement einiger Banken aufgedeckt. Daneben wurde deutlich, dass mangelnde Transparenz die Marktdisziplin schwächt und hiermit Fehlentwicklungen Vorschub leisten kann. Grundsätzlich hat das deutsche Finanzsystem die Turbulenzen der letzten Monate jedoch gut gemeistert und seine Stabilität und Funktionsfähigkeit behauptet. Die Schieflagen der IKB und SachsenLB waren institutsspezifischer Natur und wurden von der Kreditwirtschaft aufgefangen. Dass insbesondere Kreditrisiken nun wieder vorsichtiger bewertet werden, ist prinzipiell eine positive Entwicklung. Nun kommt es darauf an, dass sich mittelfristig wieder solides Vertrauen zwischen den Marktteilnehmern entwickelt.
Wie schätzen Sie die Entwicklung der deutschen Konjunktur angesichts der Inflationsrisiken ein?
Der Aufschwung in Deutschland fußt auf einer breiteren Grundlage, daher rechnen wir 2008 mit einer realen Wachstumsrate von kalenderjährlich 1,9 Prozent. Jedoch ist unsere Prognose gewissen Abwärtsrisiken ausgesetzt, wozu zum Beispiel ein weiterer Ölpreisanstieg oder eine weitere Dollar-Abwertung gehören. Im Hinblick auf die Preisentwicklung wirkt der gegenwärtig schwache Dollar dem Ölpreisanstieg entgegen, mindert also den hieraus resultierenden Inflationsdruck spürbar. Insgesamt überwiegen jedoch die Aufwärtsrisiken für die Preisentwicklung, insbesondere über Zweitrundeneffekte. Die Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale gibt Anlass zur Sorge.
Das Interview führte Bärbel Brockmann.
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