Ökologie, mit der Genderbrille gesehen, führt zu einer Vielzahl von Fragen, die beantwortet werden wollen: Verhalten sich Frauen und Männer unterschiedlich in Umweltfragen wie Müll-trennung, Mobilität oder Konsum? Brauchen wir in der Umweltbildung andere Ansätze, um Männer zu erreichen? Haben Männer eine größere Verantwortung für ökologische Probleme, solange sie im wissenschaftlich-technisch-ökonomischen Bereich stärker vertreten sind als Frauen? Inwieweit führt die männliche Neigung, Grenzen zu überschreiten, zu körperlichen Erschöpfungszuständen, die in großtechnischen Systemen zu Katastrophen führen (zum Beispiel der Reaktorunfall in Three Mile Island, oder das Exxon-Valdez-Öltankerunglück)? Ist die zunehmende Um-weltverschmutzung dafür verantwortlich, dass europäische Männer im Durchschnitt nur noch halb so viel Sperma produzieren wie vor 50 Jahren?
Erst seit Mitte der 90er-Jahre wird die Erforschung des Umweltbewusstseins nicht mehr geschlechtsneutral durchgeführt. Als Ergebnisse gelten bislang, dass das Umweltwissen von Männern größer ist als das von Frauen; dagegen die Sensibilität in der Wahrnehmung von Umweltrisiken bei Frauen größer ist; Männer und Frauen durch Umweltchemikalien wie Blei oder Cadmium unterschiedlich belastet sind; Männer größere Einflussmöglichkeiten auf die Gestaltung von Produkten und Technologien haben; Frauen sich in den Bereichen Energiesparen, Müllvermeiden und -sortieren, in der Teilnahme am Verkehr umweltfreundlicher als Männer (was als "Feminisierung der Umweltverantwortung" kritisiert wird) verhalten. Beim Handeln im öffentlichen Raum wiederum sind Frauen weniger offensiv und scheuen Führungspositionen - auch im Umweltbereich.
Ein Grund dafür, dass auch in der Ökologie bislang die unterschiedlichen Auswirkungen für Männer und Frauen weniger betrachtet und beachtet wurden, liegt darin, dass sich hier Vertreterinnen aus Naturwissenschaft und Sozialwissenschaft gegenüberstehen, deren Fachwissenschaften sich nur wenig überschneidet, auch wenn beide Seiten die Motivation für ihr Handeln aus dem gleichen Wertesystem beziehen. Ein weiterer Grund liegt darin, dass Gender bislang weithin als Fortsetzung des Feminismus, und damit als "Frauenthema" gesehen wird: Es gibt beinahe keine Männer, die fachlich wie persönlich in der Lage sind, Ökologie aus der Genderperspektive zu erforschen. Außerdem existiert in der Umweltforschung ein erhebliches Defizit an Daten, die nach Geschlecht getrennt sind.
Von einem bewussteren Zugang zum eigenen Mann-Sein würde die natürliche Umwelt profitieren, indem Männer ihre Stärken und ihre Kreativität stärker und bewusster als bisher zur Bewahrung der menschlichen Lebensgrundlagen einsetzen, auch und gerade im wirtschaftlichen Bereich. Mehr Achtsamkeit der Männer sich selbst, ihrer eigenen Sicherheit und Gesundheit gegenüber würde nicht nur individuell zu einem verbesserten Gesundheitszustand führen, sondern auch die Wahrscheinlichkeit von großtechnischen Unfällen verringern. Dieser bewusstere Zugang zu sich selbst ist abhängig vom Wertesystem, in dem wir handeln. Das größte Defizit der Ökologiebewegung ist die Vernachlässigung der inneren Entwicklung von Bewusstseinsebenen, auf denen über Nachhaltigkeit überhaupt erst sinnvoll nachgedacht werden kann. Sowohl Gender als auch Ökologie liegt eine Wertehaltung von Achtung und Respekt für andere Lebewesen zugrunde, ein Suchen nach dem guten Leben jenseits einer nur materialistischen Ausrichtung, der Wunsch nach Gerechtigkeit und Entwicklungsmöglichkeiten für Frauen und Männer. Erst aus dieser weltzentrischen Perspektive heraus ist es möglich, sinnvolle Maßnahmen zur Bewahrung des ökologischen Gleichgewichts zu finden.
Der Ausweg aus der ökologischen Krise liegt ganz wesentlich darin, geschlechtsbezogene Persönlichkeitsentwicklung zu fördern, in der über die gesellschaftlich akzeptierten Formen von Rationalität hinaus der Zugang zum Emotionalen und zum Körperlichen unterstützt wird. Hier haben Männer definitiv einen Nachholbedarf, sich im Rahmen gezielter Männerförderung Wissen um biologische, mentale und sprachliche Unterschiede anzueignen, kulturelle Prägungen beider Geschlechter zu hinterfragen, und sich vor allem in der eigenen körperlich-sozialen Identität eine authentische und sichere Basis zu schaffen.
Die Auseinandersetzung mit Gender und Ökologie aus einer männlichen Perspektive ist ungewohnt und neu. Wenn sich im Laufe der Zeit auch Männer der Verbindung von Geschlecht und Ökologie zuwenden, können sie sich gemeinsam mit Frauen und geschlechterbewusst für die lebenswichtige Frage der Nachhaltigkeit einsetzen. Gemeinsames Handeln von Frauen und Männern wird durch die Synergie der unterschiedlichen Herangehensweisen zu besseren Lösungen führen. Der genderbewusste Blick wird dazu beitragen, bessere Lösungen zu finden, sei es in der Herstellung von Produkten, im Umweltverhalten oder bei der Entwicklung von geschlechtergerechter Umweltbildung. Für nachhaltiges und zukunftsfähiges Handeln ist nicht das biologische Geschlecht entscheidend, sondern die Werte-Ebene, von der aus wir handeln. Für Männer wie Frauen führt der Weg dahin über die Entwicklung einer authentischen Persönlichkeit.
Max Peschek arbeitet als Körperpsychotherapeut und Gendertrainer in Bremen.