Im Südwesten kaum Neues. Die Kräfteverhältnisse nach den baden-württembergischen Kommunalwahlen haben sich landesweit kaum verändert: CDU und SPD verlieren geringfügig, Grüne und FDP klettern etwas nach oben - immerhin haben die Freien Wählervereinigungen die Union dieses Mal auf Platz zwei verdrängt, doch diese oft konservativ geprägten Gruppierungen lagen schon 1999 fast gleichauf mit der Partei Erwin Teufels. Das nähere Hinsehen indes legt den Blick frei auf erstaunliche politische Verwerfungen: In den Großstädten verlor die CDU drastisch, während die Grünen kräftige Sprünge nach vorn machten.
Weniger Schwarz, mehr Grün, verblassendes Rot: Mancherorts schob sich die Öko-Partei vor die SPD, in Tübingen stellen die Grünen sogar die stärkste Fraktion im Gemeinderat. Im urbanen Milieu vollziehen sich offenbar weitreichende politisch-kulturelle Veränderungen. Susanne Eisenmann, Fraktionsvorsitzende der Union im Stuttgarter Lokalparlament, urteilt denn auch, die CDU werde sich "bundesweit damit beschäftigen müssen, dass sie in Großstädten schlecht abschneidet". Singens OB Andreas Renner, Vorsitzender des Kommunalverbands der Südwest-CDU über diese Entwicklung: "Das erfüllt mich mit Sorge". Schon im Oktober steht der nächste Test mit republikweiter Ausstrahlung an: In Stuttgart stellt sich CDU-Oberbürgermeister Wolfgang Schuster zur Wiederwahl - und der Ausgang des Kräftemessens mit Ute Kumpf von der SPD und mit Boris Palmer von den Grünen erscheint offener denn je.
Bei der Bewertung der Kommunal- und Kreistagswahlen lassen die politischen Lager einen wichtigen Faktor gern außen vor: Mit rund 52 Prozent blieb die Wahlbeteiligung so niedrig wie vor fünf Jahren - eigentlich stellen die Nichtwähler die größte Partei. Bei den Gemeinderatswahlen landeten die Freien Wähler mit 34,3 Prozent auf Platz eins, ein Plus von 0,6 Prozent. Nur noch Rang zwei nimmt die Union ein, die auf 32,4 Prozent kam (minus 1,6 Prozent). Die SPD büßte ebenfalls 1,6 Prozent ein und hat jetzt landesweit 18,2 Prozent. Der Stimmenanteil der Grünen erhöhte sich um 2,7 Prozent auf 6,6 Prozent. Die FDP verbesserte sich um 0,9 Prozent auf 3,2 Prozent.
Das Resultat der Kreistagswahlen: CDU 38,7 Prozent (1999 waren es 40,4 Prozent), Freie Wähler 23,8 Prozent (22,8), SPD 18,7 Prozent (21), Grüne 9,5 Prozent (7,3), FDP 5,4 Prozent (3,9).
Doch diese wenig spektakulären Zahlen verdecken die Zäsur in den Großstädten. Freilich markieren das deutliche Minus der CDU und das Erstarken der Grünen in den urbanen Zentren keinen Linksruck: Die Grünen, im "Ländle" seit jeher fest in der Hand der "Realos", sind inzwischen vor allem eine Partei der arrivierten Mittelschichten und deshalb auch für bürgerliche Kreise wählbar - ihre besten Ergebnisse erzielt die Öko-Partei etwa in Freiburg und Stuttgart dann auch in Vierteln, wo eher Gutsituierte leben. Und es kommt nicht von ungefähr, dass Grüne wie beispielsweise Freiburgs OB Dieter Salomon immer mal wieder Koalitionen mit der Union ins Gespräch bringen.
Spitzenreiter der Grünen ist Tübingen, wo sie nach einem Plus von 8,5 Prozent jetzt mit 26,3 Prozent die stärkste Kraft im Lokalparlament sind. In Freiburg blieben die Grünen mit 25,8 Prozent nur noch 0,3 Prozent hinter der CDU zurück, die fünf Prozent verlor. In Karlsruhe verzeichnete die Union einen Rückschlag von 6,6 Prozent und kommt noch auf 37,2 Prozent, die Grünen verbesserten sich um 6,8 Prozent auf 16,6 Prozent. In Heidelberg rutschte die CDU um 6,6 Prozent auf 25,9 Prozent ab, SPD (21,6 Prozent) und Grüne (21,4 Prozent) sind nahezu auf Augenhöhe. Ein Minus von 7,4 Prozent muss die Union in Mannheim verkraften, nun sind es noch 37,4 Prozent. Die Verluste der SPD in den Großstädten bewegen sich im landesweiten Schnitt.
Im Hinblick auf die OB-Wahl ist die Lage in Stuttgart besonders spannend: Der Rathauschef der Hauptstadt hat nach dem Ministerpräsidenten das politisch zweitwichtigste Amt im Land inne. Im Gemeinderat büßte die Union 5,3 Prozent ein und fiel auf 32,9 Prozent zurück. Die SPD verteidigte mit 22,8 Prozent in etwa ihre bisherige Position, die Grünen steigerten sich von 13 auf 18,7 Prozent - beide Parteien liegen nun mit zusammen mehr als 40 Prozent vor der Union.
OB Schuster, der mit dem Image eines eher spröden Verwaltungsmannes zu kämpfen hat, wird gegen die SPD-Bundestagsabgeordnete Kumpf und gegen den grünen Landtagsabgeordneten Palmer einen schweren Stand haben. Schon 1996 konnte sich der CDU-Politiker erst im zweiten Wahlgang knapp gegen Rezzo Schlauch von den Grünen durchsetzen. Und dieses Mal dürften SPD und Grüne anders als vor acht Jahren in der zweiten Runde nur noch einen Kandidaten gegen Schuster ins Rennen schicken, nämlich den Bestplazierten aus dem ersten Wahlgang.