Die Frauen und das Nudelholz: Ein gern bemühtes Klischee, um ein "verkehrtes" Täter-Opfer-Bild zu beschreiben, allerdings in einer Lächerlichkeit, die es nicht akzeptiert. Frauen, die ihre Männer schlagen, gibt es. Alle wissen es, aber kaum jemand spricht darüber. Beim Thema häusliche Gewalt wird die Schablone der Betrachtung meist andersherum angelegt. Statistiken bestätigten bisher überdeutlich ein Bild, das Frauen und Kinder als die hauptsächlichen Opfer familiärer Gewalt darstellt. Dass sich eine erhebliche Anzahl Männer in dieser Rolle wiederfindet, rückt erst nach und nach ins öffentliche Bewusstsein, erschwert durch die Tatsache, dass Gewalt letztlich Männersache ist. Auch Schweigen ist Männersache und deshalb von gleicher Bedeutung für eine öffentliche Wahrnehmung, die sie nicht als Opfer registriert. Sie können es nicht "zugeben".
Frauen sind schließlich jene, die die Opferrolle zu spielen haben. Frauen dürfen schwach sein. Das heißt auch: Sie dürfen krank sein. Mit Knochenbrüchen haben freilich auch Männer keine Probleme. Die fangen erst an, wenn es um seelische Nöte und Zwänge geht. Bisher galten Frauen als diejenigen, die zum Beispiel in weitaus größerer Zahl unter Depressionen leiden als Männer. Doch stimmt das? Seit einigen Jahren bemühen sich Psychologen und Sozialwissenschaftler, dieses schiefe Bild gerade zu rücken, das letztlich auch wieder auf eins zurückzuführen ist: Schweigen und verdrängen. Wo sich Frauen Hilfe von außen suchen, vergrößern Männer ihr Leiden nur und produzieren schließlich eine Wirkung, die zugleich ihre Ursache ist, nämlich Gewalt gegen sich selbst: indem sie sich einem Männlichkeitsbild unterwerfen, das Stärke, Leistungsorientierung, Macht und Härte verlangt, nicht zuletzt gegen sich selbst: Je weniger Schlaf ich benötige, je mehr Schwerzen ich ertrage, je mehr Alkohol ich vertrage, je weniger ich auf meinen Körper achte, je mehr mehr ich meine Gefühle unterdrücke, desto männlicher bin ich, lautet immer noch Devise. Daran hat auch der "Neue Mann" nichts geändert.
Männliche Gewalt gegen sich sich selbst fängt nicht beim Selbstmord an, vielmehr hört sie dort auf. Die These von der Depression als Frauensache lässt sich durch nackte Zahlen widerlegen: Drei Viertel aller Selbstmörder, 80 Prozent aller Suchtkranken, zwei Drittel aller Notfallpatienten, über 90 Prozent aller Häftlinge in Strafanstalten sind Männer. Gewalt gegen andere hat etwas mit Gewalt gegen sich selbst zu tun, Sie wird als Kompensation benutzt.
Während Frauen ihren seelischen Schmerz eher auf sich beziehen, reagieren die meisten depressiven Männer anders: Sie suchen den Fehler nicht bei sich und kompensieren ihn. Auch wenn niedergeschlagene Stimmung, Antriebslosigkeit oder Schlafstörungen bei beiden Geschlechtern gleich häufig auftreten, unterscheiden sie sich doch erheblich in ihren Reaktionen. Frauen sind, indem sie sich Hilfe von außen holen, besser in der Lage, mit ihrer Situation umzugehen. Das fällt Männern sehr viel schwerer. Sie neigen weit häufiger zu aggressivem und unsozialem Verhalten: Zorn, Schuldzuweisungen, Feindseligkeit und Alkoholsucht gelten als klassische Symptome einer Depression bei Männern. Zu den Masken, mit denen sie ihre Depression verbergen, gehören ein erhöhtes Risikoverhalten, zum Beispiel im Straßenverkehr, der Hang zu Ex-tremsportarten, die Flucht in Arbeit. Sie kompensieren und verdrängen, anstatt sich helfen zu lassen: ein soziales Stigma, das psychische Erkrankungen als Schwäche auslegt, macht es den Männern schwer, denn dazu werden die Jungen auch heute noch nicht erzogen.
"Jungen weinen nicht!" - leider hat dieser Satz seine Gültigkeit noch nicht verloren. Walter Hollstein, einer der bekanntesten Männerforscher der Bundesrepublik, bezeichnete die Erziehung zur Männlichkeit in einem Interview gar als "wirklich furchtbare Dressur", innerhalb derer die Männer gezwungen sind, ihre weiblichen Anteile zu verleugnen. "Sie ist Einpassung in ein Leben, das in wesentlichen Bereichen einseitig ist, bedürfnisfern, möglichst rational durchorganisiert", schreibt er über die männliche Sozialisation.
Hilfe anzunehmen bedeutet anzuerkennen, sich selbst nicht mehr helfen können. Im traditionellen Männerbild existiert diese Option nicht. Zum einen, weil Zeichen von Schwäche danach etwas weibliches sind, von denen sich ein Mann schon deshalb abzugrenzen hat - auch Krankheit wird als Schwäche diskrimiert. Viele Männer haben das Gefühl, sich durch ärztliche Behandlung in eine Abhängigkeit zu begeben. (Sind sie erst einmal im Krankenhaus, bleiben sie dort länger als Frauen.) Hilfe für den eigenen psychischen Stress anzunehmen heißt aber auch, sich darauf einzulassen, differenziert über Gefühle zu reden. Jungen werden jedoch dazu erzogen, sie zu verdrängen. Das Selbstverständnis dieses Männerbildes darauf beruht, stets alles unter Kontrolle zu haben und erfolgreich zu sein. Männer stehen unter permanentem Leistungsdruck, dieser Rolle gerecht zu werden. Oft jedoch, schreibt der Soziologe und Männerfoscher Peter Döge, "kollidieren die Bilder vom Mächtigen Mann mit subjetiven Machtlosigkeitserfahrungen im Alltag - die Männerforschung spricht hier von fragiler Männlichkeit. Fragile Männlichkeit wird als eine zentrale Ursache von Gewalt von Männern gegen Frauen, aber auch von Gewalt gegen andere Männer und von Gewalt von Männern gegen sich selbst gesehen."
Letztendlich, so Hollstein, sei Männlichkeit "eine hochriskante Lebensform", die "mit ihrem spezifischen Verhaltenskodex eine qualitativ eingeschränkte und quantitativ verkürzte Lebenserwartung" bedingt. Männer ignorieren oft erste Symptome einer Erkrankung. Ärztliche Vorsorgeangebote nutzen sie kaum. Ihre Lebenserwartung ist um sieben bis acht Jahre geringer als die der Frauen. Statt dessen ist es immer noch möglich, sich mit einem 18-Stunden-Arbeitstag zu brüsten, als Beweis eigener Stärke. Von außen wird das auch anerkannt, der Verzicht darauf höchstens von der eigenen Familie honoriert.
Claudia Heine ist freie Journalistin in Berlin